Neue Ergebnisse einer aktuellen Arbeit belegen den schon lange gehegten Verdacht, dass das Immunsystem manchmal Krebs fördert, anstatt ihn zu bekämpfen. Damit könnten Immuntherapien schlimmstenfalls nicht nur wirkungslos, sondern sogar schädlich sein.
Die Tumorimmunologie gehört zu den am intensivsten beforschten Gebieten der letzten Jahrzehnte - dabei ist im Grunde genommen bis heute noch nicht einmal sicher, ob das Immunsystem außerhalb experimenteller Modelle überhaupt eine entscheidende Rolle für die Tumorwehr spielt. Die extremen Positionen sind auf der einen Seite die „immune surveillance“- Idee (Krebszellen entstehen dauernd und nur dank des Immunsystems erkranken wir meistens nicht) und auf der anderen Seite die Vorstellung eines genetischen Unfalls auf molekularer Ebene, der zur Entartung der einzelnen Zelle und später zum Untergang des Organismus führt, völlig unabhängig vom Immunsystem. Nichtsdestotrotz hat es - beginnend vielleicht mit den klinischen Versuchen von Wiliam Coley vor etwa 130 Jahren, welcher Krebspatienten mit Streptokokken als Immunstimulans infizierte - unzählige klinische Studien zur Immuntherapie von Krebs gegeben. Am bekanntesten sind die „LAK-Zellen“ (lymphokin-aktivierte Killerzellen) in den 1980ern sowie in neuerer Zeit dendritische Zellen als Immuntherapeutika bei Krebs geworden. Erste Resultate waren manchmal ermutigend. Wirklich etablieren konnten sich die Versuche allerdings nicht.
Vielleicht ist aber das Immunsystem bei Krebserkrankungen manchmal sogar schädlich. Schon seit Jahrzehnten gibt es Wissenschaftler, die darauf hinweisen, dass Immunzellen den Krebs auch fördern könnten, beispielsweise durch Unterstützung bei der Gefäßneubildung oder auch durch Förderung der Gewebsinfiltration. So wurde bereits 1987 in einem provokativen Lancet-Artikel gefragt: „is cancer an ... macrophage-mediated disease?“. Die Autoren spekulierten auf der Basis verschiedener Beobachtungen, dass Krebs sich ohne die Hilfe der Makrophagen des Wirtes kaum ausbreiten könne. Neben Makrophagen kommen auch noch viele andere Zellen als Krebshelfer infrage, insbesondere regulatorische T-Zellen und entsprechend programmierte Monozyten.
In einer aktuellen Arbeit aus dem NCI in Bethesda wurden bei an Sarkomen erkrankten Kindern besondere myeloische Zellen gefunden, die es bei gesunden Menschen so nicht gibt. Diese Zellen vereinen Merkmale von Immunzellen und fibroblatischen Zellen. Sie unterdrücken die Aktivität der T-Lymphozyten mittels der Indolamin Oxidase. Dieses Enzym degradiert Tryptophan als eine besonders für T-Zellen essentielle Aminosäure. Dieser Mechanismus gehört zu den klassischen Kunstgriffen des Organismus, mit denen das Immunsystem ruhiggestellt werden kann, um unerwünschte Reaktionen zu verhindern. Weiterhin fördern diese Knochenmarkzellen der erkrankten Kinder die Angiogenese. Somit verhindern die neu entdeckten tumorinfiltrierenden Immunzellen ein wirkungsvolles Eingreifen ihrer T-Zell-“Kollegen“ ins Krebsgeschehen und schaffen gleichzeitig noch durch Angiogenese günstige Voraussetzungen für eine Tumorausbreitung. Insgesamt wird aus dieser und anderen Beobachtungen klar, dass das Vorhandensein von Immunzellen im Tumor oder um den Tumor herum nicht per se gut für den Patienten ist. Damit ist ebenfalls klar, dass Immuntherapien, seien es „Impfungen“, dendritische Zellen usw. schlimmstenfalls nicht nur wirkungslos, sondern sogar schädlich sein können. Das ist zunächst einmal eine ernüchternde Erkenntnis.
Allerdings ergeben sich daraus auch neue Perspektiven. Es kann eben nicht allein darum gehen, irgendeine Immunreaktion zu etablieren, sondern um eine Lenkung der Immunreaktion in die gewünschte Richtung. Ein möglicher Ansatzpunkt ist in diesem Zusammenhang das oben erwähnte Enzym Indolamin Oxidase. Es sind aktuell Studien in Gange, welche versuchen, dieses Schlüsselenzym durch einen Antimetaboliten (1-MT) oder andere chemische Wirkstoffe zu blockieren und dadurch das Immunsystem zielgerichtet zu aktivieren. Auch verschiedene Pflanzen enthalten Hemmstoffe für das Enzym, z.B die Steppenraute, eine blühende Pflanze, welche im Orient sowohl als Rauschdroge als auch in der Medizin Verwendung findet. Und - wie könnte es anders sein - besonders der grüne Tee, die Wunderdroge der letzten Jahre, enthält in Form der Substanz Epigallocatechingallat einen potenten Inihibitor des in Verdacht stehenden Enzyms.