Künstler gelten gemeinhin als kreativ. Aber was heißt das eigentlich? Welche medizinische Bedeutung hat Kreativität? Kann man sie messen oder gar erlernen? Wir tasten uns an dieses faszinierende Feld heran.
Kreativität kann sich auf unterschiedlichste Art und Weise präsentieren. So fällt uns im Museum ein innovatives Bild auf, das - natürlich nur sinnbildlich gesprochen - aus dem Rahmen fällt. Oder der eigene Sprössling schafft aus seinen Spielsachen ein Instrument, das dank seiner faszinierend nervenaufreibenden Klangkonfluenz den morgendlichen Wecker ersetzt.
Kreativität ist ein schwer zu definierendes und noch schwerer zu explorierendes Phänomen. Der Begriff stammt vom lateinischen „creare“ ab, Neuschöpfung und Wandelbarkeit stellen zentrale Aspekte dar. Wir assoziieren Veränderung, Originalität, Entwicklung und Gestaltung mit Kreativität. Eingang in den Duden erhielt der Begriff erst in den 1930er Jahren des 20. Jahrhunderts, damals noch gleichgesetzt mit „göttlicher Schöpfung“ oder „einsames Genie“. Heute wird Kreativität beschrieben als „schöpferische Kraft“ oder „kreatives Vermögen“.
Gegenstand der Forschung, insbesondere in der Medizin, wurde die Kreativität erst in jüngerer Vergangenheit. Die Grenzen zur populären Intelligenzforschung sind fließend. Es wird diskutiert, ob und inwieweit Kreativität und Intelligenz zusammenhängen oder einander bedingen. Grundsätzlich ist ein hoher Intellekt ebenso wenig ein Garant für Kreativität wie ein niedriger Intellekt hohe Kreativität ausschließt. Der amerikanische Psychologe Joy Guilford stieß in den 1950er Jahren eine entscheidende Orientierung zur Erforschung der Kreativität an. Er wies darauf hin, wie wenig Aufmerksamkeit dem Gebiet bisher gewidmet wurde und löste mit seiner Äußerung, jeder Mensch sei kreativ, eine breite Diskussionswelle über das Kreativitätsverständnis aus, stand dieses bisher doch eher im Zusammenhang mit Individualleistungen und Hochbegabung. War Kreativität lange hauptsächlich unter psychologischen Gesichtspunkten betrachtet worden, so rückten seitdem zunehmend sozialwissenschaftliche, psychiatrische und neurowissenschaftliche Betrachtungsweisen und Fragestellungen in den Fokus.
In der modernen Forschung spielt Kreativität eine zunehmend große Rolle, relevante Studien werden mittlerweile unter anderem im Creativity Research Journal veröffentlicht. Die Forschung steht vor nicht unwesentlichen Hürden, handelt es sich bei Kreativität doch um ein schwer definierbares und erfassbares Konstrukt. Neuere Studien halten einer genaueren Überprüfung teilweise nicht Stand oder widersprechen sich sogar. Ein Artikel zeigte jüngst Studien auf, die Kreativität nicht nur als Untersuchungsgegenstand aufwiesen, sondern bei denen auch die Ergebnisvielfalt ein erstaunliches Maß an kreativem Interpretationsspielraum zuließ. Beispielsweise wurde in einer Studie festgestellt, dass ein mehrtägiger Ausflug in die Natur die individuelle Kreativität um durchschnittlich 50 % steigert. Die wissenschaftliche Vorgehensweise wurde anschließend allerdings kritisiert und die Ergebnisse angezweifelt.
Die Bildgebung tut sich schwer mit der Identifikation möglicher für Kreativität verantwortlicher Areale. Köchlin und Collins wollen Aktivitäten im Vorderhirn festgestellt haben, Rex Jung macht den rechten Gyrus angularis hauptverantwortlich, Aziz-Zadeh verweist auf eine Mitbeteiligung der linken Hirnhälfte. Vor diesem Hintergrund scheint ein komplexes Zusammenspiel ohne klare Zentrierung auf ein bestimmtes Hirnareal wahrscheinlich. Dies wird auch in einem 2011 erschienenen Review über die kognitiven Neurowissenschaften von Kreativität deutlich. Demnach sind verschiedenste Hirnareale in beiden Hemisphären bei kreativen Aufgaben aktiv. Viele dieser Areale sind interessanterweise auch bei ganz alltäglichen Aufgaben aktiv. Bemerkenswert ist auch die Feststellung, dass während kreativer Aktivität zunehmend alpha-Wellen beobachtet werden, die sich sonst zum Beispiel bei Entspannung finden lassen.
Nicht unerheblich ist die Frage, wie genau Kreativitätsmessung stattfindet und auf welche Kernaspekte man sich in der Forschung konzentriert. Eine Eigenheit der Kreativität ist es, dass sie sich kaum auf Knopfdruck abrufen lässt, sondern ihren Ursprung in der Regel unterbewusst findet. Gewisse Parallelen in Wahrnehmungsprozessen können auch bei Personen mit hoher Kreativität und solchen mit bestimmten psychiatrischen Erkrankungen festgestellt werden. Der Erforschung dieses Zusammenhangs widmet sich unter anderem eine Forschergruppe aus Graz.
Als wissenschaftliches Thema im Medizinstudium kommt „Kreativität“ eine untergeordnete Rolle zu. „Ich würde mich persönlich durchaus als kreativ bezeichnen“, so ein Medizinstudent im Praktischen Jahr, „während des Studiums konnte ich diese Fähigkeit aber ehrlich gesagt kaum nutzen, allerhöchstens für die Gestaltung von Powerpoint-Folien. Kreativität als Thema in der Lehre wurde, soweit ich mich erinnern kann, auch nie wirklich behandelt, ich wäre daran aber durchaus interessiert gewesen.“ „Ich denke, wir wissen einfach noch zu wenig über Kreativität, das macht eine Einbindung in Lehrpläne meiner Meinung nach schwierig“, sagt eine weitere Studentin. In der medizinischen Ausbildung seien allenfalls die Prüfungsfragen des IMPP besonders kreativ. Wen die Idee des Erschaffens und Tüfteln vollends gepackt hat, der kann sich der Kreativität zumindest theoretisch auch im Rahmen seiner Ausbildung schon komplett widmen, allerdings ganz unmedizinisch, beispielsweise an der d.school der Universität Stanford oder der HPI School of Design Thinking in Potsdam.
Eine interessante Idee, die durchaus eine Grundlage hat. Denn Kreativität ist erlernbar. In der richtigen Atmosphäre falle Querdenken laut diesem Artikel leichter. Man solle das Gefühl haben, sich geistig entfalten zu können. Eine Umfrage der ergab kürzlich, dass knapp die Hälfte aller Personen die besten Einfälle beim Erholen haben, zum Beispiel auf der Couch oder in der Badewanne. Auch Eigenverantwortung wirke kreativitätsfördernd, Zeitdruck sei dagegen hinderlich. Auch bestimmte Übungen sollen kreativitätsfördernd wirken. Bei der sogenannten “Sechs-Hüte-Übung” nimmt man sich vor, ein Problem auf sechs Weisen zu betrachten: objektiv, subjektiv, positiv, negativ, kreativ und vermittelnd. So sollen vorherige Denkmuster durchbrochen werden. Bei der sogenannten Ringtauschtechnik schreiben Mitarbeiter innerhalb von fünf Minuten je drei Ideen auf, die im Kreis herumgereicht werden und von den Kollegen ergänzt werden. Ob an der Universität, durch Übungen oder beim Freizeitsport: Kreativität macht Spaß. Der Ursprung von Originalität und Erfindergeist ist und bleibt ein spannendes Feld – in der Wissenschaft wie im Privaten.