Studenten tun es, Ärzte auch, Promis eh - sich mental zu tunen, ist angeblich kein Randphänomen. Doch es geht auch pillenlos, mit physikalisch-elektrischen Eingriffen am Hirn. Laut einer Studie könnten diese Methoden vorteilhaft im Militär eingesetzt werden.
Sind wir auf dem Weg von einer Leistungsgesellschaft hin zu einer Leistungssteigerungsgesellschaft, in der wir uns immer mehr selbst ausbeuten und instrumentieren? Das fragt Armin Grunwald, Leiter des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) und Professor für Technikphilosophie am Institut für Philosophie des KIT in einem aktuellen Buch. Fakt ist sicher: Seit Urzeiten versuchen Menschen, sich physisch und mental zu optimieren, sei es mit Drogen oder mit Medikamenten. Geht es um einen dicken Bizeps und einen besonders langen Atem, ist heute von Doping die Rede; soll das Hirn über sich hinauswachsen wird es - wissenschaftlich beschönigend - "Neuro-Enhancement" genannt. In der Regel werden dazu psychoaktive Drogen oder Pharmaka verwendet, angefangen bei koffeinhaltigen Getränken und Alkohol bis hin zu Amphetamin-Präparaten.
Auch beim Militär ist die Anwendung leistungssteigernder und psychoaktiver Drogen sicher keine Erfindung des 21. Jahrhunderts. Mit Alkohol hat sich wahrscheinlich schon in der Antike so mancher Kämpfer den erforderlichen Mut angetrunken. Dass pharmakologisches Neuro-Enhancement auch in modernen Armeen der Gegenwart kein Tabu ist, wurde zum Beispiel 2003 öffentlich bekannt: Zwei Piloten der US-Luftstreitkräfte hatten in Afghanistan versehentlich vier kanadische Soldaten getötet und mehrere verletzt - um fit zu sein, hatten die US-Piloten amphetaminhaltige Wachmacher-Pillen (Dexedrin) eingenommen.
Heute ist allerdings zunehmend Elektrisches in, nicht nur im Automobil-Bau und in der Medizin, sondern auch bei jenen, die sich oder andere besonders helle und smart machen wollen. Ohnehin neige sich die Ära der Psychopillen dem Ende zu, schrieb kürzlich der klinische Psychologe Dr. Vaughan Bell in der britischen Tageszeitung "The Guardian". Statt auf die Entwicklung von Psychopharmaka werde sich immer mehr auf physikalische Eingriffe am Gehirn konzentriert. Ein bekanntes Beispiel seien neurostimulative Verfahren, deren Anwendung in den letzten Jahren geradezu explodiert sei. Ein weiteres Beispiel seien optogenetische Methoden, experimentelle Verfahren, bei denen gezielt genetisch modifizierte Neuronen äußerst präzise mittels Licht beeinflusst werden. Elektrisches erlebe in der Medizin seit einigen Jahren eine Art Renaissance, so auch der Leipziger Medizinhistoriker Professor Holger Steinberg.
Verfahren der Neurostimulation oder Neuromodulation haben in der Medizin in der Tat in den letzten Jahren zunehmend an Stellenwert gewonnen. Erforscht und angewendet werden sie bei Patienten mit ganz unterschiedlichen Erkrankungen. Das Spektrum der Indikationen reicht dabei von Schmerzen, etwa Kopfschmerzen, sowie Depressionen und Psychosen wie der Schizophrenie über Bewegungsstörungen und Tinnitus bis hin zu Adipositas und Anorexia nervosa und auch Morbus Alzheimer. En vogue sind außer der Tiefenhirnstimulation (THS) seit einigen Jahren nicht-invasive Stimulations-Verfahren, etwa die repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS) und die transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS). Eine Vielzahl von Studien hat inzwischen den Nutzen solcher Verfahren für Menschen mit unterschiedlichen Erkrankungen belegt.
Immer mehr Studien haben zudem gezeigt, dass mit Neurostimulations-Methoden auch bei gesunden Menschen als positiv geltende Effekte erzielt werden können, etwa auf Motorik, Aufmerksamkeit und Gedächtnis. Auch das Verhalten kann beeinflusst werden, etwa die Bereitschaft, spontan die Wahrheit zu sagen, aber auch die Fähigkeit, zu lügen, außerdem die Fähigkeit, Bedrohungen rasch zu erkennen und darauf zu reagieren. Auch im Sport und in der Trainingswissenschaft können solche Verfahren angewendet werden. Nach Experimenten von Schweizer Neuroökonomen können solche nicht-invasiven Methoden sogar die Bereitschaft steigern, sich sozialen Normen zu unterwerfen bzw. normenkonform zu verhalten, um so sozial kompatibel zu bleiben oder zu werden.
Es ist daher kaum verwunderlich, dass sich auch das Militär und andere Sicherheits-Organe für die Fortschritte der Neurowissenschaftler interessieren. Verfahren der Neuromodulation wie die nicht-invasiven Stimulations-Methoden sind nur ein Beispiel für Methoden, von denen hier Verlockungen ausgehen. Mehrere experimentelle Befunde stützten die Vermutung, dass nicht-invasive Neurostimulations-Verfahren auch bei Soldaten und anderem Sicherheits-Personal eingesetzt werden könnten, schreibt ein Autoren-Team um Dr. Jean Levasseur-Moreau von der Universität Laval in Quebec in den „Frontiers in Human Neuroscience“. Allerdings seien noch einige Fragen zu klären, etwa die, ob die experimentellen Befunde ins reale Leben übertragen werden könnten und ob die erzielbaren Effekte überhaupt sinnvoll seien. Und selbstverständlich müssten auch Aspekte der Moral und der Sicherheit intensiv diskutiert werden.
Erhebliche Bedenken äußern hierzu die beiden Wissenschaftler Dr. Bernhard Sehm und Dr. Patrick Ragert vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig. So sei zum Beispiel die Frage zu klären, ob ein Militär-Angehöriger eine solche medizinische Intervention überhaupt ablehnen könnte, ob eine solche Therapie also nicht grundsätzlich die Autonomie der Betroffenen verletze. Unklar sei auch, ob Soldaten, die so behandelt worden seien, für ihr Tun - etwa in Kampfeinsätzen - verantwortlich wären. Ein anderer Aspekt sind die Langzeiteffekte auf die Gesundheit: Möglicherweise kompensierten negative Effekte die positiven, so dass es sich um ein Null-Summen-Spiel handeln könnte. Vor allem sei es ein möglicherweise äußerst gefährliches Unterfangen, im Labor gewonnene Erkenntnisse in der realen Welt militärischer Konflikte, sozusagen auf dem Schlachtfeld, anzuwenden. Nicht-invasive Neurostimulations-Verfahren und psychoaktive Substanzen sind übrigens nicht die einzigen Optionen, mit denen ein gesundes Hirn verbessert werden könnte: Längst forschen Wissenschaftler und Techniker an Hirn-Implantaten zur kognitiven Erweiterung, wie der Bioethiker Dr. Frédéric Gilbert in einem aktuellen Buch schreibt. Das klingt sicher stark nach Vision. Doch "was einmal gedacht wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden", so der kranke Wissenschaftler Möbius in Friedrich Dürrenmatts Komödie "Die Physiker".