Bio ist ein meist positiv behaftetes Wort. Im Bereich der Kriegsführung jedoch gelten B-Waffen als Massenvernichtungsmittel. Obwohl per Konvention verboten, werden sie immer wieder eingesetzt. Lesen Sie im zweiten Teil der Serie über die Auswirkungen der Biowaffen.
Im Gegensatz zu C-Kampfstoffen sind die biologischen Vertreter natürlichen Ursprungs, aber nicht minder gefährlich. Krankheitserreger, die für Biowaffen missbraucht werden, greifen lautlos an und werden meist erst dann bemerkt, wenn es zu spät ist. Mehr als 50 Erreger und Toxine haben Eigenschaften, die sie für Militärs und Terroristen interessant machen. Zwölf von ihnen sind besonders gefährlich. Sie werden als das „dreckige Dutzend“ bezeichnet. Dazu gehören u.a. Botulismus, Ebola, Hasenpest, Milzbrand und Ricin. Beim Verdacht auf einen Einsatz von Biowaffen ist insbesondere der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) als Behörde dafür zuständig, medizinische Informationen zu erheben, zu bewerten und mit den Strafverfolgungsbehörden zu kooperieren. Ein regulärer militärischer Einsatz biologischer Waffen wird als wenig wahrscheinlich betrachtet. Derzeit gibt es keinen Staat, der offiziell ein B-Waffenprogramm unterhält. Das amerikanische CDC (Centers for Disease Control and Prevention) teilt Biowaffen in drei Kategorien ein: Kategorie A: leichte Ausbringung des Erregers oder leichte Übertragung von Mensch zu Mensch, hohe Letalität:
Kategorie B: relativ einfache Ausbringung, mittelschwere Erkrankungen und niedrige Letalität
Kategorie C: Erreger verfügbar, leicht zu produzieren und auszubringen, hohe Morbidität und Mortalität
"The world at risk" so der Titel einer Analyse, die im Jahr 2008 vom US-Kongress in Auftrag gegeben wurde. Die Autoren gehen davon aus, dass die Möglichkeit eines terroristischen Anschlages mit einer B-Waffe bis 2013 wahrscheinlicher ist, als die Möglichkeit, dass es nicht passiert ("more likely than not").
Das Botulinum-Toxin ist eine der giftigsten Substanzen überhaupt. Bereits mit einem Gramm könnte man mehr als 1 Million Menschen töten. Bereits in den dreißiger Jahren haben die Japaner seine tödliche Wirkung an Kriegsgefangenen erprobt. Im Zweiten Weltkrieg war das Toxin dann in vielen Waffenarsenalen enthalten. Auch Terroristen haben sich in den letzten Jahren für die Substanz interessiert. Die japanische AUM-Sekte hat in Tokio und den USA zwischen 1990 und 1995 mehrere Anschläge mit Botulinum-Toxin-Aerosolen unternommen, die aber wegen mangelhafter Technik misslangen. 1988 kam es unter Gästen eines kanadischen Restaurants zu einem Ausbruch von Botulismus. Die Ursache war ein Gewürz, dem mit Botulinum-Toxin verunreinigtes Knoblauchpulver beigemischt war. Über einen Zeitraum von sechs Wochen, in denen das Gewürz den Gästen offeriert wurde, erkrankten 28 Personen. Botulinumus-Toxin wird auch als Medikament gegen Spastiken und zur Minderung von Mimikfalten in der kosmetischen Medizin eingesetzt. Mit diesen Zubereitungen ist eine Vergiftung nicht möglich.
Das Bakterium Clostridium botulinum gedeiht als Anaerobier nur bei Sauerstoffmangel. Es bildet äußerst widerstandsfähige Sporen. Von den verschiedenen Erregertypen werden unterschiedliche Toxine (Typ A bis G) freigesetzt. Das Toxin ist äußerst empfindlich gegenüber Hitze. Eine Erwärmung auf 80 Grad Celsius während 10 Minuten (oder 85 Grad während 5 Minuten) reicht, um das Giftmolekül zu inaktivieren. Lebensmittelvergiftungen durch Botulinum-Toxin kommen daher relativ selten vor. Wird Botulinum-Toxin als Aerosol freigesetzt, hängt die Halbwertszeit des Giftstoffes von den Umweltverhältnissen ab. Eine hohe Lufttemperatur und eine hohe Feuchtigkeit führen zu einem raschen Abbau. Pro Minute werden ein bis vier Prozent der Moleküle zersetzt. Dies bedeutet, dass bereits nach zwei Tagen die Giftmoleküle nur noch in Spuren vorhanden sind. Die Inkubationszeit (12-36 Stunden, bis mehrere Tage) ist abhängig von der aufgenommenen Toxinmenge. Je früher die Symptomatik beginnt, desto ausgeprägter ist die Intoxikation und die Sterblichkeit. Das Toxin kann durch Erhitzen leicht zerstört werden. Versprühte Aerosole sind nach etwa zwei Tagen inaktiviert. Folgende Symptome treten auf:
Die Atemlähmung tritt meist nach etwa acht Tagen ein und ist für die hohe Sterblichkeitsrate verantwortlich. Die Substanz dringt in Nervenzellen ein. Es wird vorwiegend zur neuromuskulären Endplatte transportiert und bindet sich irreversibel an diese. Das Toxin blockiert die Acetylcholinfreisetzung. Dadurch wird die elektrische Reizung der Muskelzellen völlig blockiert. Der Muskel kann sich nicht mehr zusammenziehen, eine Lähmung ist die Folge. Zur Therapie stehen trivalente und monovalente Antitoxine zur Verfügung, Antibiotika sind wirkungslos, im Schwerpunkt der Therapie steht die Beatmung.
Wenn über ein Gebiet wie Washington 100 kg Milzbrandsporen als Aerosol freigesetzt werden würde, so könnte die Gesamtzahl der Getöteten – je nach Windverhältnissen - zwischen 130.000 und 3 Mio. betragen. Nicht erst seit den Milzbrandanschlägen im Herbst 2001 in den USA ist die Bedrohung durch Milzbrand gegenwärtig. Die letzte tödliche Milzbrand (Anthrax)-Infektion gab es in Deutschland vor 25 Jahren. Der Erreger des Milzbrandes, Bacillus anthracis, ist ein grampositives, gekapseltes, sporenbildendes Stäbchen aus der Familie der Bacillaceae. Seine Sporen sind außerordentlich widerstandsfähig. Nicht die Bakterien selber sind das Hauptproblem, sondern das von ihnen gebildete Exotoxin. Es ist möglich, dass Patienten sterben, obwohl das Blut nach einer Antibiotikatherapie frei von B. anthracis ist. Anthraxsporen sind extrem unempfindlich und können gefriergetrocknet in Sprengköpfe und Granaten gefüllt oder als Aerosol versprüht werden. Im Gegensatz zu Giftgas sind die Sporen in der Luft unsichtbar und geruchlos. Mit dem Wind können sie über viele Kilometer verbreitet werden. Eine direkte Milzbrandübertragung von Mensch zu Mensch ist normalerweise nicht möglich. Der Umgang mit Milzbrandsporen und die Aufbereitung als Biowaffe ist anspruchsvoll. Eine gleichzeitige Infektion einer großen Zahl von Menschen wäre nur möglich, wenn Milzbrandsporen als Aerosol in ausreichender Menge ausgebracht würden. In über 95 Prozent der Fälle ist die Haut die Eintrittspforte für die Erreger, besonders Hände, Arme, Hals und Gesicht. Der Milzbrand kommt in drei Formen vor: Haut-, Lungen- und Darmmilzbrand. Die Inkubationszeit beträgt 2 bis 7 Tage. Es gibt 22 Bacillus-Arten, die dem Milzbranderreger ähnlich sind. Ein Antikörpertest ist deshalb nie zweifelsfrei. Auch mit dem Mikroskop ist der Nachweis schwierig zu führen: es gibt haufenweise völlig harmlose aerobe Sporenbildner in der Umgebung, die Milzbranderregern von ihren mikrobiologischen Eigenschaften sehr ähnlich sind. Um Anthrax-Sporen eindeutig nachzuweisen, sind genetische Verfahren notwendig.
Hautmilzbrand: Durch direkten Kontakt dringen Milzbrandsporen durch kleine oberflächliche Hautverletzungen in den Organismus ein. Nach kurzer Zeit entsteht ein rotes Knötchen mit einem schwarzen Zentrum. Rasch bildet sich darauf ein eitergefülltes Bläschen. Wird der Krankheitsverlauf nicht gestoppt, verschmelzen die Bläschen zur Pustula maligna, den Milzkarbunkeln. Penetriert ein Karbunkel in ein Blutgefäss, ist eine Sepsis möglich. Lungenmilzbrand: Eine wesentlich seltenere Milzbranderkrankung beim Menschen stellt der Lungenmilzbrand dar. Die Infektion erfolgt durch das Einatmen von Sporen. Der Lungenmilzbrand ähnelt symptomatisch einer schweren Lungenentzündung mit starkem blutigen Auswurf, der extrem infektiös ist. Die Symptome sind hohes Fieber, Schüttelfrost, Husten und Atemnot. Unbehandelt hat der Lungenmilzbrand eine hohe Sterblichkeitsrate. Darmmilzbrand: Wird der Darm befallen, kommt es zu blutigem Erbrechen, blutigen Stühlen und schweren hämorrhagischen Darmentzündungen. Der Darmmilzbrand endet fast immer tödlich. Aus allen 3 Milzbrandformen kann sich eine meist letal verlaufende Milzbrandsepsis entwickeln. Die Folgen sind Fieber, Schüttelfrost, Hautblutungen, Milzvergrößerung und Kreislaufschock. Die Milz wird zerstört, verfärbt sich schwarz und sieht aus wie verbrannt. Dieses Aussehen gab der Erkrankung ihren Namen.
In Deutschland sind Impfstoffe gegen die Erreger von Milzbrand weder zugelassen noch kurzfristig verfügbar. Eine prophylaktische Einnahme von Antibiotika ist nicht sinnvoll. Antibiotika gegen Milzbrand sollten nur Menschen einnehmen, die möglicherweise infiziert sind, also mit einem verdächtigen Pulver in Kontakt gekommen sind. Eine Prophylaxe ist nur bei konkreten Anhaltspunkten sinnvoll. Ciprofloxacin ist seit November 2001 gegen Milzbrand zugelassen. Antibiotika verhindern die Ausbildung einer Immunantwort gegen die Erregertoxine. Wegen der Möglichkeit einer verzögerten Auskeimung der Sporen bei Lungenmilzbrand ist auch noch nach 60-100 Tagen ein tödliches Rezidiv bei vorzeitigem Absetzen der Therapie möglich. Daher wird die Fortführung der antibiotischen Therapie für diesen Zeitraum empfohlen. B-Waffen sind verboten, dennoch gehen die Forschungen weiter um auf Augenhöhe mit Terrororganisationen zu sein. Der Wissenschaftler Ron Fouchier und sein Team der Erasmus-Universität hat ein Supervirus entwickelt. Es handelt sich um eine brisante Variante des Vogelgrippe-Erregers H5N1. Im Laborversuch konnten sich Frettchen von der verheerenden Wirkung überzeugen. Die Virulenz des Erregers ist so dramatisch, dass die Wissenschaftler per Dekret erklärten, aus Angst vor Bioterrorismus die Arbeit an dem Virus vorerst einzustellen. Im Jahr 2013 wurde diese aber wieder aufgenommen. Die Waffen werden immer ausgeklügelter, intelligenter und grausamer. Neben den ABC-Waffen gibt es noch High Power Microwave-Waffen (HPM) und die Gruppe der nicht-tödlichen Waffen. Bei den HPM-Waffen, auch als E-Bomben bezeichnet, handelt es sich um Sprengkörper, die Kohlenstoff-Filamente ausstoßen und so zu einem Kurzschluss von elektrischen Anlagen führen. Menschen werden nicht geschädigt. Zu der Gruppe der nicht-tödlichen Waffen zählt man u.a. genmanipulierte Mikroorganismen zur Zerstörung von Materialien. Beispielsweise sind bestimmte Pilze in der Lage, den Tarnanstrich von Flugzeugen zu vernichten oder Kunststoffleitungen aufzulösen. Normalerweise ist wissenschaftlicher Fortschritt spannend, hier bereitet er Gänsehaut. Lesen Sie hier den ersten Teil zum Thema: Sarin: Das tückische Gift