Ärzte wie Dietrich Grönemeyer und Eckart von Hirschhausen sind heute aus Gesundheitssendungen und Sachbuchabteilungen nicht mehr wegzudenken. Doch geht es prominenten Ärzten wirklich um breite gesundheitliche Aufklärung oder doch nur die eigene Selbstvermarktung?
Warum jammern Medizinstudenten eigentlich immer über die angeblich so schwierigen Prüfungen? Wenn die Promi-Docs wie Grönemeyer und Co in den Talkshows und Gesundheitsmagazinen den Mund aufmachen, klingt doch alles ganz einfach. Eigentlich müssten die Deutschen nur mehrfach täglich Gymnastik machen, sich diszipliniert ernähren und ihre sitzenden oder stehenden Berufe kündigen. Dann wären alle von den großen Volksleiden wie Diabetes Mellitus Typ II und chronischen Rückenbeschwerden geheilt. Und wenn die zahlreichen Übungs- und Verhaltensänderungsprogramme doch nichts nützen, bleibt noch die Strategie frei nach von Hirschhausen: Die Krankheiten werden einfach weggelacht, so einfach ist das! Kein Wunder also, dass medial umtriebige Ärzte immer häufiger in die Kritik geraten. Denn mit fundierter Wissenschaft hat das selten etwas zu tun. Klassische Kriterien wissenschaftlicher Arbeiten wie Reliabilität, Validität und Objektivität spielen kaum ein Rolle. In der modernen Medienwelt gewinnt heutzutage nicht der fleißige Forscher, der jahrelang im Labor die Pipette schwingt. Nein, heute ernten all jene Mediziner den Applaus, die sich selbst bestmöglich öffentlichkeitswirksam vermarkten.
Einerseits schaffen die Promi-Docs es zwar, mit ihren allgemeinverständlichen Schilderungen die breiten Massen für medizinische Sachverhalte zu begeistern und ihnen simple Zusammenhänge (zum Beispiel: Wer viele Hamburger ist, wird übergewichtig. Sport und Bewegung sind gut für Herz und Kreislauf.) näher zu bringen. Andererseits gefährdet ihre Light-Medizin im schlimmsten Fall das Ansehen der ganzen Ärzteschafft. Diese Befürchtung teilt auch Lukas, der sich derzeit auf sein Hammerexamen vorbereitet: „Nachdem sich meine Mutter durch die Sachbücher von Dietrich Grönemeyer gelesen hatte, wusste sie plötzlich bei medizinischen Fragen alles besser“, so der Medizinstudent. „Ich sollte mich nicht so anstellen mit dem Lernen – Medizin sei ja gar nicht so schwer, wie sie immer dachte, muss ich mir seitdem immer anhören“, fügt er schließlich hinzu. Es entsteht eine verzerrte, öffentliche Wahrnehmung, alles scheint total easy und nachvollziehbar.
Die Simplizität der Theorien, wie sie von vielen Promi-Ärzten verbreitet werden, ist allerdings nicht nur hinsichtlich einer möglichen Degradierung der Komplexität des Arztberufes eine Gefahr. Darüber hinaus kann eine mangelnde Detailliertheit in den Schilderungen medial agierender Ärzte bei den Patienten in einer Art gefährlichem Halbwissen resultieren. Und genau dieses Halbwissen verursacht bisweilen starke Rückenschmerzen, wie mir Maria, eine Studentin im 5. Studienjahr kürzlich berichtete: „Während meiner Famulatur in der neurologischen Uniklinik durfte ich einmal eine Frau im mittleren Alter voruntersuchen, die über starke Rückenschmerzen und gelegentlich einschießende Schmerzen ins linke Bein klagte. Auf meine Frage nach dem Beginn der Neuralgien zeigte sie mir ein Sachbuch mit Rückenübungen, die sie ausprobieren wollte. Nach dem ersten Anwendungsversuch der abgebildeten Rückenübungen seien dann am nächsten Morgen erstmals die einschießenden Schmerzen aufgetreten“. Diese Geschichte ist sicher kein Einzelfall und spiegelt eine generelle Problematik bei der Selbsthilfe mittels Gymnastik wider: Während der Patient nach Anleitung turnt, wird er in seinen Bewegungen und Haltungen nicht korrigiert und kann sich bei einer vorbelasteten Wirbelsäule sogar verletzen. Zwar gibt es in den entsprechenden Sachbüchern immer auch Hinweise, vor dem Üben zum Arzt zu gehen. Doch wer wartet als Kassenpatient freiwillig erst 2 Monate auf einen Termin und dann 3 Stunden im Wartezimmer, wenn er mit Hilfe von Marianowitz und Co bereits morgen vollends geheilt sein könnte?
Zusammengefasst ist der Besuch beim Facharzt also durch nichts zu ersetzen. Die zahlreichen Produkte und Aussagen medial umtriebiger Ärzte sollten vielmehr als Ad-on betrachtet werden. „Man darf sicher nicht alle Aussagen der Fernseh-Ärzte auf die Goldwaage legen“, antwortet meine Kommilitonin Steffi auf Nachfrage. „Aber hin und wieder finde ich das schon ganz lustig und einige Erklärungen sind wirklich viel klarer als in unseren Lehrbüchern.“ Auch Lukas findet allerlei Positives an den Promi-Docs: „Sie machen die Medizin populär und bringen vielleicht sogar junge Menschen auf die Idee, später mal Medizin zu studieren. In puncto Ärztemangel kann es also nicht schaden, die Medizin regelmäßig ins Rampenlicht zu schieben und durch Thematisierung von Ernährung und Bewegung das Gesundheitsbewusstsein der Massen zu stärken.“
Schwierig kann es allerdings werden, wenn der vermeintliche Ruhm zu Kopf steigt und die Promi-Docs gewagte Thesen über die Effektivität bestimmter Therapieverfahren verbreiten. So ist kürzlich der Orthopäde Martin Marianowitz ins Schussfeuer der Kollegen geraten, weil er sich als vermeintlicher Wirbelsäulen-Experte extrem kritisch gegenüber Bandscheibenoperationen geäußert hatte. Hat er damit eine Grenze überschritten und den medialen Einfluss seiner Äußerungen nur unzureichend bedacht? Und wann sammelt er seine praktischen Erfahrungen, wenn er doch eigentlich hauptsächlich Interviews gibt oder Fachbücher schreibt? Vielleicht sollten sich manche Promi-Ärzte in Zukunft darauf beschränken, unserem Alltag ein bisschen mehr Gesundheitsbewusstsein und Freude an der Wissenschaft einzuhauchen. Aber für Patienten sollte auch weiterhin gelten: Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie lieber ihren No-Name-Arzt oder Apotheker.