Eine schmerzfreie Wirkstoffaufnahme, die sogar effizienter ist als bei einer herkömmlichen Injektion und dazu noch kaum Abfall produziert? US-amerikanische Wissenschaftler haben ein Mikronadelpflaster entwickelt, das all diese Anforderungen erfüllen soll.
Selbst der effizienteste Wirkstoff ist unbrauchbar, wenn er nicht in ausreichender Menge an seinem Wirkort im Körper ankommt. Je nach Beschaffenheit des Arzneimittels kann sein Transport jedoch zu einer echten Herausforderung werden. Wird Krebs beispielsweise mit einer Antikörpertherapie bekämpft, erreichen trotzt hoher Wirkstoffkonzentrationen nur etwa 1% der Antikörper auch tatsächlich den soliden Tumor, wie Würzburger Forscher einst belegen konnten. Die unwirtlichen Bedingungen des Magen-Darm-Traktes und die Umsetzung der Wirkstoffe in der Leber tragen maßgeblich dazu bei, dass längst nicht alles dort ankommt, wo es gebraucht wird. Vor allem große Biomoleküle wie Peptide, Proteine (Antikörper) und Nukleinsäuren sind oft zu fragil oder gar unlöslich und müssen daher häufig in hohen Dosen verabreicht werden, um den gewünschten Effekt im Körper auszulösen. Hohe Wirkstoffdosen erhöhen aber auch die belastenden Nebenwirkungen für den Patienten – ein Teufelskreis, den Wissenschaftler nun möglicherweise durchbrechen konnten.
Mit Hilfe gewöhnlicher Injektionsnadeln, die in Muskeln, Venen oder anderes Gewebe eindringen, können sensible Therapeutika zwar meist effektiver als über den Magen-Darm-Trakt in den Körper gelangen. Die Anwendung von Spritzen ist jedoch oft schmerzhaft, schwieriger in der Handhabung und birgt auch stets die Gefahr von Verletzungen durch unbeabsichtigte Nadelstiche. Nach der Behandlung entsteht durch gebrauchte Spritzen Müll mit biologischem Gefahrenpotential, der aufwendig entsorgt werden muss. Auch bei Impfungen seien Spritzen eher suboptimal, schreiben die Autoren einer aktuellen Studie im Fachmagazin „Advanced Materials“, denn sie würden die Impfstoffe ins Muskelgewebe abgeben, wo sich nur wenige Immunzellen aufhalten.
Eine alternative Methode, arzneiliche Wirkstoffe vom Körper aufnehmen zu lassen, sind transdermale Pflaster. Sie kommen bereits bei ausgewählten Therapien zum Einsatz, bei denen der Wirkstoff zeitverzögert abgegeben wird wie beispielsweise bei Nikotinpflastern oder Arzneien gegen Reiseübelkeit. Die größte Barriere bei der Anwendung von transdermalen Pflastern stellt jedoch die Epidermis der Haut dar. Sie limitiert die Diffusion der meisten Wirkstoffe durch die Haut, die eine Molekülmasse von mehr als 500 Da aufweisen.
Um die Diffusion zu erleichtern, wurden in den letzten Jahren bereits verschiedene Pflaster mit Mikronadeln entwickelt - Mikrometer große Felder zur minimalinvasiven Wirkstoffabgabe. Wie herkömmliche Nadeln durchdringen auch diese Mikronadeln die Haut. „Weil sie jedoch sehr klein sind und dabei keine Nervenenden berühren, spürt der Patient davon nichts“, beschreiben die Studienautoren die Vorteile derartiger Pflaster. Abhängig von ihrem Aufbau können sie praktisch Moleküle jeglicher Größe in und durch die Haut transportieren. Zudem sind sie relativ kostengünstig herzustellen und für Patienten wesentlich einfacher zu handhaben als herkömmliche Spritzen. Mikronadeln gibt es inzwischen in verschiedenen Ausführungen aus unterschiedlichen Materialien. Die meisten bestehen aus Metallen, Silikonen oder aus wasser-löslichen und biologisch abbaubaren Polymeren. Alle haben jedoch ihre Schwächen: Mikronadeln aus Metallen und Silikonen produzierten nicht nur potentiell gefährliche biologische Abfälle, sie können auch im Körper aufsplittern und immunogene Konsequenzen nach sich ziehen. Bei selbstabbauenden und wasserlöslichen Mikronadeln wird der Wirkstoff gewöhnlich in die Nadelmatrix eingeschlossen, die an einer Art Pflaster haftet. Er entweicht, wenn sich die Matrix abbaut oder auflöst. Biologisch gefährlicher Abfall entsteht dabei nicht. Die Mikronadeln bleiben für die Dauer der Behandlung in der Haut und werden dann, sofern sie sich noch nicht gänzlich aufgelöst oder abgebaut haben, mit dem Abziehen des Pflasters wieder entfernt. Da auch im Pflaster immer ein Teil des Wirkstoffes zurückbleibt, kommt im Körper des Patienten jedoch stets eine undefiniert geringere Menge als die verabreichte Wirkstoffmenge an.
Wissenschaftler der North Carolina State University in Raleigh, USA, entwickelten nun ein neues System, mit dem sich eine genau definierte Wirkstoffmenge effektiv zu ihrem Wirkort transportieren lässt, wie sie bereits an muriner und humaner Haut zeigen konnten. „PRINT“ (Particle Replication In Non-wetting Templates) heißt die Technologie, mit der sich aus vielfältigen Materialien wie selbstabbauenden und wasserlöslichen Polymeren, Zucker oder auch reinen Wirkstoffen reproduzierbar herstellbare Mikropflaster generieren lassen. „Der Herstellungsprozess verläuft schnell und so schonend, dass die Wirkstoffe dadurch nicht beeinträchtigt werden“, schreiben die Wissenschaftler, und das erweitere wiederum das einsetzbare Wirkstoffspektrum. Anders als bei herkömmlichen Mikronadel-Pflastern befindet sich in einem PRINT-Pflaster kein Wirkstoff im Pflaster, denn dieses wird nach der Anwendung entfernt, während die abbaubaren Mikronadeln in der Haut verbleiben. So ist sichergestellt, dass der gesamte Wirkstoff in den Körper gelangt. Das gelingt, weil die Mikronadeln und das Pflaster chemisch unterschiedlich aufgebaut sind. So kann das Pflaster nach Ende der Anwendung einfach mit Leitungswasser aufgelöst werden, ohne die sich in der Abbauphase befindlichen Mikronadeln und den Wirkstoff darin zu beeinflussen. Auch zu den biologischen Gefahrenstoffen zählender Müll wird auf diese Weise umgangen. Copyright: Katherine A. Moga,The University of North Carolina at Chapel Hill. Das Material sei außerdem so flexibel, dass es sich – im Gegensatz zu anderen Mikronadeln – gut an die Hautstruktur anpasse. „Ein wesentlicher Vorteil unseres System liegt in der einfachen Herstellung der Mikronadel-Pflaster“, erklärt Katie Moga, Wissenschaftlerin im DeSimone-Labor. „Andere Mikronadeln können nur in kleinen Chargen herstellt werden, da die Wirkstoffe mit Zentrifugations- und Vakuumschritten in die Nadeln überführt werden. Auf diese Produktionsschritte können wir verzichten.“ Das spare Zeit, Geld und schone die Wirkstoffe.
Das Mikronadelpflaster könne vielfältig angewendet werden, beispielsweise bei Impfungen oder bei Hauterkrankungen wie Psoriasis, schreiben die Wissenschaftler. Bereits im Jahr 2010 hatte eine Arbeitsgruppe zeigen können, dass eine Influenza-Impfung verabreicht durch ein Mikronadelpflaster eine stärkere Immunantwort auslöst als die gleiche Dosis verabreicht durch eine herkömmliche Spritze. Auch Patienten, die auf regelmäßige Injektionen angewiesen sind, könnten von der neuen Technik profitieren. Speziell bei einigen Formen von Brust- und Hautkrebs sehen die Forscher außerdem geeignete Anwendungsgebiete. Gemeinsam mit dem industriellen Partner soll das Pflaster möglichst bald produziert werden. An einer ganz konkreten Anwendung arbeiten die Wissenschaftler aber bereits.
Die USA haben den Mikronadel-Entwicklern gerade 4,5 Millionen US Dollar zur Verfügung gestellt, um an der University of North Carolina in Chapel Hill auf Basis des Mikronadelpflasters schnell verfügbare Gegenmittel für einen potentiellen Angriff mit chemischen Waffen zu konzipieren. Diese will die Regierung sowohl bei militärischem Personal als auch bei der Zivilbevölkerung einsetzen. „Bei einem Angriff mit chemischen Waffen zählt jede Sekunde. Ein schnelle Anwendung eines Nervengasgegenmittels kann dann Leben retten“, so Studienleiter Prof. Joseph DeSimone. Innerhalb der nächsten fünf Jahre sollen die Wissenschaftler ihr Mikronadelpflaster für einen solchen Einsatz optimieren. Ist ein geeigneter Prototyp gefunden, sollen die Pflaster in Produktion gehen.