Taugt das Modell des Physician Assistant dazu, den Arzt zu entlasten? Im Klinikalltag hat sich der Arztassistent bewährt. In Zukunft soll er nicht nur im Krankenhaus arbeiten, sondern auch Hausärzte unterstützen. Sie stehen dem neuen Berufsbild allerdings skeptisch gegenüber.
Steffi Kösters-Stroers kann mehr als eine gewöhnliche Krankenschwester. Auf der geriatrischen Station führt sie selbstständig den orientierenden Ultraschall durch. Sie hat gelernt, Standarddiagnosen wie Nierenstau und Harnverhalt oder Konkremente in der Gallenblase zu erkennen. Doch sie kann weniger als ein Arzt: Bei Abnormitäten, oder wenn sie sich nicht sicher ist, holt sie sich jemanden hinzu. Seit ihrer Weiterbildung zum Physician Assistant (PA) liegt ihre Qualifikation zwischen den beiden Berufen. Steffi Kösters-Stroers © privat Kösters-Stroers übernimmt die Voraufklärung für diagnostische Untersuchungen wie Magen-oder Darmspiegelungen. Sie prüft EKGs auf Auffälligkeiten, hört bei der geriatrischen Aufnahmeuntersuchung Herz und Lunge der Patienten ab, übernimmt die vegetative und soziale Anamnese. Alles Tätigkeiten, die den Behandelnden viel Zeit kosten würden, als PA soll sie ihn entlasten. „Der Arzt sieht den Patienten trotzdem auf jeden Fall. Doch vorher hätte das vielleicht 40 Min gedauert, jetzt sind es 5-10 Minuten,“ erzählt Kösters-Stroers.
Kösters-Stroers war schon 44 und gut 20 Jahre als Krankenschwester tätig, als ein Chefarzt sie überzeugte, als Weiterbildung den dualen Bachelorstudiengang PA an der privaten Mathias Hochschule Rheine (heute angesiedelt an der Praxishochschule Rheine) zu belegen. Die Kosten trug in ihrem Fall der Arbeitgeber, das Klinikum Rheine, wo sie auch den praktischen Teil der Ausbildung absolvierte. Zusätzlich war Zeit zum Selbststudium vorgesehen, etwa ein Drittel der Zeit entfielen auf Theorieunterricht an der Hochschule. Das Studium machte ihr viel Spaß und baute auf ihrer Berufserfahrung auf: „Meine Erfahrung in der Dialyse und auf der Intensivstation sind mir sehr zugute gekommen“, sagt sie. Die Unterstützung der Ärzteschaft für ihre Weiterbildung war von Anfang an groß: „Man weiß hier, was ich kann und traut mir das auch zu.“ Angela Grote-Reith ist Chefärztin auf Kösters-Stroers Station und für die Unterstützung durch ihre zwei PAs dankbar. „Ich verwende weniger Zeit für aufwendige Dokumentation und Organisation.“ Sie könne sich stärker auf ihre ärztlichen Kompetenzen konzentrieren. „Beide PAs in meiner Abteilung kennen das Krankenhaus lange aus ihrer Tätigkeit als PTA und Intensivschwester, das macht es leicht.“ Es habe auch eine PA-Hospitantin gegeben, die 20 Jahre und noch nie in der Krankenhausmaschinerie tätig gewesen sei. Das sei „für beide Seiten kein Gewinn“ gewesen, sagt Grote-Reith. „Die Auswahlkriterien der Hochschulen scheinen da unterschiedlich zu sein.“
An der Einheitlichkeit mangelt es wohl auch deshalb, weil die Weiterbildung zum Physician Assistant in Deutschland noch relativ neu ist. Erst etwa 300 fertig ausgebildete PAs haben den Studiengang an einer von zehn privaten Hochschulen absolviert, sie alle sind in Krankenhäusern tätig. Auf dem letzten Ärztetag im Mai wurde nun aber einem Konzeptpapier von Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung zugestimmt, das allgemeine Regeln für den Einsatz und die Ausbildung der PAs vorsieht. Darin steht zum Beispiel, dass Studienbewerber vorab eine mindestens dreijährige Berufsausbildung in einem Gesundheitsberuf absolviert haben müssen. Es besagt, dass der PA dem Arzt unterstellt ist und zeigt enge Grenzen für dessen Einsatz auf: Anamnese, Untersuchung, Diagnose und Aufklärung sollen demnach weiter dem Arzt vorbehalten bleiben. Ein Berufsgesetz für den PA gibt es bisher aber noch nicht. Stärker etabliert ist der Beruf des PA bereits in den USA oder auch in den Niederlanden. Die Arztassistenten werden dort nicht nur in Krankenhäusern, sondern ebenso in Praxen eingesetzt. Auch hierzulande wird derzeit eine Ausweitung des Modells diskutiert. Theodor Windhorst © privat „Die Kliniken haben das Potential bereits gesehen und unterstützen es“, sagt Theodor Windhorst, Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe. Er sieht den Einsatz von PAs auch als Chance für die hausärztliche Versorgung. „Gerade da, wo sich Ärzte zu Versorgungszentren zusammenschließen, wären sie die ideale Ergänzung. Weil die Studiengänge auf dem Pflegeberuf basieren, müssten sie entsprechend angepasst werden, um sie mit dem ambulanten Bereich in Einklang zu bringen. Daran basteln wir gerade herum,“ sagt Windhorst, „aber wir sind da noch ganz am Anfang.“ Doch ausgerechnet die, für die sie in Zukunft arbeiten sollen, stehen den PAs kritisch gegenüber. „Gegen Delegation ist natürlich überhaupt nichts einzuwenden. Sie ist ein wichtiges Element, um die Hausärzte zu entlasten‟, sagt Vincent Jörres, Sprecher des Deutschen Hausärzteverbands. Es sei aber „nicht direkt nachvollziehbar“, warum man dafür ein neues Berufsmodell brauche. „Mit den VERAHs (Versorgungsassistentinnen in der Hausarztpraxis) haben wir als Verband ja bereits ein Modell etabliert, das die Hausärzte bei ihrer Arbeit unterstützt. Sie können zum Beispiel Hausbesuche übernehmen, die keine ärztliche Expertise erfordern.“ Was man unbedingt vermeiden müsse, sei „eine weitere Zersplitterung“ der Versorgung. „Unsere Befürchtung ist: Je mehr Schnittstellen es gibt, desto mehr muss koordiniert werden und desto fehleranfälliger wird ein Versorgungssystem. Manche Modelle werden offensichtlich fern der Praxisrealität entwickelt.“ Zudem brauche man klare Definitionen, was ein PA darf und was nicht. „Was wir nicht brauchen, ist ein ‚Arzt-light-Arztassistent‘ der ohne die entsprechende Expertise und Ausbildung ärztliche Aufgaben übernimmt.“
PA Kösters-Stroers glaubt, die VERAH-Fortbildung könne nicht das Gleiche bieten: „Medizinische Erkenntnisse, die man als Physician Assistant in sechs Semestern erwirbt, bekommt man nicht durch eine Zusatzausbildung, die nur wenige Wochen läuft. Da würde es sich für die Ärzte schon lohnen, noch besser qualifizierte Kräfte zu haben.“ Ähnlich sieht es Windhorst: Hausbesuche speziell auf dem Land stärker an VERAHs zu delegieren, sei keine Lösung. „Das Modell der Landkrankenschwester wollen wir nicht. Landbewohner sind keine Patienten zweiter Klasse und auch sie verdienen eine approbierte Versorgung.“ Die Forderung nach mehr Regulierung hingegen teilt er. Er weiß, dass so mancher Kollege fürchtet, ein PA könne den Arzt ersetzen. „Ein PA soll natürlich keine billige Arbeitskraft sein, die die Ökonomie entlastet, sondern den Arzt. Er soll unter ärztlichem Direktorium stehen. Da helfen nur klare Richtlinien. Und dafür brauchen wir ein Berufsgesetz.“ Quinten van den Driesschen © privat Das, wovor sich deutsche Ärzte fürchten, gibt es aber tatsächlich bereits: in den Niederlanden. Und es scheint, gut zu funktionieren. „Ich mache dieselbe Arbeit wie ein Arzt,“ erzählt Quinten van den Driesschen, der als PA in einer hausärztlichen Praxis arbeitet. „Ich sehe den ganzen Tag meine eigenen Patienten, etwa 30 bis 40.“ Nicht nur ist er ambulant tätig. Er macht auch das, was PAs in Deutschland nach Wunsch vieler Ärzte nicht dürfen sollen. Van den Driesschen stellt selbst Diagnosen, untersucht Kranke, verschreibt Medikamente. Das niederländische Berufsgesetz für PAs lässt das zu. Nur komplexere Fälle und Medikationen bleiben reine Arztsache. Auch gibt es Beschränkungen für PAs, die erst seit kurzem im Job tätig sind. Sie dürfen zum Beispiel keine Babys behandeln, die jünger als drei Monate sind. Von Delegation kann man eigentlich nicht mehr sprechen. „Es ist eine Kollaboration“, sagt van den Driesschen. Er darf aber keine eigene Praxis eröffnen, sondern nur in der eines Arztes mitarbeiten. Mit seiner Praxis hat van den Driesschen eine zusätzliche Vereinbarung getroffen: Kommt er nach zwei Konsultationen bei einem Patienten nicht weiter, dann übernimmt ein Arzt. Anders als in Deutschland ist der PA in den Niederlanden ein Masterstudiengang. Er baut auf Gesundheitsberufe wie Pfleger oder Physiotherapeut auf, die hier Bachelorstudiengänge sind. Die Skepsis deutscher Ärzte gegenüber größeren Befugnissen für den PA findet van den Driesschen schade. Der Arzt, in dessen Praxis er arbeitet, sei froh, mehr Zeit für seine Patienten zu haben. „Ein Arzt sollte sich am besten fragen, ob er mit seiner guten Ausbildung lieber 50 simple Fälle behandeln will, die ihn viel Zeit kosten. Oder stattdessen eine Hand voll anspruchsvoller, anhand derer er sich selbst noch weiterentwickeln kann.“ Van den Driesschen unterrichtet nebenbei selbst angehende PAs an der Fachhochschule HAN in Nimwegen, die mit deutschen Ausbildungsinstituten kooperiert. Er hofft, dass man sich dort in Zukunft für einen Master nach dem Modell des Nachbarlands öffnet. „Ich würde mir wünschen, dass Deutschland und die Niederlande da stärker an einem Strang ziehen.“