Sonne, exotische Häfen und hypertone NaCl-Lösung soweit das Auge reicht – die meisten Mediziner an Deck eines Kreuzfahrtschiffes machen Urlaub. Für einige ist es jedoch ein Arbeitsplatz. Wir stechen in See und führen ein Interview mit einer Bordärztin.
7.30 Uhr morgens – Das 330 Meter lange Kreuzfahrtschiff MSC Divina legt im Hafen von Istanbul an. Ich beobachte die vorbeiziehende Hagia Sophia durch ein Bullauge auf Deck 4. Auf dem niedrigsten der 18 Decks, welches für die Passagiere zugänglich ist, befindet sich die Krankenstation. Die meisten der potenziellen 5.500 Patienten an Bord schlafen noch. Im beschaulich eingerichteten Wartezimmer sitzt neben mir nur ein Patient, allerdings mit 7 Angehörigen. Die italienische Familie wird schnell versorgt. Dann werde ich ins Sprechzimmer gebeten. Dort treffe ich auf Alexandra Kondic Rob. Eigentlich mag sie keine Interviews, erklärt sie mir zu Beginn. Dennoch ist die strenge, ungeduldige Serbin in Schiffsoffizierskleidung nun bereit, zu erklären, wie sie begann, Seeluft zu schnuppern. DocCheck: Frau Rob – Wo haben Sie studiert und welche Facharztausbildung haben Schiffsärzte üblicherweise? Rob: Ich habe in meinem Heimatland Serbien studiert. Dort habe ich auch meine Facharztausbildung zur Anästhesistin abgeschlossen. Das hat etwa 4 Jahre gedauert. Die meisten Schiffsärzte, dich ich kenne, sind Anästhesisten mit einer Ausbildung zum Notarzt. Aber es gibt auch einige Allgemeinmediziner auf See. Blick auf die MSC Divina. DocCheck: Wie kamen Sie dazu, Schiffsärztin zu werden? Rob: Es ist einfach passiert. Irgendwann habe ich entschieden, etwas in meinem Berufsleben zu verändern und mal etwas Neues auszuprobieren. Natürlich musste ich zunächst einen Kurs als Schiffsärztin absolvieren. Dort lernte ich, was es als Arzt auf See zu beachten gibt und welche Besonderheiten dieser außergewöhnliche Arbeitsplatz mit sich bringt. Insbesondere die Vorgehensweise bei einer Havarie musste ich erst einmal trainieren. Auch wenn man – besonders was die medizinische Ausrüstung betrifft – manchmal im Vergleich zum Land eingeschränkt ist, mag ich die Arbeit auf dem Schiff. Mittlerweile bin ich seit 7 Jahren im Mittelmeer unterwegs. DocCheck: Sind Sie immer nur auf der MSC Divina unterwegs oder gibt es auch andere Schiffe, auf denen Sie tätig sind? Rob: Ich wechsle die Schiffe regelmäßig. Zudem ist es so, dass ich nicht das ganze Jahr auf dem Schiff verbringe. 6 Monate arbeite ich auch in Serbien in einem ganz normalen Krankenhaus als Anästhesistin. DocCheck: Wie sieht für Sie ein normaler Arbeitstag aus? Rob: Morgens beginnt der Tag recht früh mit einer Sprechstunde für die Crew. Immerhin sind es fast 1.500 Mitarbeiter hier an Bord, da kann auch schon mal einer krank werden. Danach beginnt die Vormittagssprechstunde. Die allermeisten Patienten werden ambulant behandelt. Nur in Ausnahmefällen verbringt ein Passagier die Nacht auf unserer Krankenstation. In diesem Fall findet dann nach der Sprechstunde eine kurze Visite statt. Am Nachmittag haben wir erneut eine Sprechstunde. Zwischendurch gibt es vor allem viel zu dokumentieren oder vorzubereiten. Um 17 Uhr ist dann eigentlich Feierabend. Aber natürlich steht man gewissermaßen 24 Stunden am Tag in Rufbereitschaft für Notfälle. Ich bin aber nicht die einzige Ärztin an Bord. Ich habe noch einen Kollegen sowie drei Krankenschwestern zur Unterstützung. Ein Behandlungszimmer an Bord der MSC Divina. DocCheck: Was steht Ihnen hier an Bord zur Verfügung? Und was fehlt Ihnen? Rob: Wir sind grundsätzlich relativ gut ausgestattet: Wir haben hier neun Betten, zwei davon als Intensivbetten. Zudem haben wir ein Röntgengerät, einen kleinen OP-Saal und alle wichtigen Medikamente. Die Medikamente werden alle 15 Tage nachbestellt. Was uns leider fehlt, ist ein Ultraschallgerät. DocCheck: Was sind typische Krankheiten bei einer Kreuzfahrt? Rob: Häufig sind vor allem Frakturen, weil die Menschen an Deck ausrutschen und hinfallen. Infektionskrankheiten sind hingegen jahreszeitenabhängig: Im Winter haben viele Patienten eine Bronchitis oder Schnupfen. Im Sommer hingegen sind Magen-Darm-Beschwerden häufig. Allerdings sind viele Krankheiten auch von den Passagieren und dem Klima abhängig, in welchem sich das Schiff gerade befindet. Typische Krankheiten für einzelne Nationen gibt es aber nicht. DocCheck: Wie verständigen Sie sich mit den Passagieren aus den vielen unterschiedlichen Ländern an Bord? Rob: Ich spreche selbst drei Sprachen: Serbisch, Englisch und Deutsch. Außerdem spreche ich noch ein bisschen italienisch, was gerade auf diesem Schiff mit vielen Italienern günstig ist. Englisch ist auf See definitiv die Hauptsprache. Wenn ich mich mit einem Patienten nicht unterhalten kann, hole ich meist jemanden anderen aus der Crew zu Hilfe. Einige Reisegruppen an Bord haben einen Reiseführer dabei. Dieser kann meist gut in die Muttersprache bzw. ins Englische übersetzen. Gerade bei asiatischen Patienten ist es häufig leichter, wenn ein Reiseleiter die Anamnese unterstützt. DocCheck: Was machen Sie mit Patienten, die Sie an Bord nicht behandeln können? Rob: Wenn wir gerade im Hafen sind, werden Sie natürlich in ein Krankenhaus an Land gebracht. Auf See sieht die Sache natürlich schon schwieriger aus. Dann muss meist ein Hubschrauber kommen und den Patienten abholen. Manchmal reicht es auch, wenn der Patient von einem anderen Schiff übernommen wird. DocCheck: Was ist die schwierigste Situation für Sie hier an Bord? Rob: Für uns als Ärzte ist es beispielsweise immer eine schwierige Situation, wenn wir den Angehörigen mitteilen müssen, dass ein Patient verstorben ist. Ansonsten ist eigentlich fast alles, was an kritischen Krankheiten auf dem Schiff passieren kann, schwierig. Wir müssen häufig improvisieren. Eine besondere Herausforderung sind natürlich kranke Kinder mit ihren besorgten Eltern. DocCheck: Was machen Sie, wenn ein Patient an Bord stirbt? Rob: Wir haben an Bord auch Kühlkammern. Dort wird die Leiche dann, bis wir in den nächsten Hafen kommen, gelagert. Das Interview zeigt wieder einmal, wie facettenreich der Beruf des Arztes interpretierbar ist. Ob im Krankenhaus oder der eigenen Praxis, als Medizinjournalist, Unternehmensberater oder eben auf hoher See. Als Arzt an Bord lernt man viele unterschiedliche Nationen kennen und ist immer unterwegs – meist bei angenehmen Temperaturen. Gleichzeitig ist man in der Krankenversorgung auf sein Improvisationsgeschick angewiesen, denn die Ausstattung entspricht nur in den seltensten Fällen der eines modernen Krankenhauses. Vielleicht für den ein oder anderen ja trotz oder gerade wegen der Eigenheiten der Aufgabe eine spannende Alternative zu den gängigen ärztlichen Betätigungsfeldern.