Ginge es nach Gesundheitspolitikern der CSU, hätten Online-Verordnungen aus anderen EU-Staaten in Deutschland nichts zu suchen. Doch eine Richtlinie garantiert, dass Rezepte, die formalen Standards genügen, auch zu beliefern sind. Dagegen regt sich Widerstand, vor allem aus Bayern.
DrEd, Londons umstrittene Onlinepraxis, sorgt erneut für Schlagzeilen, und zwar mit der „Pille danach“. Während sich Kollegen beim Apothekertag 2013 mehrheitlich für eine Entlassung aus der Verschreibungspflicht aussprachen, tun sich Gesundheitspolitiker in Deutschland recht schwer mit einer Entscheidung. Andere EU-Staaten geben entsprechende Notfallkontrazeptiva längst als OTCs nach pharmazeutischer Beratung ab, und haben damit gute Erfahrungen gemacht – vor allem aus dem Blickwinkel betroffener Patientinnen.
Genau diese Lücke versuchte DrEd in Deutschland zu schließen. „Beantworten Sie unseren ärztlichen Fragebogen. Spricht aus medizinischer Sicht nichts dagegen, stellen unsere Ärzte Ihnen ein Rezept für die Pille danach aus“, heißt es auf der Website. „Sie entscheiden, ob wir das Rezept per Fax an eine Apotheke Ihrer Wahl in Ihrer Nähe schicken. (...) Alternativ können wir Ihr Rezept an eine deutsche Versandapotheke senden.“ Durch eine Kooperation mit dem Arzneimittel-Bestelldienst Ordermed sollte alles noch einfacher werden: DrEd faxt Rezepte an eine von etwa 750 Partner-Apotheken, das Original folgt postalisch am nächsten Tag. Kollegen liefern Präparate umgehend per Botendienst aus – laut Ordermed sei das Vorgehen „unproblematisch und zulässig“. In Einzelfällen erlaubt auch die neue Apothekenbetriebsordnung Lieferungen durch Fahrer (§ 17 Erwerb und Abgabe von Arzneimitteln und Medizinprodukten). Da Patientinnen nicht persönlich in ihrer Apotheke waren, müssen sich Approbierte oder PTA auf den Weg machen und vor Ort beraten.
So viel zur Theorie. In der Praxis reagierten Politiker erbost, schließlich schaffte DrEd jenseits aller parlamentarischen Entscheidungswege plötzlich neue Realitäten. Johannes Singhammer (CSU), seines Zeichens stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, meldete sich umgehend zu Wort und sprach von einer „gefährlichen Entwicklung“. Durch Onlinepraxen lasse sich der direkte Kontakt zwischen Arzt und Patient „in großem Stil“ umgehen. Darüber hinaus wurden branchenintern Gerüchte laut, mehrere Apothekenkooperationen hätten Ordermed unter Druck gesetzt und mit dem Abbruch jeglicher Geschäftsbeziehungen gedroht. Schließlich reagierte der Rezeptdienstleister. Er beendete seine Kooperation mit DrEd – und liefert selbst mögliche Erklärungen für allzu feindselige Verhaltensweisen aus Großhandel und Politik. „Es besteht die Gefahr eines Systembruchs, wenn hier am Beispiel der „Pille danach“ die gesamte Systematik der Apotheke vor Ort in Frage gestellt wird“, kritisiert Geschäftsführer Markus Bönig in einer Meldung.
Rezepte von DrEd bleiben in Deutschland trotzdem gültig, was Johannes Singhammer nur allzu gern verhindern würde. Dazu ein Blick auf europäische Rechtsnormen: „Sofern Arzneimittel, die in einem Mitgliedstaat genehmigt sind und in diesem Mitgliedstaat von einem Angehörigen eines reglementierten Gesundheitsberufs im Sinne der Richtlinie 2005/36/EG für einen einzelnen, namentlich genannten Patienten verschrieben wurden, sollte es grundsätzlich möglich sein, dass eine solche Verschreibung in einem anderem Mitgliedstaat, in dem die Arzneimittel genehmigt sind, ärztlich und in Apotheken anerkannt wird und die Arzneimittel dort abgegeben werden“, stellt die Richtlinie 2011/24/EU klar. Bürger können frei wählen, welchen Arzt sie zu Rate ziehen: ein Schritt hin zu mehr Patientenrechten. Verschreibungen nach einer Beratung per Telefon, per Videokonferenz oder Web sind zulässig – sofern sie von Medizinern ausgestellt werden und formale Grundvoraussetzungen erfüllen. Details regelt die Verordnung über die Verschreibungspflicht von Arzneimitteln (AMVV), § 2 Abs. 1 – auch für Rezepte aus EU- beziehungsweise EWR-Staaten. In Deutschland verstoßen Onlinepraxen gegen geltendes Berufsrecht. Die Opposition wirft Singhammer jetzt vor, er wolle mit einer „Lex DrEd“ den heimischen Gesundheitsmarkt vor unliebsamer Konkurrenz aus Nachbarländern schützen und die Richtlinie 2011/24/EU aushöhlen. Er selbst weist jegliche Kritik von sich und spricht von Maßnahmen zum Patientenschutz.
Hintergrund des Streits ist, dass auch Deutschland die besagte Richtlinie umsetzen muss. Eigentlich besteht kein Anlass zur Sorge – Skandinavien, Großbritannien oder die Schweiz haben mit telemedizinischen Systemen durchaus positive Erfahrungen gemacht. Trotzdem versucht Bayern im Gesundheitsausschuss des Bundesrats, über nationale Sonderregelungen dem Treiben Einhalt zu gebieten. Der Freistaat hat beantragt, zu prüfen, ob Deutschland Online-Rezepte verbieten kann, die ohne Arzt-Patient-Kontakt ausgestellt wurden. Rein rechtlich hat jeder EU-Mitgliedsstaat die Möglichkeit, Einschränkungen zu formulieren, sollten schützenswerte Güter wie Gesundheit oder Sicherheit in Gefahr sein – siehe EuGH-Urteil zum Fremd- und Mehrbesitz. Andererseits sprechen sich Europapolitiker gegen Diskriminierung und Protektionismus aus. Wie es jetzt mit der Richtlinie 2011/24/EU weitergehen wird, lieg in den Händen des Bundesrats. Landesvertreter werden sich erwartungsgemäß am 8. November unter dem Tagesordnungspunkt 16 damit zu befassen haben.