In Krankenhäusern befindet sich mikrobielles Leben unter uns: Forscher stießen nun auf eine unerwartet große Vielfalt von Mikroorganismen. Die bisherigen Hygienemaßnahmen unterscheiden jedoch nicht zwischen gefährlichen und wünschenswerten Mikroben.
Myriaden nützlicher und schädlicher Bakterien umgeben den Menschen. In Krankenhäuser sorgen umfangreiche Hygienemaßnahmen dafür, dass pathogene Mikroben sich dort möglichst nicht ausbreiten und Patienten infizieren. Dennoch erkranken diese immer wieder an bakteriellen Infektionen, oft mit tödlichem Ausgang. Nun hat ein Forscherteam aus Graz zum ersten Mal genauer untersucht, welche Bakterien in der Intensivstation eines Klinikums vorkommen. Wie die Wissenschaftler um Professorin Gabriele Berg in der Fachzeitschrift Scientific Reports mitteilten, gibt es auch in einer vermeintlich weitgehend sterilen Umgebung eine unerwartet hohe Vielfalt von Mikroorganismen, darunter zahlreiche potenziell nützliche Bakterien.
Bis vor wenigen Jahren konnte man mit Hilfe von klassischen Kultivierungstechniken nur einen kleinen Teil der in Krankenhäuser vorkommenden Bakterien aufspüren und analysieren. Dank der rasanten Entwicklung moderner DNA-Sequenzierungsmethoden war es nun Berg und ihren Mitarbeitern möglich, das gesamte Spektrum an Mikroorganismen zu erfassen. „Die neuen Techniken erlaubten uns den schnellen Nachweis der Bakterien, die wir ansonsten mühsam und langwierig im Labor hätten kultivieren müssen“, sagt Professorin Gabriele Berg, die Leiterin des Instituts für Umweltbiotechnologie der Technischen Universität Graz ist. Ihre Mitarbeiter entnahmen in der Intensivstation des Universitätsklinikum Graz zuerst 34 Proben von Oberflächen aus drei verschiedenen Bereichen, die Fußböden, medizinische Geräte und Arbeitsplätze umfassten. Aus den Proben vervielfältigten sie das 16S rRNA-Gen, das in allen Bakterien in ähnlicher Form vorliegt und den Bauplan für ein Protein trägt, das in Bakterien und anderen Zellen eine wichtige Rolle bei der Übersetzung der Erbinformation spielt. Anschließend verglich das Team um Berg mit Hilfe eines Computerprogramms alle gefundenen DNA-Sequenzvarianten dieses Gens mit bisher schon bekannten Bakteriensequenzen.
Insgesamt fanden die Forscher rund 300000 Sequenzen des 16S rRNA-Gens. Diese konnten sie größtenteils sieben Bakterienstämmen zuordnen, die sich wiederum auf 405 verschiedene Gattungen aufteilten. Nur ein kleiner Teil der 76 häufigsten Bakteriengattungen kam in allen drei untersuchten Bereichen vor: Auf den medizinischen Geräten hatten sich 48 der häufigsten Gattungen angesiedelt im Gegensatz zu den Fußböden, auf denen die Forscher nur 26 dieser Bakteriengattungen entdecken konnten. Zudem unterschied sich die Zusammensetzung der mikrobiellen Populationen auf den Fußböden deutlich von der auf den medizinischen Geräten und Arbeitsplätzen, wo sich vor allem hautassoziierte Keime ausgebreitet hatten. In einem weiteren Experiment entnahm Bergs Arbeitsgruppe in der Intensivstation weitere zehn Proben von medizinischen Geräten und Arbeitsplätzen und vermehrte im Labor die darin enthaltenen Bakterien auf Zellkulturplatten, wo diese zu kleinen Kolonien heranwuchsen. Anschließend isolierten die Forscher aus diesen Bakterienansammlungen die Erbinformation und verglich die DNA-Sequenz von deren 16S rRNA-Gen mit den Daten aus der ersten Versuchsreihe. Zum ihren Erstaunen konnten Berg und ihre Mitarbeiter mit Hilfe der Standardkultivierung nur zehn verschiedene Bakteriengattungen detektieren. Das entspricht gerade 2,5 Prozent aller Bakteriengattungen, die mit Hilfe der modernen Methode der Hochdurchsatz-Sequenzierung gefunden wurden.
Obwohl die Forscher in der Intensivstation eine hohe Anzahl an unterschiedlichen Bakterien entdeckt haben, ist ihre Vielfalt im Vergleich zu anderen Innenräumen eingeschränkt. Ein bedeutender Anteil der in der Intensivstation vorliegenden Bakterienarten gehören zur Normalflora des Menschen, die dessen innere und äußere Körperflächen besiedelt. Einige dieser Bakterienarten, wie beispielsweise Staphylokokken und Shigellen, können beim Menschen eine Erkrankung hervorrufen. Dass sich in dem viermonatigen Untersuchungszeitraum 101 Patienten in der Intensivstation mit einem bakteriellen Erreger infizierten, untermauert den potenziell pathogenen Charakter einiger dieser Oberflächenkeime. „In einer aus vielen Räumen und Gängen bestehenden Intensivstation kann Sterilität nicht vollständig gewährleistet werden, da Mitarbeiter und Patienten dort permanent Mikroorganismen hineinbringen“, sagt Berg. Besonders viele pathogene Bakterien konnten sie und ihre Mitarbeiter auf den Tastaturen finden, mit denen die medizinischen Geräte bedient werden. Berg: „Diese Apparate werden nicht immer ausreichend desinfiziert, da sie von Patient zu Patient transportiert werden und schnell verfügbar sein müssen.“
Daneben fanden die Forscher aber auch in allen drei untersuchten Bereichen viele Bakterienarten, denen eine potenziell nützliche Wirkung auf Menschen zugeschrieben wird. „Wir konnten eine überraschend hohe Anzahl an Nützlingen nachweisen, also solchen, die in positiver Interaktion mit dem Menschen stehen“, sagt Berg. Sie fordert deswegen keine stärkeren Hygienemaßnahmen in den Intensivstationen, um dort die Sterilität zu erhöhen, sondern das Gegenteil: „Die Nützlinge im Krankenhaus-Mikrobiom stellen sich potenziellen Krankheitserregern entgegen und sind daher zu fördern“, erklärt Berg. Bisherige Hygiene- und Sterilitätsmethoden, so die Forscherin, unterschieden aber nicht zwischen wünschenswerten und gefährlichen Bakterien, sondern führten möglicherweise zu einer Anreicherung der pathogenen Vertreter. Es brauche daher ein anderes Verständnis von Sterilität und eine neue Bewertung bisheriger Hygienemaßnahmen im Krankenhausbetrieb.