Medizinstudenten arbeiten im PJ Vollzeit – oft jedoch ohne Bezahlung. Sind sie zu Beginn noch euphorisch, medizinische Theorien unter Anleitung erfahrener Ärzte praktisch anzuwenden, erwartet viele eine frustrierende Zeit als billige Arbeitskraft. DocCheck beleuchtet für Euch die aktuelle Situation.
Susanne Rohn aus Mainz steckt gerade in den letzten zwölf Monaten ihres Medizinstudiums. Das Praktische Jahr dient angehenden Ärzten dazu, im Krankenhaus praktische Erfahrungen zu sammeln, bevor sie alleine im Berufsalltag stehen und selbständig arbeiten dürfen. Am Anfang hat sich Susanne auf die praktische Tätigkeit gefreut und war voller Tatendrang. Mittlerweile ist die Motivation verflogen und Susanne einfach nur müde und erschöpft. Von Montag bis Freitag arbeitet sie jeden Tag acht Stunden auf der Station, nimmt Blut ab, legt Zugänge und Braunülen, erstellt Krankenakten und Arztbriefe, dokumentiert jeden Schritt und assistiert im OP. Dafür bekommt sie null Euro, noch nicht einmal das Essen in der Klinik wird ihr komplett bezahlt. Die Mainzer Universität hat das Gehalt für PJler 2009 landesweit auf Sachleistungen im Wert von 250 Euro im Monat gedeckelt. Um den Konkurrenzkampf der Kliniken um Nachwuchs zu unterbinden, so die Uni. Zurecht fühlt sich Susanne von den Krankenhäusern ausgenutzt. Um ihre Lebenshaltungskosten zu decken, muss sie noch zwei Nebenjobs nachgehen. Am Wochenende arbeitet sie als Kellnerin in einem Lokal und Freitagabend erledigt sie eine 12-Stunden-Nachtschicht im Schlaflabor. Für andere Dinge hat sie kaum Zeit. Ihrem Arbeitspensum nach zu urteilen, könnte man meinen, Susanne wäre eine hochbezahlte Topmanagerin, doch das ist der normale Alltag eines unbezahlten PJ-Studenten.
So wie Susanne geht es vielen PJlern in ganz Deutschland. Die Ergebnisse einer bundesweiten Online-Umfrage des Hartmannbundes unter seinen rund 25.000 Medizinstudierenden zeigen, dass jeder vierte Medizinstudent während seines Praktischen Jahres keine Vergütung erhält. „Die Zahlen, die uns vorliegen, sind noch schlimmer als wir erwartet haben“, kommentiert Kristian Otte, Vorsitzender des Ausschusses der Medizinstudierenden im Hartmannbund. Bereits seit dem vergangenen Jahr fordert der Hartmannbund die Einführung einer bundesweiten PJ-Mindestvergütung von 597 Euro im Monat. „Die Kliniken dürfen ihre PJ-Studierenden nicht wie billige Arbeitskräfte behandeln und für einen Vollzeitjob nicht wenig bis überhaupt keine Vergütung zahlen“, so Otte. Bisher sträuben sich die Universitäten und Lehrkrankenhäuser vehement dagegen. Dabei werden die PJ-Studenten, entgegen der Aussagen so mancher Universität, als volle Arbeitskräfte eingesetzt. Ohne sie würde in vielen Lehrkrankenhäusern der Betrieb zusammenbrechen. Da ist es doch nur rechtens, wenn die Medizinstudenten auch eine angemessene Bezahlung erhalten – könnte man meinen. Ziel der Umfrage des Hartmannbundes war auch das Erstellen einer bundesweit lückenlosen Übersicht über die „Zahlungsmoral“ der deutschen Universitätskliniken und Lehrkrankenhäuser gegenüber ihren PJ-Studenten. Kristian Otte kündigte eine Liste an, die dokumentiere, wie hoch die PJ-Vergütung an allen Universitätskliniken und Lehrkrankenhäusern sei. „Wir wollen endlich sagen, wer zahlt und wer nicht zahlt. Die schwarzen Schafe müssen genannt werden, um Bewegung in das Thema zu bringen“, sagte er. Offenbar würden einige Verantwortliche nur auf öffentlichen Druck hin reagieren und darüber nachdenken, welches Signal sie setzen, wenn sie den ärztlichen Nachwuchs ohne jede Aufwandsentschädigung in ihren Kliniken arbeiten ließen, so der Ausschussvorsitzende.
In Deutschland entscheidet jedes Lehrkrankenhaus selbst, ob es seine PJler unterstützt. Manche zahlen Essensgeld und Fahrgeld, aber zumeist gehen die angehenden Mediziner komplett leer aus. Nur private Kliniken zahlen PJ-Studenten häufig eine angemessene Vergütung. Dies steigert natürlich deren Attraktivität und führt dazu, dass sie im Kampf um die jungen Ärzte weit vorne liegen. Für Lehrkrankenhäuser, die weniger Geld haben, sieht es dann schlecht aus. Deswegen werden die Krankenhäuser von den Universitäten oft gezwungen, Zahlungen an die PJler zu unterlassen, mit der Drohung, dass ihnen sonst der begehrte Status als Lehrkrankenhaus entzogen wird. Ein Krankenhaus, das Lehrkrankenhaus werden möchte, muss zahlreiche Voraussetzungen erfüllen, damit die Uniklinik einen Vertrag mit ihm schließt. So muss es beispielsweise eine Mindestzahl an Betten und eine ausreichende Anzahl Ärzte nachweisen, die für die Ausbildung der Studierenden zur Verfügung stehen. Aufgrund des Ärztemangels ist der Status als Lehrkrankenhaus nicht zuletzt für die Personalgewinnung einer Klinik von großer Bedeutung – denn die Krankenhäuser hoffen, dass sich Studierende, die im PJ gute Erfahrungen gemacht haben, dort als Assistenten bewerben. In Berlin ist in den letzten Jahren der Streit um die PJ-Vergütung eskaliert. Burkhard Danz, Leiter des Referats für Studienangelegenheiten der Charité, hält eine Vergütung des PJs aufgrund seines Lehrcharakters für unangemessen: „Es ist Bestandteil des Studiums, die volle Arbeitszeit ist dort Lehre." Aus diesem Grund bezahlten weder die Charité noch eines ihrer Lehrkrankenhäuser Geld an PJler. Als sich die Helios-Kliniken GmbH dem widersetzte und 2006 als erster Klinikträger in seinem Konzerntarifvertrag eine Aufwandspauschale für Studierende im PJ festschrieb, strafte die Charité das Klinikum Emil von Behring ab, das zum Helios-Konzern gehört. Es wurden keine PJ-Studenten mehr hingeschickt. 2010 entzog die Berliner Universität ihm dann vollends den Status als Lehrkrankenhaus. Doch die Helios-Kliniken halten an ihrer PJ-Vegütung fest: „Wir wollen damit die Leistung der PJler anerkennen. Auch in anderen Bereichen bekommen Auszubildende und Praktikanten für ihre Leistung Geld", sagt Constanze von der Schulenburg, die Konzernsprecherin. Sie fügt hinzu: „Wir wollen die Studierenden außerdem finanziell entlasten, damit sie sich besser auf ihre medizinische Ausbildung konzentrieren können, statt für ihren Lebensunterhalt zusätzlich jobben zu müssen." Deutschlandweit bekommen PJler in den Lehrkrankenhäusern von Helios eine Aufwandspauschale von monatlich 700 Euro.
Seit der Tarifvertrag der Helios-Kliniken beschlossene Sache ist, hat sich auch bundesweit etwas getan. Immer mehr Kliniken bieten ihren PJ-Studenten eine Grundvergütung an. In Bochum beispielsweise entlohnen Uniklinik und Lehrkrankenhäuser ihre Studenten mit 400 Euro monatlich. In Tübingen sind monatlich 300 Euro Aufwandsentschädigung üblich und in Sangerhausen bei Halle/Saale werden häufig sogar 700 Euro bezahlt. Auch in Düsseldorf kann man seit letztem Monat eine Aufwandsentschädigung von 573 Euro beantragen. Die zusätzlichen Kosten bereiten nicht wenigen Einrichtungen Kopfschmerzen. Viele Universitäten und Lehrkrankenhäuser können solche Ausgaben, die durch die PJ-Vergütung entstehen würden, kaum schultern. Aber nicht nur Lehrkrankenhäuser müssen nachziehen, wenn sie befürchten, ohne eine Aufwandsentschädigung von PJlern nicht mehr ausgewählt zu werden. Auch die Universitäten sind unter Druck, denn sie befürchten, dass sich ihre Studierenden für eine besser bezahlte Stelle in einem der Lehrkrankenhäuser entscheiden und andere leer ausgehen. Dabei darf man aber nicht vergessen, dass es ja die Unikliniken sind, die Verträge mit diesen schließen und somit auch kündigen können. Es liegt somit ganz in ihren Händen, wie es zukünftig um die angemessene Entlohnung der PJler bestellt ist.
Aber sollten Studenten im Praktischen Jahr wirklich eine Vergütung bekommen? Wenn ja wie hoch sollte diese sein? Wir haben einen PJler und einen betreuenden Arzt nach ihrer Einschätzung gefragt. Dr. Andreas Hoffmann, Facharzt für Neurologie am Klinikum Großhadern in München, ist für eine geringe Aufwandsentschädigung für PJler: „So etwa 400 € plus Mittagessen halte ich durchaus für angemessen. Wesentlich mehr zu fordern - also den vollen Lebensunterhalt - finde ich aber aus folgenden Gründen nicht sinnvoll. Zum einen sollen PJler eben noch etwas lernen, ehe sie als Ärzte ‚auf die Menschen losgelassen werden‘, dafür ist das PJ ja eigentlich da. Und sehr vielen fehlen noch grundlegende Fähigkeiten und leider sogar Grundwissen. Und wenn ich den Studenten wirklich etwas beibringen möchte, dann machen mir viele von ihnen leider wesentlich mehr Arbeit, als sie mir abnehmen können. Wenn ich natürlich sage, die PJler sollen Kaffee holen, Akten sortieren, Blut abnehmen und Betten schieben, dann ist ein PJler - jetzt mal rein wirtschaftlich betrachtet - mehr wert. Zudem haben PJler eben noch keine ärztliche Verantwortung. Sie sollen aber ärztliche Tätigkeiten lernen. Folglich heißt das, dass alles, was ich einen PJler tun lasse, auf meine Verantwortung - und damit im Extremfall gerichtlich gegen mich - geht. Und das heißt für mich wiederum, dass ich in den meisten Fällen eben dabeibleiben muss, wenn ein PJler etwas tut oder es anschließend nochmal selbst machen muss, es sei denn, ich kenne den Student schon sehr lange und habe ausführlich gesehen, wie er arbeitet. Wenn das Praktische Jahr dazu da sein soll, möglichst viel zu lernen, dann sind 400 Euro für mich mehr als angemessen. Mir hat es zwar in meiner PJ-Zeit auch nur begrenzt Spaß gemacht, nebenbei noch zu arbeiten, aber es ist durchaus möglich.“ Jannis Erics, PJ-Student, ist da etwas anderer Meinung: „Wenn es tatsächlich immer so liefe, wie Dr. Hoffmann es beschreibt, fände ich 400 Euro plus Essen auch absolut angemessen. Dann ist das PJ eine Lernveranstaltung, und das, was ich lerne, sollte mir ‚Lohn genug sein‘. Nur leider ist es in der Realität so, dass die PJler leider wirklich zur ‚Drecksarbeit‘ abgestellt sind und nicht primär, um etwas zu lernen. Und eben weil das so ist, finde ich es gerechtfertigt, dass sie etwas verdienen. Die PJler tragen ja auch eine gewisse Verantwortung. So nehmen sie Blut ab oder führen beispielsweise auch manchmal Ultraschalluntersuchungen durch. Sie arbeiten am Patienten, also haben sie die Verantwortung für das, was sie tun. Es gibt keine andere mir bekannte Berufsgruppe, wo hingenommen wird, dass sie über ein Jahr hinweg quasi ohne Gehalt arbeitet. Juristen beispielsweise erhalten für ihr Referendariat, das ich als juristischer Laie als vergleichbar ansehen würde, zum Teil eine deutlich höhere Vergütung um die 1000 €. Ein PJler operiert zwar nicht selbstständig und verordnet auch keine Medikamente wie ein fertiger Arzt, aber er macht ein Jahr lang unentgeltlich vieles an einfacher, ärztlicher Routinetätigkeit. Ich denke nicht, dass man auch bei 400 € froh sein kann, dass man sie kriegt. Rechnet man das auf eine 40-Stunden-Woche hoch, verdient man gerade mal ein bisschen mehr als zwei Euro pro Stunde - mal außer Acht gelassen, dass die Arbeitszeit oft weit mehr Stunden umfasst. Bezahlte OP-Assistenten bekommen dagegen oft 12,50 € pro Stunde. Ich halte deswegen eine PJ-Vergütung von etwa 700-800 Euro pro Monat für angemessen.“
In der Vergangenheit sind aufgrund der geringen Entlohnung im Praktischen Jahr immer mehr junge Ärzte ins Ausland abgewandert. Vor allem die Schweiz erscheint vielen PJlern lukrativ, nicht unbedingt nur wegen des Geldes, sondern auch, weil viele das Gefühl haben, dort nicht als Arbeitskraft ‚ausgenutzt‘ zu werden. Es häufen sich Berichte, dass man dort eine mehr als vorbildliche Betreuung erhält und sein medizinisches Können aktiv einbringen kann. Während es in deutschen Kliniken keine verbindlichen Vorgaben gibt, was ein PJler eigentlich zu lernen hat, ist das Lehrprogramm in der Schweiz durchweg gut strukturiert. Die Assistenzärzte haben mehr Zeit, sich um einen PJler zu kümmern und man bekommt als angehender Mediziner vielfältige Fortbildungsangebote. Johannes Rupfke absolvierte sein PJ in Basel und hat daher gute Vergleichsmöglichkeiten zu Deutschland: „Während auf deutschem Boden häufig das Motto ‚Haken und Maul halten‘ gilt, habe ich in der Schweiz vor allem den freundlichen Umgangston im Arbeitsalltag zu schätzen gelernt. Dort sind ‚Bitte‘ und ‚Danke‘ selbst im OP keine Fremdworte und von der Krankenschwester bis zum Oberarzt ist man oft per ‚Du‘. In Deutschland herrscht dagegen eher ein rauer Umgangston, eine hierarchische und autoritäre Führungsstruktur. Das gefällt mir weniger.“ Nach seinem zweiten Staatsexamen will Johannes deswegen wieder in die Schweiz zurückkehren.
Da es immer mehr PJler aus Deutschland weg zieht, hat der Bundesrat kürzlich eine monatliche Höchstgrenze von 597 Euro für das PJ im Ausland beschlossen. Eine Umfrage des Hartmannbundes unter 6.000 Medizinstudenten im Februar dieses Jahres zeigte, dass 90 Prozent der Medizinstudenten nichts von der beschlossenen Deckelung der Aufwandsentschädigung für ein praktisches Jahr (PJ) im Ausland halten. „Medizinstudierende, die ein PJ-Tertial innerhalb der EU oder in der Schweiz absolvieren wollen, stecken aufgrund der neuen Regelung in erheblichen Schwierigkeiten“, erklärt Kristian Otte, Vorsitzender der Medizinstudierenden im Hartmannbund. Bisher hatte es aufgrund der unterschiedlich hohen Lebenshaltungskosten bei der PJ-Vergütung im Ausland kein Limit gegeben.
Neben dem Hartmannbund spricht sich auch die Vertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd) für die Einführung einer bundesweit einheitlichen Aufwandsentschädigung im Praktischen Jahr aus. Nach deren Ansicht sollte die Qualität der Lehre als Kriterium für die Auswahl des PJ-Lehrkrankenhauses im Vordergrund stehen. Man befürchte ansonsten, dass sich im Rahmen der neu eingeführten PJ-Mobilität eine Bewerbung der Studierenden auf die finanziell attraktiven Häuser fokussieren würde. Allerdings setze die Approbationsordnung in ihrer jetzigen Fassung keinen einheitlichen Satz fest, wodurch die Ausbildungsstätten nicht in die Pflicht genommen würden, eine Aufwandsentschädigung anzubieten. Mit der Einführung einer bundesweit einheitlichen Aufwandsentschädigung könnten die Studierenden, so die bvmd, auf eine Erwerbstätigkeit, neben der Ausübung des Klinikalltages, verzichten. Dies sei sehr wichtig, damit Ruhephasen ausreichend eingehalten werden könnten. So würde weder die Sicherheit der Patienten noch die Gesundheit der Studierenden durch eine womöglich resultierende Übermüdung leiden. Des Weiteren könne der Lernerfolg durch die Möglichkeit einer angemessenen Vor- und Nachbereitung des Stationstages verbessert werden. Erik Kemmerer, der sein PJ dieses Jahr in Hamburg absolvierte, stimmt der bvmd zu: „Mein Fazit der PJ-Zeit, und das deckt sich mit den Einschätzungen vieler Kommilitoninnen und Kommilitonen, war folgendes: Wir PJ-Studenten sind kostenlose Arbeitskräfte zum Blutabnehmen, Zugänge legen und Haken halten. Als Gipfel der Frechheit wird man stets mit den faulsten unserer Kollegen über einen Kamm geschert und zurückgewiesen, wenn man an Lehre interessiert ist. Ich zählte mich zu Beginn des Praktischen Jahres zu den motivierten Studenten. Nach knapp 12 Monaten bin ich nur noch enttäuscht, erschöpft und der alltäglichen devoten Stiefelleckerei überdrüssig. 597 Euro sind das Mindeste, was man einem Auszubildenden im 6. Ausbildungsjahr zahlen müsste. Weiterführende Links: