Ein Pankreaskarzinom ist bislang nur schwer therapierbar. Onkologen haben nun herausgefunden, warum Tumorzellen kaum auf die Chemotherapie ansprechen: Fibroblasten, die den Tumor umgeben, fangen das Chemotherapeutikum ab. Die Wirkung lässt dadurch stark nach.
Patienten mit fortgeschrittenem Bauchspeicheldrüsenkrebs haben nur eine durchschnittliche Überlebenszeit von wenigen Monaten, wenn sie mit dem bisherigen Standardtherapeutikum Gemcitabin behandelt werden. Warum das so ist, blieb lange Zeit rätselhaft: „In der Petrischale zerstört Gemcitabin rasch Krebszellen aus der Bauchspeicheldrüse, doch bei den meisten Patienten bleibt die Wirkung des Chemotherapeutikums gering“, sagt Albrecht Neeße, Oberarzt an der Klinik für Gastroenterologie und gastrointestinale Onkologie an der Universitätsmedizin Göttingen. Neeße und sein Team untersuchen schon seit einigen Jahren die Gründe, warum Bauchspeicheldrüsenkrebs so schlecht auf Chemotherapeutika anspricht. Nun haben sie in einem Tiermodell der Erkrankung Hinweise dafür gefunden, dass Gemcitabin durch Zellen des Bindegewebes abgefangen wird und deshalb im Tumor seine Wirkung nicht mehr entfalten kann. Wie die Göttinger Onkologen in einem Artikel in der Fachzeitschrift Gut mitteilen, kommt in Fibroblasten, die den Tumor umgeben, deutlich mehr aktiviertes Gemcitabin vor als im Tumor selbst. Pankreaskarzinome zeichnen sich im Vergleich zu anderen Tumorarten durch ein besonders ausgeprägtes Stroma aus. Dieses Stützgerüst aus Bindegewebszellen umgibt die eigentlichen Tumorzellen und fördert wahrscheinlich auch das Tumorwachstum.
Für die Experimente verwendeten Neeße und seine Mitarbeiter genetisch veränderte Mäuse, die sehr anfällig für Pankreaskarzinome sind. Als sich bei diesen Tiere Tumore in der Bauchspeicheldrüse und Metastasen in der Leber entwickelt hatten, verabreichten sie ihnen Gemcitabin. Zwei Stunden nach der Injektion des Chemotherapeutikums entnahmen die Forscher Pankreas- und Lebergewebeproben. Von früheren Studien war bekannt, dass zu diesem Zeitpunkt die Menge an Gemcitabin im Tumor am höchsten ist. Anschließend maß das Team um Neeße mithilfe der Massenspektrometrie, welche Menge an Gemcitabin und seinen Stoffwechselprodukten in den verschiedenen Gewebearten vorhanden war. Gemcitabin ist ein Chemotherapeutikum, dass vor der Anwendung in einer inaktiven Form vorliegt und erst im Organismus in die aktive Form übergeführt wird. Dies passiert durch spezielle Enzyme, die dem Molekül mehrere Phosphatgruppen anhängen und in das biologisch wirksame Gemcitabintriphosphat umwandeln. Dieses wirkt zytostatisch, indem es als Baustein in die DNA eingebaut wird und die DNA-Synthese während der Zellteilung verhindert. Zu ihrem Erstaunen fanden die Forscher deutlich mehr vom Chemotherapeutikum und seinen Stoffwechselprodukten in den Primärtumoren mit viel Bindegewebe als in den Metastasen mit weniger Bindewebe. „Der Großteil des aktivierten Gemcitabins lag nicht in den Tumorzellen sondern in den Bindegewebszellen vor“, berichtet Neeße. Die Bindegewebszellen nehmen nicht nur Gemcitabin auf, sondern wandeln es auch in das aktive Gemcitabintriphosphat um. Dieses kann jedoch die Zellmembran der Bindegewebszellen nicht mehr passieren und steht den Tumorzellen somit nicht zur Verfügung, was die Wirkung der Chemotherapie deutlich vermindert. Molekulare Analysen zeigten, dass bestimmte Enzyme, die Gemcitabin deaktivieren, nur in geringen Mengen in den Bindegewebszellen vorkommen. Das könnte erklären, warum sich in diesen Zellen mehr Gemcitabin anreichert.
Zum Schluss untersuchten die Forscher, was passiert, wenn man Mäuse mit einem fortgeschrittenen Pankreaskarzinom über mehrere Tage mit Gemcitabin behandelt. Auch dieser Versuch bestätigte, dass die Wirkung des Chemotherapeutikums davon abhängig ist, von wie vielen Bindegewebszellen die Tumorzellen umgeben sind: Lebermetastasen mit wenig Bindegewebe schrumpften durch die Behandlung um rund 50 Prozent, die Primärtumoren mit viel Bindegewebe dagegen nur um rund 14 Prozent. Auch wenn Ergebnisse aus Experimenten mit Mausmodellen nicht eins zu eins auf den Menschen übertragbar sind, könnte die aktuelle Studie einen wichtigen Puzzlestein darstellen, der erklärt, warum Gemcitabin bei Patienten mit fortgeschrittenem Bauchspeicheldrüsenkrebs nur eingeschränkt wirksam ist. „Die Ergebnisse sollten nicht überinterpretiert werden, da es noch andere Mechanismen gibt, die dazu führen, dass Tumorzellen nicht mehr auf eine Chemotherapie ansprechen“, sagt Neeße. Er und sein Team wollen nun nach Wegen suchen, mit deren Hilfe man die Aktivierung von Gemcitabin in den Bindegewebszellen verhindern kann und so dessen Wirkung in den Tumorzellen erhöht. „Mit zielgerichteten Therapieansätzen könnte das Tumorstroma eventuell so beeinflusst werden, dass Gemcitabin und andere Chemotherapeutika die Tumorzellen effizienter als bisher zerstören“, hofft Neeße.
Andere Experten halten die Ergebnisse der Studie für hochinteressant: „Sie erklären, warum eine große klinischen Studie erfolglos blieb, in deren Rahmen liposomales Gemcitiabin, das besser von Zellen aufgenommen wird, Patienten mit einem Pankreaskarzinom verabreicht wurde“, sagt Julia Mayerle, Direktorin der Medizinische Klinik und Poliklinik II am Klinikum der Universität München. „Wahrscheinlich haben die Bindegewebszellen des Tumorstromas auch diese eigentlich wirksamere Form von Gemcitabin abgefangen.“ Neue Therapieoptionen, die das Bindegewebe von Pankreaskarzinomen zum Ziel haben, bewertet Mayerle positiv, sieht aber Probleme in der praktischen Umsetzung: „Bei genetisch veränderten Mäusen, die weniger Tumorbindegewebe ausbildeten, wirkten die Chemotherapeutika zuerst besser, die Tiere sterben jedoch früher, da sich bei ihnen mehr Metastasen bildeten.“ Anscheinend, so die Medizinerin, biete das Tumorstroma auch einen gewissen Schutz gegen Metastasierung. Da mittlerweile bekannt ist, dass es verschiedene Arten von Tumorstromata gibt, muss man nach ihrer Ansicht das Angriffziel geschickt wählen, um tatsächlich den gewünschten Effekt zu erhalten. Aber Mayerle sieht noch ein weiteres Hindernis, das es schwierig machen könnte, die Wirkung von Gemcitabin zu steigern: „Bei vielen Patienten mit Bauchspeicheldrüsenkrebs produzieren die Tumorzellen die Proteine hENT1 und dCK nicht, die für die Aufnahme von Gemcitabin ins Zellinnere und dessen Umwandlung in die aktive Form verantwortlich sind“, erklärt die Medizinerin. „Wenn wir im Voraus wüssten, bei welchem Patienten diese Proteine vorhanden sind und bei welchem nicht, könnten wir sagen, wer von einer Therapie mit Gemcitabin profitiert und wer besser ein anderes Chemotherapeutikum bekommen sollte.“ Mayerle plädiert deshalb für weitere klinische Studien, an deren Anfang Pankraskarzinom-Patienten auf solche molekularen Marker getestet werden. Dann kann man sehen, ob ein zielgerichteter Einsatz von Chemotherapeutika das Überleben der Probanden verlängert.