Transplantat-gegen-Wirt-Reaktionen bedrohen nach einer Stammzelltransplantation das Leben von Leukämie-Patienten. Ein neuer Test könnte nun die frühzeitige Behandlung der Betroffenen ermöglichen und schwere Folgeschäden verhindern.
Die Transplantation von Stammzellen gehört bei der Behandlung der Leukämie zu den wichtigsten Therapieoptionen. Der Eingriff birgt jedoch Risiken: Rund die Hälfte der Patienten entwickelt eine so genannte Graft-versus-Host-Erkrankung (GvHD). Bei dieser lebensgefährlichen Komplikation erkennen die Immunzellen des Transplantats die gesunden Zellen des Empfängers als fremd und greifen diese an. Am häufigsten äußern sich Symptome der GvHD an der Haut, der Leber und am Darm. Bei schweren Verläufen können dadurch etwa 80 Prozent der Betroffenen sterben, obwohl die Leukämie selbst erfolgreich bekämpft wurde. Noch ist unklar, warum eine GvHD auch bei einer vollständigen Kompatibilität der HL-Antigene zwischen Spender und Empfänger ausbrechen kann. Ein Forscherteam der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) hat nun zusammen mit dem Biotechnologie-Unternehmen Diapat einen Urintest entwickelt, mit dessen Hilfe Ärzte eine beginnende GvHD früher als bisher erkennen können. Wie die Wissenschaftler um Professorin Eva Mischak-Weissinger in der Fachzeitschrift Leukemia berichten, ist dieser Test ebenso aussagekräftig wie die ansonsten übliche Gewebeentnahme. Mischak-Weissinger und ihre Kollegen untersuchten dafür im Rahmen einer multizentrischen Studie Proben von insgesamt 423 stammzelltransplantierten Patienten.
"Der neue Test erkennt im Urin der Patienten Anzeichen für eine GvHD bereits 14 Tage, bevor sich die immunologische Reaktion an Haut oder anderen Organen klinisch zeigt", sagt Mischak-Weissinger, Oberärztin in der Arbeitsgruppe Transplantationsbiologie der Klinik für Hämatologie, Hämostaseologie, Onkologie und Stammzelltransplantation an der MHH. "Bei einem positiven Ergebnis können wir Patienten früher behandeln und so unumkehrbare Schäden an den betroffenen Organen vermeiden." Urin eignet sich als Probenflüssigkeit gut, weil es stabil und relativ leicht zu handhaben ist. Mit einer Kombination aus Kapillarelektrophorese und Massenspektrometrie lassen sich im Urin rund 2500 verschiedene Proteinfragmente nachweisen. Stammzelltransplantierte Patienten mit einer GvHD und solche ohne eine GvHD haben Fragmentmuster, die sich eindeutig voneinander unterscheiden lassen. Mischak-Weissinger und ihr Team haben aus den 350 Fragmenten, die für eine GvHD spezifisch sind, 17 ausgewählt, die mit hoher Wahrscheinlichkeit die Erkrankung vorhersagen. Die Herkunft von zehn dieser Peptide haben die Forscher genauer analysiert: Sie sind Abbauprodukte der Proteine CD99, Albumin, beta2-Mikroglobulin, Fibronektin und Kollagen. Diese Moleküle zeigen Entzündungsreaktionen, die Aktivierung von Immunzellen und Veränderungen der extrazellulären Matrix an.
Die Studienteilnehmer gaben die Urinproben zwischen dem siebten Tag und dem 130. Tag nach der Transplantation ab – bis zum 35. Tag in einem wöchentlichen, danach in einem zweimonatlichen Rhythmus. 215 der Probanden bekamen im Verlauf der Studie eine GvHD, 25 verstarben bis zum Tag 100, davon sechs an einer akuten GvHD. Bei 80 Patienten, die klinische Symptome einer GvHD aufwiesen, wurde die Erkrankung mit Hilfe einer Biopsie histologisch zusätzlich untersucht. Nur diese GvHD-Patienten schlossen die Forscher in die vertiefte Analyse mit ein. Mit dem Ergebnis waren Mischak-Weissinger und ihr Team sehr zufrieden, denn der neue Urintest konnte mit einer Sensitivität von 82,4 Prozent und einer Spezifität von 77,3 Prozent bei Patienten mit schweren Verläufen einer GvHD die Erkrankung schon vorhersagen, wenn noch keine Symptome zu erkennen waren – rund 14 Tage früher als mit einer histologischen Untersuchung, wenn die Patienten schon erkrankt waren. "Dank des Tests könnten wir Patienten in Zukunft rechtzeitig mit einer verstärkten Immunsuppression behandeln, ehe Organschäden auftreten und die Erkrankung irreversibel wird", sagt Mischak-Weissinger.
Auch andere Experten befürworten den Einsatz des neuen Tests: "Er könnte dabei helfen, die Erkrankung früher zu bemerken, bevor die Patienten an schweren Komplikationen leiden,“ sagt Götz Ulrich Grigoleit, Oberarzt am Zentrum für allogene Blutstammzelltransplantation des Universitätsklinikum Würzburg. "Allerdings ist noch nicht klar, ob eine frühere Diagnose mit Hilfe des Urintests die schweren Verläufe wirklich abbremsen würde." Wäre das der Fall, so der Mediziner, könnte man nicht nur zum Patientenwohl beitragen, sondern auch viel Geld einsparen, denn die Behandlung von Patienten mit einer schweren GvHD sei sehr langwierig und dementsprechend kostspielig. "Mit dem neuen Test könnte die Behandlung der GvHD einsetzen, ehe Gedächtnis-T-Zellen sich bilden", sagt Professor Hans-Jochem Kolb vom III. Medizinischen Klinik des Klinikums rechts der Isar. "Sind diese Immunzellen erst einmal entstanden, gibt es momentan kaum Möglichkeiten, um eine GvHD dauerhaft zu unterdrücken." Um zu überprüfen, ob der Urintest tatsächlich die Prognose von stammzelltransplantierten Patienten verbessert, hat die Gruppe um Mischak-Weissinger mittlerweile eine neue multizentrische Studie angestoßen. In deren Rahmen erhält die eine Hälfte der Studienteilnehmer, wenn der Urintest nach der Transplantation positiv ausfällt, für fünf Tage zusätzlich Steroide, die andere Hälfte nur ein Placebo. Mit den Ergebnissen rechnet die Wissenschaftlerin nächstes Jahr.