Bei kaum beherrschbaren Formen von Diabetes mellitus bleibt eine Inselzelltransplantation als Ausweg, heißt es in Lehrbüchern. Jenseits der grauen Theorie machen gesetzliche Regelungen Patienten das Leben zur Hölle – und brauchbare Bauchspeicheldrüsen landen im Klinikmüll.
Juristische Aufarbeitung eines Skandals: In Göttingen steht momentan Aiman O. vor Gericht. Staatsanwälte werfen dem Transplantationsmediziner vor, Wartelisten zu Gunsten seiner Patienten gefälscht zu haben – möglicherweise ein fahrlässiges Tötungsdelikt. Patienten reagierten entsetzt, und so sank die Zahl an Organspenden im ersten Halbjahr 2013 um 18,3 Prozent, gemessen an 2012. Während Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) über Engpässe bei Lebern, Nieren, Herzen, oder Lungen klagt, spielt sich gänzlich unbeachtet ein Drama der besonderen Art: Inselzellen aus Bauchspeicheldrüsen könnten Menschen mit schwerem Diabetes mellitus helfen. Die Gewebe sind keine Mangelware, allerdings fehlen transparente Strukturen.
Zur Gewinnung und Transplantation haben sich über die Jahre mehrere Herangehensweisen, etwa das Gießen- und das Edmonton-Protokoll, etabliert. Im Labor bauen Mediziner Pankreasgewebe mit Kollagenasen enzymatisch ab, wobei endotoxinfreie Reagenzien zu verwenden sind. Inselzellen lassen sich im Dichtegradienten abzentrifugieren. Sie werden anschließend suspendiert und unter Lokalanästhesie sowie unter radiologischer Kontrolle in die Pfortader der Leber injiziert. Um Thrombosen zu vermeiden, überwachen Ärzte den Druck in der Portalvene. Transfundierte Inselzellen verbleiben im Gefäßsystem und nehmen ihre Tätigkeit auf. Nach der erfolgreichen Gabe sollten Patienten einige Tage stationär nachbeobachtet werden. Aus pharmakologischer Sicht benötigen sie anfangs weiter Insulin. Maßnahmen zur Infektionsprophylaxe und zur Immunsuppression kommen mit hinzu. Ein paar Zahlen: Die Universität Gießen erfasst mehr als 95 Prozent aller Inselzelltransplantationen. Nach zwölf Monaten muss jeder vierte Diabetiker kein Insulin mehr spritzen. Fünf oder mehr Jahre später sind fast alle Patienten wieder insulinpflichtig, Restfunktionalitäten erleichtern die Einstellung stabilen Stoffwechsellagen aber nach wie vor. Hinter dem Verlust an Zellaktivität stecken körpereigene Abstoßungsreaktionen sowie negative Folgen diverser Immunsuppressiva.
Weltweit suchen Forscher deshalb nach neuen Strategien. Sie verkapselten zu transplantierende Zellen in Alginatkügelchen, um Abstoßungsreaktionen zu vermeiden – auch ohne Suppression des Immunsystems. Das Material ist biologisch inert, lässt aber Insulin passieren. Bei Mäusen mit Typ-I-Diabetes normalisierten sich Blutglukosespiegel rasch. Weitere Arbeitsgruppen untersuchten, ob außer der Pfortader noch immunologisch besser geschützte Organsysteme als Ziel infrage kommen. Im Tierexperiment war das Knochenmark gut geeignet. Auch machen Xenotransplantationen langsam Fortschritte – momentan kommen Zellen anderer Tiere aufgrund starker Abstoßungsreaktionen nicht infrage. Forschern aus Deutschland und Japan ist es gelungen, transgene Schweine zu generieren, deren Inselzellen „immun“ gegen Abstoßungsreaktionen waren. LEA29Y, einer Variante des Cytotoxic T-Lymphocyte Antigen 4 (CTLA4), versorgte fremde T-Zellen mit inhibitorischen Signalen. Erhielten Diabetes-Mäuse mit humanem Immunsystem die transgenen Inselzellen, traten keine Abstoßungsreaktionen mehr auf, und ihr Blutzucker normalisierte sich. Forscher aus Würzburg berichten jetzt von weiteren Ideen: Stammzellen könnten entweder im Labor oder im Körper selbst zu insulinproduzierenden Zellen umprogrammiert werden.
Von dieser Zukunftsmusik profitieren Diabetiker vielleicht in einigen Jahren. Momentan bleibt ihnen nur die Hoffnung auf Inselzellen. Was medizinisch funktioniert, scheitert momentan an bürokratischen Hürden: Verstirbt ein Patient, der rechtlich und medizinisch als Organspender infrage kommt, ist bei Bauchspeicheldrüsen Eurotransplant gefragt. Viele dieser Organe stammen von älteren, übergewichtigen Patienten. Ärzte lehnen die „B-Ware“ häufig ab, obwohl sich daraus noch Inselzellen isolieren ließen. Das darf erst nach dreimaligem „Nein“ geschehen – falls Spender Gewebeentnahmen erlaubt haben. Sind alle Hürden genommen, stellt sich die Frage nach möglichen Empfängern von Inselzellen, schließlich nagt der Zahn der Zeit an Bauchspeicheldrüsen. Eurotransplant hält sich heraus, da es sich streng genommen nicht mehr um Organe handelt. Hier greifen nationale Regelungen: Das „Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln“ (Arzneimittelgesetz) befasst sich im Paragraphen 20c unter anderem mit der Inverkehrbringung von Geweben. Noch detaillierter geht das „Gesetz über Qualität und Sicherheit von menschlichen Geweben und Zellen“ (Gewebegesetz) auf entsprechende Sachverhalte ein.
Trotz aller Regularien gibt es keine zentrale Stelle, um Inselzellspenden zu koordinieren. Zusätzlich bremst das zweifelsohne sinnvolle Transplantationsgesetz alle Bemühungen. Ein Fazit: Deutschland wird – gemessen an internationalen Tendenzen – medizinisch stark abgehängt. Großbritannien hat beispielsweise sieben spezialisierte Behandlungszentren eingerichtet, die Inselzelltransplantationen durchführen. Hierzulande kann die Antwort jedoch nicht lauten, bestehende Gesetze großzügig auszulegen, zu angeschlagen ist der Ruf von Transplantationsmedizinern dank einzelner schwarzer Schafe. Möglich wäre, mit staatlicher Unterstützung zentrale Wartelisten einzuführen. Ob sich Akteure mit unterschiedlichen Interessen einigen, bleibt fraglich. Alternativ empfehlen Experten, Inselzellen als Organ einzustufen und in die bestehende Logistik von Eurotransplant zu integrieren. Langsam sollte etwas geschehen: Bis 2030 rechnen Forscher mit zusätzlichen 1,5 Millionen Diabetikern in der Altersgruppe von 55 bis 74. Nicht jeder Patient wird sich mit Insulinen ideal einstellen lassen.