Nach 20 Jahren Forschung beweist der Kardiologe Paul Ridker, dass die spezifische Hemmung von Entzündungen das kardiovaskuläre Risiko senkt – unabhängig von Cholesterinwerten. Ein Durchbruch? DocCheck sprach mit Ulf Landmesser darüber, wie die CANTOS-Studie einzuordnen ist.
Vor Hunderten Zuhörern stellte Paul Ridkers von der Harvard Medical School auf dem Kardiologen-Kongress in Barcelona Ende August die Ergebnisse seiner Forschung vor: In der CANTOS-Studie mit mehr als 10.000 Teilnehmern hatten er und sein Team die Bedeutung von Entzündungsprozessen für die Arteriosklerose nachgewiesen. „Diese Ergebnisse sind das Finale von mehr als zwei Jahrzehnten Forschung, ausgehend von der Beobachtung, dass die Hälfte der Herzinfarkte bei Menschen stattfindet, die kein erhöhtes Cholesterin haben“, wird er in der Pressemeldung zitiert: „Zum ersten Mal haben wir definitiv zeigen können, dass es das kardiovaskuläre Risiko senkt, wenn die Inflammation unabhängig vom Cholesterin verringert wird.“ „Die Ergebnisse waren für viele überraschend in der Klarheit, dass man so einen eindeutigen Effekt gefunden hat“, sagt Ulf Landmesser, Direktor der Medizinischen Klinik für Kardiologie der Charité in Berlin. „Vor der Vorstellung der Studie gab es viele, die gesagt haben, wahrscheinlich wird man keinen Effekt sehen. Aber man muss bedenken, dass die Probanden Patienten waren, die schon optimale Therapien bekommen haben. Wenn man dann zusätzlich dieses neue Therapieprinzip der spezifischen Hemmung eines Entzündungswegs getestet hat, ist es überraschend, dass die Effekte so deutlich sichtbar waren.“
Die CANTOS-Studie (Canakinumab Antiinflammatory Thrombosis Outcome Study) prüfte, ob die Behandlung mit einem starken entzündungshemmenden Mittel einen zusätzlichen Nutzen zur Statinbehandlung zeigen würde. Probanden waren etwa 10.000 Patienten im Alter von durchschnittlich 61 Jahren nach einem Herzinfarkt, die Vorschädigungen und kardiovaskuläre Risikofaktoren hatten, so dass sie gut medikamentiert waren. Sie bekamen vierteljährlich Statine in hoher Dosis zur Senkung des Cholesterins und zusätzlich Placebos oder den Entzündungshemmer Canakinumab über einen Zeitraum von vier Jahren verabreicht. Das Mittel, das unter dem Namen Ilaris® von Novartis vertrieben und zur Behandlung seltener Krankheiten eingesetzt wird, ist ein gegen Interleukin-1β wirkender monoklonaler Antikörper, der Entzündungen reduziert. Endlich bewiesen: Die Entzündung ist ursächlich für Arteriosklerose, sagt Ulf Landmesser, Chef der Klinik für Kardiologie der Berliner Charité. „Ich finde die Studie vor allem als ‚Proof of Concept‘ sehr wichtig“, sagt Landmesser. „Die Diskussion um die Rolle der Entzündung bei der Arteriosklerose gibt es seit 1856. Damals publizierte Rudolph Virchow von der Charité, dass die Arteriosklerose eine Entzündung sei. Er hatte damals unter dem Mikroskop die Entzündungszellen in den arteriosklerotischen Plaques gesehen. Seitdem dreht sich die Diskussion um die Frage, ob die Entzündung ein Beiständer oder kausal an der Erkrankung beteiligt ist.“ Die Studie habe erstmals klar gezeigt, dass die Entzündungshemmung, also die Beeinflussung eines bestimmten Teilprozesses der Entzündung, die klinische Progression der Erkrankung aufhalten könne, so Landmesser: „Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die Entzündung kausal an der Erkrankung beteiligt ist.“
„Die Arteriosklerose ist die Reaktion auf eine Gefäßschädigung“, erklärt der Kardiologe. „Diese kann durch verschiedene Noxen an der Gefäßwand ausgelöst werden, die wir zum Teil kennen, etwa das LDL-Cholesterin oder den Bluthochdruck als Risikofaktoren.“ Werde eine Gefäßwand beschädigt, etwa durch die Infiltration durch LDL-Partikel in die Wand, komme es dort zu einer Entzündungsreaktion, die normalerweise zur Entfernung des Partikels und Genesung der Wand führe. „Aber die Arteriosklerose ist eine chronische Entzündung“, sagt Landmesser: „Die Entzündungsreaktion bleibt im Gefäß und es gelingt dem Körper nicht, diese Noxen auszuschalten.“ Warum dieser Prozess der Chronifizierung einsetze, wissen man nicht, so Landmesser. „Wenn man bei Tiermodellen die Entzündung der Gefäßwand blockiert, haben diese Tiere keine Arteriosklerose. Ohne die Entzündung gibt es also hier keine Arteriosklerose. Insofern scheint der Entzündungsprozess für die Entwicklung der Erkrankung entscheidend zu sein.“ In der Wand seien vor allem Makrophagen, also Zellen der angeborenen Immunität, sagt der Kardiologe. Diese Prozesse würden eng interagieren mit der so genannten erworbenen Immunität, den Lymphozyten: „Wenn wir im Tiermodell die Lymphozyten ausschalten, dann bekommen diese Tiere ebenfalls keine Arteriosklerose. Das Neue an der CANTOS-Studie ist, dass nun erstmals bei Patienten zu sehen ist, dass die spezifische Entzündungshemmung die weitere klinische Progression der Erkrankung aufhalten kann.“ Strittig sei möglicherweise die Effektgröße mit einer nur 15-prozentigen Reduktion, so Landmesser, zudem sei Canakinumab eine sehr teure Substanz. „Wichtig aber ist, dass die Studie per se zeigt, dass die Entzündung kausal für die klinische Progression der Erkrankung ist.“
Der praktische Nutzen von Canakinumab bei der Behandlung von kardiovaskulären Symptomen bleibt vorerst strittig. So sagte der britische Kardiologe Martin Bennett gegenüber dem Guardian, er sei skeptisch aufgrund der Nebenwirkungen, der hohen Kosten und der Tatsache, dass die Sterbeziffern unter der Gabe des Mittels nicht geringer seien als bei der Behandlung mit Statinen und Placebo. Bei den zugelassenen Indikationen, beispielsweise bei einem Anfall von Gichtarthritis, kostet eine Packung Ilaris® mit 150 mg Pulver zur Herstellung einer Einzeldosis derzeit etwa 13.540 Euro. Hersteller Novartis steht als Sponsor der CANTOS-Studie bereits in den Startlöchern: „Novartis plant, die Ergebnisse der Studie mit den Gesundheitsbehörden zu diskutieren und die Daten hinsichtlich der kardiovaskulären Ergebnisse zur Zulassung einzureichen“, so das Unternehmen gegenüber DocCheck.