Vor ziemlich genau 15 Jahren zog mit der Zulassung von Sildenafil frischer Wind in Deutschlands Schlafzimmer ein. Während Männer mit erektiler Dysfunktion seither eine Perspektive haben, warten Frauen, die an sexueller Dysfunktion leiden, bis heute vergebens auf „rosa Viagra“.
Flaute im Bett: Sexuelle Funktionsstörungen bei Frauen haben vielfältige Ursachen. Dahinter stecken organische Vorerkrankungen, psychische Funktionsstörungen sowie unerwünschte Effekte mancher Pharmaka. Zur Quantifizierung entsprechender Beschwerden hat sich der Female Sexual Function Index (FSFI) mit 2 bis 36 Punkten etabliert. Patientinnen beantworten Fragen zum sexuellen Verlangen, zur Erregbarkeit, Lubrikation, zum Orgasmus, zur Befriedigung und zu etwaigen Schmerzen beim Verkehr. Werte unterhalb von 25 gelten als problematisch und sollten genauer abgeklärt werden. Auf Arzneimittel brauchen Patientinnen momentan nicht zu hoffen.
Vom Erfolg ihrer Präparate gegen erektile Dysfunktion berauscht, suchen pharmazeutische Hersteller seit Jahren nach Wirkstoffen zur Behandlung weiblicher sexueller Dysfunktionen. Dies sei laut GlobalData „einer der größten unerschlossenen Märkten der Biotech-Industrie“. Momentan sieht die Sache nicht allzu rosig aus: Das testosteronhaltige LibiGel® von BioSante Pharmaceuticals enttäuschte im Rahmen einer Phase-III-Studie. Und Boehringer Ingelheim ging es mit Flibanserin, einem 5-HT1A-Agonisten sowie 5-HT2A-Antagonisten, nicht besser. Laienmedien priesen das Pharmakon bereits vollmundig als „Viagra für Frauen“ an. Der Konzern stoppte 2010 alle weiteren Arbeiten. Hintergrund waren Bedenken der US-Gesundheitsbehörde FDA hinsichtlich des Verhältnisses von Nutzen und Risiken. Schließlich erwarb Sprout Pharmaceuticals alle Rechte und versucht seither, mit neuen Daten die FDA zu überzeugen. Immerhin liegt eine randomisierte, placebokontrollierte Studie vor, an der rund 1.100 Frauen mit sexuellen Appetenzstörungen (Hypoactive Sexual Desire Disorders) teilnahmen. Molly Katz und Leonard R. DeRogatis berichten als Resultat, dass sexuell befriedigende Ereignisse im Vergleich zu Placebo statistisch signifikant häufiger auftraten. Gleichzeitig steigerte sich bei Probandinnen das Lustempfinden. Bayer wiederum schickt Vaginorm mit dem Wirkstoff Dehydroepiandrosteron (DHEA) ins Rennen. Auch hier arbeiten Forscher momentan an einer Phase-III-Studie. Während entsprechende Präparate regelmäßig einzunehmen wären, setzt Apricus Biosciences auf Femprox®. Alprostadil verbessert hier als vasoaktive Substanz in topischer Galenik die Durchblutung von Klitoris und Vulva. Patientinnen bräuchten das Präparat nur vor einem geplanten Geschlechtsverkehr anzuwenden. Palatin Technologies untersucht momentan den Melanocortinrezeptor-Agonisten Bremelanotid genauer. Bei einer Phase-IIB-Studie erhöhte das Pharmakon die Zahl befriedigender sexueller Ereignisse im Vergleich zu Placebo signifikant. Welches Präparat erfolgreich zugelassen wird, bleibt abzuwarten.
Neben potenziellen Arzneistoffen gibt es weitere Strategien, damit Patientinnen wieder ein erfüllteres Sexualleben genießen. Der US-amerikanische Gynäkologe Richard S. Legro, Pennsylvania State University College of Medicine, untersuchte 29 adipöse Patientinnen im gebärfähigen Alter mit BMI-Werten von 49 kg / m2. Alle Probandinnen unterzogen sich bariatrischen Eingriffen und wurden von Legros Team bis zu 24 Monate postoperativ begleitet. Neben reproduktionsmedizinischen Aspekten – die Follikelphase verkürzte sich statistisch signifikant – fand der Gynäkologe Beachtenswertes: Innerhalb eines Jahres verbesserten sich sexuelle Funktionsstörungen um 28 Prozent. Koreanische Wissenschaftler um Ha-Na Kim und Sang-Wook Song verbuchten mit einer anderen Strategie Erfolge: Sie wählten 41 Frauen im Alter von 30 bis 60 Jahren, die am metabolischen Syndrom litten, für ihre Studie aus. Davon nahmen 20 Probandinnen an einem zwölfwöchigen Yogakurs teil, mit zwei 60-minütigen Sitzungen pro Woche. Weitere 21 Frauen dienten als Kontrollgruppe. Kim und Song berichten, zu Studienbeginn lag der FSFI überall bei rund 21 Punkten. Wer Yoga praktizierte, hatte schließlich 2,3 Punkte mehr als zuvor (Kontrolle: plus 0,5 Punkte) – statistisch gesehen kein signifikanter Unterschied. Trotzdem bemerkenswert: Durch körperliche und geistige Unterweisung verbesserten sich sowohl die Lubrikation als auch die Erregbarkeit. Methodisch weisen die Autoren auf die fehlende Verblindung hin. Ein Versuch kann trotz schlechter Daten lohnen. Nebenwirkungen sind bei relativer Gesundheit nicht zu befürchten.
Darüber hinaus können Ärzte mit Beratungsangeboten viel erreichen: Oft sind sexuelle Funktionsstörungen auf die Sorge chronisch kranker Patienten und ihrer Sexualpartner zurückzuführen, der Geschlechtsverkehr könne negative Auswirkungen haben. In einem Konsensus-Dokument beziehen Kollegen der American Heart Association jetzt Stellung. Bei koronaren Herzerkrankungen nennen sie als Grundregel, dass Belastungen von rund 100 Watt möglich sein sollten, um einen Koitus sorgenfrei zu genießen. Sie raten ebenfalls, Arzneimittel hinsichtlich störender Nebenwirkungen unter die Lupe zu nehmen. Meist gäbe es Alternativen, heißt es weiter. Darüber hinaus haben Kardiologen verschiedene Positionen für Menschen mit chronischen Erkrankungen zusammengestellt. Ihr Leitfaden eignet sich als Hilfsmittel für die Kommunikation mit Patienten, die mit unterschiedlichen Vorerkrankungen zu kämpfen haben.