Die Landesregierung Niedersachsen hat den Vorstoß gemacht und gefordert, dass sozial schwache Frauen einen Anspruch auf Verhütung haben. Bisher gibt es dieses Angebot nur für Frauen unter 20 Jahren. Wie sinnvoll ist dieser Vorschlag und was sagen die Krankenkassen dazu?
Allen Frauen in Deutschland soll der Zugang zu Verhütungsmitteln ermöglicht werden – dies fordert das Land Niedersachsen jetzt mit einer Bundesratsinitiative. Dass ein derartiger Vorstoß im Jahr 2017 überhaupt nötig ist, erstaunt, tatsächlich gibt es bis heute keine bundesweit einheitliche Regelung. Seit der Einführung von Hartz IV vor 13 Jahren haben nur Frauen unter 20 Jahren einen Anspruch auf Verhütungsmittel. Alle anderen Frauen haben diesen Anspruch nicht. „Die Notwendigkeit, Frauen mit geringem Einkommen kostenlose Verhütungsmittel zur Verfügung stellen zu können, steht seit Jahren in der sozialpolitischen Diskussion“, sagt Naila Eid, Pressesprecherin des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung. Schon 2014 habe sich Sozialministerin Cornelia Rundt für die Kostenübernahme des Bundes eingesetzt. „Es ist schlichtweg nicht gerechtfertigt und nicht gerecht, dass keine ausreichenden Mittel für ärztlich verordnete Verhütungsmittel zur Verfügung gestellt werden“, so Eid. Andererseits müsse Niedersachsen die Kosten für einen Schwangerschaftsabbruch übernehmen, sofern eine Bedürftigkeit vorliege: „Diese Situation ist menschenverachtend und kann nicht länger hingenommen werden. Hier hat im Interesse der betroffenen Frauen eine Korrektur zu erfolgen“, sagt die Sprecherin, „dieses Ziel verfolgt die Bundesratsinitiative.“
„Seit 2004 mit der Einführung des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes ist für betroffene Frauen ein Flickenteppich von verschiedenen kommunalen Angeboten entstanden“, sagt Alexandra Ommert von Pro Familia. „In manchen Bundesländern gibt es aber auch überhaupt kein Angebot.“ Ommert ist Projektleiterin von Biko, ein Modellprojekt, mit dem der Verein nach eigener Aussage dazu beitragen möchte, eine bundeseinheitliche Regelung zu finden. „Wir haben nun die Möglichkeit bekommen, in der Praxis zu erproben, wie eine gute Lösung aussehen kann“, so Ommert. Pro Familia setze sich schon lange dafür ein, dass Frauen Zugang zu Verhütungsmitteln bekämen: „Der Bundesverband hat bereits 2015 eine Kampagne für kostenfreie Verhütungsmittel für Menschen mit geringem Einkommen gemacht und eine öffentliche Bundestagspetition hierzu eingereicht, damit die Situation sich verbessert.“
Studien hätten gezeigt, dass Frauen, denen das Geld für Verhütungsmittel fehlt, auf Verhütung verzichten, sagt die Projektleiterin. Manche würden auch auf andere Verhütungsmittel ausweichen, die sie sich leisten könnten, die aber unter Umständen weniger sicher seien. Darum läge ihr das Projekt besonders am Herzen. „Es richtet sich an Frauen, die älter sind als 20 Jahre, nach oben hin gibt es keine Altersbeschränkung.“ Biko steht für „Beratung, Information und Kostenübernahme bei Verhütung“ und wird finanziert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Es wird an den sieben Standorten in Lübeck, Saarbrücken, Wilhelmshaven Erfurt, Halle an der Saale, Ludwigsfelde und Recklinghausen durchgeführt und das Angebot gilt für das jeweilige Einzugsgebiet. Angesprochen sind Frauen, die Sozialleistungen bekommen oder deren Einkommen unterhalb der Armutsgrenze liegt. Mit dem Rezept vom Gynäkologen und der Zusage von Biko bekommen sie in der Apotheke das Verhütungsmittel kostenfrei, die Apotheke rechnet über Pro Familia ab. „Mit dem Modellprojekt können wir Zahlen erheben, die uns hoffentlich zeigen werden, wie hoch der Bedarf tatsächlich ist“, sagt Ommert. Wie viele Frauen bisher das Angebot in Anspruch genommen haben und welche Verhütungsformen sie brauchten, will sie nicht sagen: „Das Projekt wird evaluiert, konkrete Zahlen wird es erst zum Ende des Projekts im Sommer 2019 geben. Wir sehen aber, dass es eine sehr gute Nachfrage gibt und unsere Beraterinnen in der Regel volle Terminkalender haben.“
Auf die Frage, ob Verhütungsmittel für Bedürftige sinnvoll wären, reagieren die Krankenkassen zurückhaltend. „Bisher gibt es keinen gesetzlichen Auftrag, also stellt sich die Frage für uns nicht“, sagt eine Sprecherin des AOK-Bundesverbands. Der GKV -Spitzenverband sehe hinter dem Vorstoß aus Niedersachsen eine gesellschaftspolitische Debatte, die erst noch geführt werden müsse, so deren Sprecherin Ann Marini: „Wenn die Politik bedürftigen Frauen helfen will, ist das sicherlich ehrenhaft, sie müsste die Finanzierung dafür jedoch aus Bundesmitteln vornehmen, etwa über einen erhöhten Bundeszuschuss. Eine Finanzierung alleine durch die Beitragszahler in der GKV würde dem gesellschaftspolitischen Ansatz, also der Fürsorgeaufgabe des Staates für Bedürftige, nicht entsprechen.“ In diese Richtung geht auch der Vorstoß Niedersachsens. Die angestrebte „bundeseinheitliche Regelung zur Kostenübernahme von Verhütungsmitteln“ wurde von der Landesregierung dem Bundesrat zugeleitet, so Sprecherin Eid. „Er wird voraussichtlich in seiner nächsten Sitzung beraten. Insoweit bleibt die Entscheidung des Bundesrates hinsichtlich des weiteren Verfahrens abzuwarten.“