Der Leidensdruck ist enorm: Patienten mit chronischer Migräne müssen zehn bis fünfzehn Kopfschmerz-Attacken pro Monat ertragen. Ein Forscherteam berichtet nun, dass die Stimulation mit Elektroden Anfallshäufigkeit und Schmerzintensität deutlich vermindern könnte.
Rund acht Millionen Menschen in Deutschland leiden an Migräne. Bei fünf Prozent der Betroffenen treten die stundenlangen Schmerzattacken an mehr als 15 Tagen im Monat über mehrere Monate hinweg auf. Diese chronische Form der Migräne lässt sich nur schwer behandeln: Medikamente helfen zwar vielen Patienten, oft jedoch mit gravierenden Nebenwirkungen. In schweren Fällen setzen Mediziner manchmal auch auf eine Behandlung mit dem Nervengift Botox. Schlagen all diesen Therapien nicht oder nicht mehr an, kommt seit wenigen Jahren die so genannte periphere Nervenfeldstimulation zum Einsatz. Bei diesem Verfahren lässt sich der Patient am Übergang zwischen Kopf und Nacken zwei dünne Elektroden unter die Haut einpflanzen, die permanent elektrische Impulse abgeben und so dem Schmerz prophylaktisch entgegenwirken. Die Kontakte der Elektroden werden im Unterhautgewebe in die Nähe der Okzipitalnerven eingebracht und mit einem batteriebetriebenen Impulsgeber verbunden. Dieser wird vorher im Gesäßbereich implantiert und kann mit Hilfe einer Fernbedienung reguliert werden.
Neue Untersuchungen einer Forschergruppe des Universitätsklinikums Düsseldorf haben nun ergeben, dass die elektrische Stimulation der Hinterkopf-Nervenareale rund zwei Dritteln aller Patienten mit chronischer Migräne helfen könnte. Wie die Wissenschaftler um Professor Jan Vesper kürzlich auf dem Kongress der International Neuromodulation Society in Berlin bekannt gaben, senkt das Verfahren sowohl die Anzahl der Kopfschmerz-Attacken als auch die Intensität der Schmerzen um 70 Prozent. An der klinischen Studie der Düsseldorfer Forscher nahmen 40 Patienten mit chronischer Migräne teil, bei denen die periphere Nervenfeldstimulation nach drei Monaten offenbar zu einer deutlichen Verbesserung der Lebensqualität geführt hatte. „Frisch operierte Patienten haben wir nicht in die Studie aufgenommen, da es normalerweise immer einige Wochen dauert, bis der positive Effekt der Nervenfeldstimulation überhaupt einsetzt“, sagt Vesper, der Leiter des Zentrums für Neuromodulation an der Klinik für Neurochirurgie des Universitätsklinikums Düsseldorf ist.
Um herauszufinden, ob tatsächlich das Verfahren und nicht ein Placeboeffekt die Beschwerden der Studienteilnehmer gelindert hatte, stellten der Neurochirurg und seine Mitarbeiter zu Beginn des Versuchs bei allen Probanden die Stimulation aus. „Das war sehr unangenehm für die Teilnehmer, weil wir sie quasi wieder in den Urzustand versetzten“, sagt Vesper. Dann schaltete sein Team die Nervenstimulation wieder an, bei einem Teil der Probanden jedoch mit einer verringerten Intensität, so dass diese nicht mehr spürten, ob ihre Nerven elektrisch erregt wurden oder nicht. Nach einer weiteren Woche folgte wieder eine Änderung der Behandlung. Während des Versuchs, der sich über mehrere Wochen hinzog, erfuhren die Studienteilnehmer nicht, ob sie gerade effektiv, unterschwellig oder gar nicht stimuliert wurden. Vesper: „Der Clou an unserer Versuchsanordnung war die unterschwellige Stimulation, die der Objektivierung diente und half, einen Placeboeffekt auszuschließen.“ Denn, so der Neurochirurg, auch die weniger intensive Stimulation der Hinterhauptnerven habe zu einer signifikanten Abnahme der Beschwerden bei den Probanden geführt. Allerdings sei sie nicht ganz so hoch ausgefallen wie bei der überschwelligen Stimulation, die die Patienten als angenehmes Kribbeln im Hinterkopf empfunden hätten.
Neurologische oder toxische Nebenwirkungen, wie sie bei einer medikamentösen Therapie auftreten können, sahen die Forscher bei den mit der Nervenfeldstimulation behandelten Patienten bislang nicht. Allerdings besteht wie bei anderen Operationen auch das geringe Risiko einer Wundentzündung. Etwas größere Probleme können entstehen, wenn die Elektroden aufgrund der mechanischen Beanspruchung verrutschen: „Bei 10 bis 15 Prozent unserer Patienten sind solche Komplikationen aufgetreten und es mussten Nachbesserungen erfolgen“, berichtet Vesper. Er ist dennoch überzeugt, dass sich die periphere Nervenfeldstimulation in den kommenden Jahren als fester Therapiebestandteil bei chronischer Migräne etablieren wird. „Es gibt sehr viele Patienten, denen wir mit dieser Methode helfen können – bei sehr überschaubaren Risiken, die der Eingriff mit sich bringt“, sagt Vesper.
Auch andere Experten überzeugt die periphere Nervenfeldstimulation: „Das Schöne daran ist, dass man individuell die Parameter der Stimulation wählen und feststellen kann, ob eine Wirkung eintritt oder nicht“, sagt Professor Hartmut Göbel, ärztlicher Direktor der Schmerzklinik Kiel. „Patienten mit chronischer Migräne befinden sich oft in einer extremen Notsituation.“ Jedes funktionierende Verfahren außerhalb des medikamentösen Maßnahmenkatalogs sei daher eine willkommene Alternative. Doch Göbel warnt vor einem vorschnellen Einsatz bei Migräne-Patienten, die ihre Schmerzattacken schon auf andere Weise in den Griff bekommen haben: „Wir befinden uns zurzeit in der Lernphase und müssen noch ermitteln, an welcher Stelle wir die Elektroden genau platzieren und mit welcher Frequenz und Intensität die elektrischen Impulse am Besten erfolgen sollten.“ Die Beantwortung dieser Fragen könne dann im zukünftigen Routineeinsatz zu einer weiteren Optimierung der Wirksamkeit und einfacheren Handhabung führen.