In den USA haben bereits mehrere Krebspatientinnen Kosmetikhersteller auf Schadensersatz verklagt. Richter sahen einen Zusammenhang zwischen der Entstehung von Ovarialkarzinomen und der perinealen Anwendung von Talkum als erwiesen an. Wie ist die wissenschaftliche Datenlage?
Ende August sprachen Richter aus Los Angeles der Krebspatientin Eva E. (63) die Rekordsumme von 417 Millionen Dollar als Schadensersatz und als Schmerzensgeld zu. Sie sahen Zusammenhänge zwischen einem Ovarialkarzinom und der langjährigen Verwendung talkumhaltiger Pflegeprodukte als erwiesen an. Ob Talkum in Babypuder tatsächlich krebserregend ist, ist in der Forschung aber bislang umstritten – das Urteil entstand auf tönernen Füßen. Talkstücke am natürlichen Fundort ©Pelex, Wikimedia Commons Die Klägerin hatte eigenen Angaben zufolge seit ihrem elften Lebensjahr Puder von Johnson & Johnson im Perineum aufgetragen. Als sie nach ihrer Krebsdiagnose Frauen mit ähnlicher Vorgeschichte kennenlernte, beschloss sie, den Konzern zu verklagen. Zuvor hatte eine Ovarialkarzinom-Patientin aus Virginia 110 Millionen US-Dollar zugesprochen bekommen. Daraufhin sprach das Berufungsgericht im Fall von Eva E. ein neues Urteil aus: Richterin Maren Nelson kassierte die Entscheidung von den Geschworenen mit der Begründung, sie hätten bei ihrer Entscheidung Fehler gemacht. Johnson & Johnson wurde ein neuer Prozess gewährt.
Seit Jahrhunderten wird Talkum als Pudergrundlage verwendet. Es kommt aber auch in der Industrie oder im Sport zum Einsatz. Manche Tabletten enthalten die Substanz ebenfalls. Chemisch betrachtet handelt es sich um ein häufig vorkommendes Magnesiumsilikat. Aufgrund der Schichtstruktur nimmt es Feuchtigkeit auf, was zur begehrten Wirkung in Pudern geführt hat. Es kommt in manchen Lagerstätten zusammen mit diversen Mineralien vor. Dazu zählen neben harmlosen Vertretern wie Serpentin, Olivin, Hämatit, Dolomit oder Calcit auch die Asbestmineralien Tremolit, Aktinolith oder Anthophyllit. Letztere liegen nicht als lungengängige Fasern, sondern als Partikel vor. Wissenschaftler fanden bei älteren Analysen in zwei von 57 Talkumpudern nicht zulässige Asbestkonzentrationen. Laut Gefahrstoffverordnung, Anlage II, dürfen Produkte mit mehr als 0,1 Prozent Asbest nicht in den Verkehr gelangen. Ob handelsübliche Puder tatsächlich das Risiko von Krebserkrankungen erhöhen, ist in der Wissenschaft weiterhin umstritten.
Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC, International Agency for Research on Cancer) bewertete asbestfaserfreien Talk 2006 in ihrer Monographie bei perinealer Anwendung als „möglicherweise karzinogen“ für den Menschen (Gruppe 2B) ein. Experten weisen aber gleichzeitig auf denkbare Verzerrungen und andere Ursachen maligner Erkrankungen hin. Ihnen standen vor allem Fall-Kontroll-Studien zur Verfügung. Eine Analyse der Nurses' Health Study aus 2010 ergab beispielsweise, dass die perineale Anwendung von Talkum je nach Häufigkeit das Risiko von Endometriumkarzinomen bei postmenopausalen Frauen um 21 bis 24 Prozent erhöht. Basis waren Daten von 66.028 Frauen. Doch wie häufig handelt es sich hier um Assoziationen? Gegen kausale Zusammenhänge sprechen mehrere Argumente. Einerseits gab es keine klare Dosis-Wirkungs-Beziehung. Andererseits ist es Wissenschaftlern bislang nicht gelungen, Karzinome des Endometriums im Tierexperiment mit Talkum zu provozieren. Etwas anders sieht die Sachlage bei Ovarialkarzinomen aus. Im Jahr 2007 berichteten Ärzte von einer 68-jährigen Patientin mit fortgeschrittenem Eierstockkrebs. Sie hatte 30 Jahre lang Puder im Genitalbereich eingesetzt. Bei der Untersuchung von Lymphknoten im Beckenbereich ließen sich feinste Partikel nachweisen, die per Rasterelektronenmikroskopie und Röntgenspektroskopie schließlich als Talkum identifiziert werden konnten. Ein seröser ovarieller Tumor ©Ed Uthman, Wikibooks Nach diesem Einzelfall kamen über die Jahre weitere Studien hinzu, die einen Zusammenhang zwischen der Verwendung von Talkum und dem Entstehen ovarieller Tumoren aufzeigen. Im Juli 2017 haben Forscher deshalb eine umfassende Metaanalyse zum Thema veröffentlicht. Bei ihrer Literaturrecherche fanden sie 24 Fall-Kontroll- und drei Kohortenstudien. Dabei zeigte sich nur für das seröse Ovarialkarzinom eine signifikante Assoziation zur Talkum-Anwendung. Das relative Risiko (RR) war bei der Exposition 1, 24 Mal höher als bei Frauen, die entsprechende Produkte nicht im Genitalbereich verwendet hatten. Ansonsten fanden Wissenschaftler keine statistisch signifikanten Unterschiede.
Angesichts der verworrenen Datenlage ist guter Rat teuer. Das amerikanische National Cancer Institute sieht bislang keinen stichhaltigen Beweis für eine Assoziation zwischen perinealer Talk-Exposition und erhöhtem Risiko für Eierstockkrebs. Eine Erkenntnis lässt sich aus den Diskussionen schon heute ziehen. Da es zumindest Hinweise auf Gefahren gibt, falls Frauen talkumhaltige Puder jahrzehntelang im Perineum anwenden, sind Patientinnen auf der sicheren Seite, wenn es bei einem kurzfristigen Einsatz bleibt.