Modafinil oder Methylphenidat werden immer attraktiver. 20 Prozent der befragten Chirurgen nutzen solche Substanzen, um dem Arbeitsstress gewachsen zu sein. Hausärzte berichten, sie seien mit dem Thema wenig vertraut, werden aber häufig um ein Rezept gebeten.
Doping im Schachspiel ist möglich. So Prof. Klaus Lieb, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Universitätsmedizin Mainz@ DRZ, Uni-Mainz
In Rheinland-Pfalz befragte das Mainzer Team rund 2.700 Allgemeinärzte anonym zu solchen Aufputschmitteln im Praxisbetrieb. Unter den rund 30 Prozent der zurückgespiegelten Antworten gaben 43 Prozent zu, nicht mit dem Thema vertraut zu sein. Dennoch berichteten 41 Prozent der Ärzte, von Patienten im letzten Jahr um eine entsprechendes Rezept gebeten worden zu sein, 7 Prozent allein in der letzten Woche. Im Vergleich etwa zur Verschreibung von Sildenafil auch ohne eindeutige Indikation waren die Ärzte jedoch bei kognitiven Enhancern deutlich zurückhaltender. Vor allem Befürchtungen vor einem Missbrauch der Mittel nannten die Befragten als Grund für ihre Zurückhaltung. Entsprechend einigen Veröffentlichungen hat die Zahl der Off-Label Verschreibungen allein in den Jahren 2002 bis 2009 um etwa das Fünfzehnfache zugenommen, mit der entsprechenden Indikation dagegen nur um weniger als das Dreifache. Schätzungen kalkulieren dementsprechend den Anteil der gesunden Modafinil-Nutzer auf rund neun von zehn. „Langzeit-Studien, die zeigen, dass diese Substanzen auch im gesunden Menschen sicher sind, gibt es nicht.“, beschreibt Barbara Sahakian von der Cambridge University den aktuellen Forschungsstand. Das bestätigt auch Claus Normann von der Uniklinik in Freiburg: „Mögliche Nebenwirkungen oder die Suchtgefahr dieser Substanzen sind unklar.“ Immer wieder gibt es Berichte, dass besonders Methylphenidat das Risiko für Herzprobleme und Schlaganfall erhöht. Nicht zuletzt bestimmen die Medien, welches Bild in der Öffentlichkeit über den Gebrauch dieser Mittel entsteht. Sind sie nützlich, um die Kapazitäten unseres Denkorgans besser auszuschöpfen? Oder werden sie nur von wenigen genutzt, die die pharmakologischen Risiken ignorieren, um sich einen Vorteil gegenüber der Konkurrenz zu verschaffen. Die Begriffe „pharmakologisches Neuro-Enhancement“ und „Hirndoping“ werden dabei oft durcheinander geworfen. Neuro-Enhancement definiert Klaus Lieb als Ge-/Missbrauch psychoaktiver Substanzen bei Gesunden zur Verbesserung der kognitiven Leistungsfähigkeit. Das kann auch mit Koffeintabletten oder Energy Drinks geschehen. Hirndoping dagegen bezeichnet den Missbauch von illegalen oder verschreibungspflichtigen Aufputschmitteln.
In Zeitungen und Zeitschriften erscheint immer wieder der Vergleich zum Doping im Leistungssport. Dort ist die Einstellung der Leser zur Chemie-Trickkiste ganz klar missbilligend. Oliver Quiring, ein Kollege von Klaus Lieb an der Uni Mainz, betrachtete in seiner Untersuchung die öffentliche Berichterstattung zum Thema – und damit der Meinungsbildung - etwas genauer und analysierte die Einstellung der Journalisten zum Thema genauso wie deren Werke. Im Text eines typischen Artikels kommen eher neue wissenschaftliche Erkenntnisse als ethische Gesichtspunkte vor, wie sie in der Wissenschaftsgemeinde in entsprechenden Fachjournalen und in Konferenzen regelmäßig diskutiert werden. Nur etwas mehr als ein Drittel der Beiträge weist auf die steigende Verbreitung der psychoaktiven Substanzen hin, genauso wie auf den zunehmenden Leistungsdruck, der hinter der wachsenden Beliebtheit steckt. Während in den Texten die nützlichen Aspekte über Risiken und Gefahren dominieren, kommt im persönlichen Gespräch mit Journalisten eine eher skeptische Meinung zum Ausdruck. Besonders der Kosten-Nutzen-Effekt spielt bei der Zurückhaltung der Schreiber eine bedeutende Rolle. Schlägt sich diese Art der Informationsvermittlung auch auf den „Konsumenten“ nieder? Genau diese Zielgruppe befragten Quirings Mitarbeiter zu ihren Ansichten. Besonders Jugendliche stehen der Berichterstattung mitunter kritisch gegenüber und spüren die skeptische Haltung von Journalisten. Sinnbildlich dafür steht etwa das Statement einer 22-jährigen Nutzerin dieser Substanzen: „Zuerst hatte ich etwas Angst, weil uns die Massenmedien sagen: Das ist schädlich. Als schließlich immer mehr meiner Freunde das ausprobierten und mir berichteten, dass sei gar nicht schlecht und gut unter Kontrolle zu halten, probierte ich es auch.“
Amfetamine oder Ritalin verbessern die Wachheit und Konzentrationsfähigkeit, sagt Klaus Lieb, steigern aber nicht die geistige Leistung und schon gar nicht die Intelligenz. Über lange Zeit hinweg könnten sie möglicherweise auch zu psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder Psychosen führen, besonders dann, wenn höhere Dosen den gewünschten Effekt hervorrufen sollen. Denn nicht alle Teilnehmer profitierten gleichermaßen von der Substanz. In entsprechenden Tests half etwas Modafinil besonders den „Niedrig-Performern“ bei komplexen Aufgaben. Methylphenidat und Amphetamine üben ihre Wirkung im Gehirn vor allem auf Noradrenalin und Dopamin aus und beeinflussen auf diese Weise die Aufmerksamkeit und das Belohnungssystem. Bei Modafinil scheinen die Effekte noch deutlich weiter zu gehen. „Die Substanz wirkt auf so ziemlich jeden Neurotransmitter im Gehirn.“, sagt etwa Ruairidh Battleday, Neurowissenschaftlerin an der University of California.
Nicht selten sind Neuro-Enhancer der Einstieg in die pharmakologische Regulierung des Bewusstseins. Bei chronischer Müdigkeit und Erschöpfung kommen Aufputschmittel zum Zug. In der Folge steht der Körper unter Stress – mit Wachheit und Aufmerksamkeit, aber auch Unruhe und Schlafstörungen. Die wiederum bekämpft der Betreffende mit Beruhigungsmittel. In Anbetracht des unzureichenden Wissens über diese Substanzen eine eher beunruhigende Strategie. Stefano Sensi, Neurologe an der Universität von Chieta-Pescara, schlägt als Alternative für die mangelnde Spezifität von Methylphenidat und Modafinil die Entwicklung von Wirkstoffen vor, die das Nervenzellwachstum spezifisch anregen und die engere Verdrahtung im Gehirn fördern - mit dem Ziel, das Denkvermögen nicht nur vorübergehend zu steigern. Unbestritten noch besser wäre jedoch, die Arbeitsbedingungen in besonders stressigen Tätigkeiten zu hinterfragen und mit ausreichend Schlaf und genügend Erholungspausen die natürlichen Anpassungsmechanismen des menschlichen Gehirns an seine Herausforderungen zu fördern.