Ein guter Arzt benötigt nicht nur Fachwissen, sondern auch menschliche Stärken. Gespräche mit den Patienten sind nicht immer leicht. Für den Patienten einschneidende Situationen prallen auf ärztliche Alltagsroutine. Wie können Ärzte und Patienten einander besser verstehen?
Von Ärzten wird viel erwartet. Nach Parsons ergibt sich aus der Arztrolle, dass der Mediziner die Entscheidung über krank und gesund fällt, dass er aufgrund fachlicher Kompetenz die Krankheit diagnostiziert und therapiert, dass er Krankheitsvorsorge und -nachsorge leistet und vor allem auch, dass er sich zuständig fühlt für emotionale und soziale Probleme, die mit der Krankheit in Verbindung stehen. Gerade letzteres kommt im Studium oft zu kurz und fällt vielen Medizinern später schwer. Nur allzu schnell gehen im Berufsalltag die Ängste und Sorgen der Patienten unter. Zum Einen, weil es vielen einfacher fällt, sich damit nicht emotional befassen zu müssen, zum Anderen spart es Zeit und damit Geld. Doch es gibt auch positive Beispiele für Ärzte, die ihren Patienten zuhören, mit ihnen mitfühlen und ihnen das Gefühl geben, gut behandelt und umfassend über ihre Krankheit informiert zu werden. Was machen diese Mediziner anders? Sind sie besser organisiert und können sich im Stress und der Hektik des Klinikalltags mehr Zeit für ihre Patienten nehmen? Oder sind sie besser ausgebildet und haben gelernt, die häufigsten Arzt-Patienten-Konflikte zu vermeiden? Liegt es gar an der Persönlichkeit mancher Ärzte, die ihren Idealismus nicht begraben wollen?
Die Ursachen für die Ungleichheit im Arzt-Patienten-Verhältnis sind vielfältig. Der Arzt als Experte mit Fachwissen steht dem Patienten als fachlichem Laien gegenüber. Das schafft ein Abhängigkeitsverhältnis, bei dem der Patient auf den Arzt angewiesen ist. Dazu benötigt es Vertrauen, das der Arzt aufbauen muss und das oft eine entscheidende Rolle für den Behandlungserfolg spielt. Hinzu kommt, dass für den Arzt medizinische Abläufe Routine sind. Für den Patienten jedoch stellen sie oft eine einschneidende Lebenskrise dar. Man betrachte einen Krebspatienten, der bei der Diagnose nicht weiß, was auf ihn zukommt. Für den behandelnden Arzt besteht dieser Patient aus Zahlen und Fakten, die schwarz auf weiß in der Patientenakte stehen und verbessert werden müssen. Er weiß genau, welche Therapien in konkreten Stadien notwendig sind und fühlt die Sicherheit, dass er das Richtige unternimmt. Für den Patienten hingegen ist das eine komplett neue Lebenssituation, in die er hineingeworfen wird. Das Ungewisse ist für ihn angsteinflößend und für den Mediziner normal. Da passiert es schnell, dass der Arzt den Blick des Patienten auf die Krankheit verliert. Auch Unterschiede in Herkunft und Lebensstil schaffen oft ein Ungleichgewicht in der Arzt-Patienten-Beziehung. Deswegen ist es für Mediziner wichtig, zu lernen, sich in die Situation unterschiedlichster Patienten hineinzuversetzen. Sei es der syrische Flüchtling, der unter einer Atemwegserkrankung leidet, traumatisiert ist und kein Wort Deutsch spricht, die schwangere 17-Jährige, die über Abtreibung nachdenkt und deren Eltern es nicht mitbekommen sollen oder der Multimilliardär, dem es wichtig ist, die beste Behandlung und umfassendste Aufklärung über die Therapie für seinen Gehirntumor zu bekommen, koste es, was es wolle. Zudem resultiert eine Ungleichheit aus der Tatsache, dass der Arzt fast immer die Entscheidungsmacht hat - der Patient gibt die Entscheidung über die weitere Behandlung seiner Krankheit ab und fühlt sich dadurch oft machtlos.
Dr. Matthias Warm, Kölner Chefarzt in der Onkologie und Brustkrebsspezialist, hat im Winter 2002 eine Erfahrung gemacht, die sein Bild der Arzt-Patienten-Beziehung nachhaltig veränderte. Bei seiner Brustkrebspatientin Sibylle Herbert wollte er zur Absicherung der Diagnose eine Stanzbiopsie durchführen. Die Patientin hatte Angst vor dem Eingriff und bat ihn, die Gewebeentnahme unter Vollnarkose durchzuführen. Für den Mediziner damals völlig unverständlich: „Ich habe über den Vorschlag gelacht und mir gar keine großen Gedanken darüber gemacht. Ich habe das fast so verstanden, als hätte sie das als Scherz gesagt, weil ich mir das gar nicht vorstellen konnte, dass jemand für so eine Kleinigkeit eine Vollnarkose braucht“. Routine für Dr. Warm – Ausnahmesituation für seine Patientin, aus deren Verunsicherung Wut wurde. Sibylle Herbert begann ein Buch über ihre Behandlung zu schreiben. Und zwar zusammen mit Dr. Warm, der ihre Geschichte aus seiner Sicht schildert. Das half beiden, ihr eigenes Verhalten genauestens zu reflektieren. So wie Dr. Warm geht es irgendwann vielen Ärzten. Der Blick für die Ängste des Patienten geht verloren, weil Untersuchungen, Behandlungen, Therapien und Operationen zur Routine werden und sich manchmal im Laufe der Jahre eine Art Gleichgültigkeit einstellt. Für den Patienten sind die Situationen immer neu, für den Arzt immer gleich. Dr. Warm nahm die Kritik des Buches ernst und zog daraus seine Konsequenzen. Heute schult er sein Team in einem rücksichtsvollen Umgang mit Patienten und versucht die vielen Missverständnisse zu vermeiden, die Sibylle Herbert damals erleben musste. „Ich nutze meine Macht als Chefarzt, indem ich mein Team schule und mit gutem Beispiel vorangehe. Wir besprechen wöchentlich die Vorkommnisse und nehmen externe Hilfe an, wie z. B. Coachings, die nicht nur das Personal in einem besseren Umgang mit den Patienten trainieren, sondern auch die Abläufe überwachen.“
Es wird in seiner Klinik nun mehr auf die Intimsphäre der Patienten geachtet und auch das Arzt-Patienten-Gespräch hat für Dr. Warm nun mehr Gewicht bekommen. Die medizinische Aufklärung verteilt er beispielsweise auf mehrere Termine, sodass die Patienten die Informationen besser aufnehmen und verarbeiten können. „Heute nehme ich in Gesprächen die psychische Situation der Patienten viel ernster und merke auch eher, wann meine Kompetenz zu Ende ist. Ich nutze dann die Möglichkeit, eine Psychoonkologin mit einzuschalten, die die schwierigen Teile der Gesprächsführung und psychischen Betreuung der Patienten übernimmt.“ Außerdem bekommt jede Patientin von Dr. Warm heutzutage bei der Entlassung eine Kopie ihrer Akte mit allen ihren Befunden ausgehändigt. Früher mussten Patienten wie Sibylle Hermann noch darum kämpfen, ihre Akten lesen zu dürfen. Dr. Warm hat gelernt, dass es für den Arzt nicht von Nachteil ist, wenn man den Patienten, sofern er es wünscht, umfangreich informiert. http://www.youtube.com/watch?v=2CJn8QYZn6U
„Was führt sie zu mir?“ ist ein häufiger Gesprächsanfang, wenn der Patient zum Arzt kommt. Der weitere Verlauf ist abhängig von der Krankheit, aber auch von der Persönlichkeit des Arztes sowie des Kranken. Ein richtiges Arzt-Patienten-Gespräch zu führen, will gelernt sein. Gerade bei sensiblen Gesprächen, die persönliche Probleme, Intimes oder den Tod thematisieren, ist Fingerspitzengefühl gefragt. Nicht jeder beherrscht von Anfang an die richtige Technik. Einige fühlen sich oft gefangen in der Gesprächssituation. Kann man ruhig, sachlich und immer noch mitfühlend bleiben, wenn die eigene Patientin einem die Schuld für ihre Erkrankung gibt? Wie reagiert man, wenn die Patienten zu weinen anfangen oder einen Wutausbruch erleben? Das und viele weitere Dinge sollte Teil der Studienausbildung für junge, angehende Ärzte sein. An der Universität Heidelberg beispielsweise trainieren Medizinstudenten die wohl größte Herausforderung im Berufsalltag des Arztes: einem todkranken Patienten die schreckliche Diagnose mitzuteilen. Breaking Bad News nennt sich der Kurs, der auch an vielen anderen Universitäten verpflichtend angeboten wird. Denn gute Patientengespräche kann man lernen. Das fängt schon bei scheinbar ganz banalen Grundregeln an, wie etwa, dass das Gespräch nicht zwischen Tür und Angel auf dem Klinikflur geführt werden sollte oder der Arzt beim Gespräch sein Handy ausmachen sollte – das klingt selbstverständlich, wird aber trotzdem häufig vergessen.
Andreas Gneiß ist Student an der Uni Heidelberg im sechsten Semester und hat heute sein erstes Gespräch mit einem Schauspieler, der einen todkranken Patienten imitiert, um die Gesprächsführung des angehenden Arztes zu testen. Arzt und Patient sitzen sich gegenüber am Tisch. Der Patient ist aufgebracht und möchte wissen was los ist. Andreas hört zunächst zu, sein Gesicht ist ernst, er schaut dem Patienten ins Gesicht. Dann beginnt er zögerlich: „Es tut mir leid, aber ich muss ihnen mitteilen, dass Sie leider ein Pankreaskopfkarzinom haben... was auch schon in die Lunge metastasiert ist.“ Der Patient schüttelt ungläubig den Kopf: „Und was heißt das auf Deutsch für mich?“, fragt er nach. Andreas erklärt: „Das ist ein bösartiger Tumor der Bauchspeicheldrüse... der leider auch schon hat. Das Problem ist, dass es ein aggressiver Tumor ist, der heilend nicht mehr zu behandeln ist...“ Es ist ihm sichtlich unangenehm, Andreas beißt sich auf die Lippen, versucht Blickkontakt zu halten und wartet die Reaktion des Patienten ab. „Diese Pause ist das Schlimmste“, sagt er später, doch er hat gelernt, dem Patienten nach der Mitteilung der Diagnose Zeit zu geben, das Gehörte zu verdauen und wirklich zu verstehen. „Viele Ärzte neigen dazu, den Patienten mit Informationen zu überhäufen, um die unangenehme Pause zu überbrücken. Doch genau die benötigt der Patient, um die Diagnose zu verarbeiten.“ Andreas’ fiktiver Patient bricht in Tränen aus, doch der angehende Mediziner lässt sich nicht aus der Ruhe bringen und tröstet den Patienten. Solche Simulationsgespräche während des Studiums sind wichtig für die Medizinstudenten. Nur so können sie in geschütztem Rahmen üben, womit sie später in ihrem Berufsalltag konfrontiert werden. Leider kommt das Trainieren von menschlichen Aspekten der Arzt-Patienten-Beziehung an vielen Universitäten zu kurz. Auch Andreas meint: „Es wäre gut, wenn solche Kurse verpflichtend für alle Medizinstudenten wären.“
Ärzte genießen ein hohes Ansehen - seit Jahren führen sie die Liste der meist geachteten Berufe an. Das merkt man auch daran, wie Ärzte in Fernsehserien dargestellt werden: Sie sind einfühlsam, heldenhaft und hören ihren Patienten geduldig zu. Aber wann ist der Mensch im weißen Kittel wirklich ein guter Arzt und wann nur ein „Medizinhandwerker“? Ärzte sind auch nur Menschen. Auch sie machen Fehler. Es gibt allerdings Fehler, die leicht zu vermeiden wären. Wissenschaftler haben jahrelang analysiert, was Ärzte bereits beim ersten Gespräch mit dem Patienten falsch machen. Dazu gehört beispielsweise, dass sie dem Kranken nicht ins Gesicht schauen, während sie sprechen. Oder sie lassen ihn nicht ausreden und verpassen dadurch wichtige Informationen. Im Durchschnitt unterbrechen Ärzte ihren Patienten bereits nach 10-20 Sekunden. Sie haben Angst, dass der Patient zu viele unnütze Information erzählt und unterbrechen lieber gleich, um die notwendigen Informationen zu bekommen. Dabei ist diese Vorgehensweise falsch und man sollte bei einem potentiell erfolgreichen Arzt-Patienten-Gespräch darauf achten, den Patienten ausreden zu lassen und erst nach und nach die relevanten Fragen zum Filtern der Informationen zu stellen. Auch die Zeit, die der Arzt insgesamt mit Arzt-Patienten-Gesprächen verbringt, ist zu gering. Im Laufe eines Jahres hat ein Arzt in Deutschland im Schnitt 10.735 Patientenkontakte. Daraus ergeben sich pro Tag 45 Patienten – also etwa acht Minuten pro Patient, wie der Arztreport der Barmer GEK vorrechnet. Und diese Zeit reicht offensichtlich nicht für ein gutes Arzt-Patienten-Gespräch und erhöht das Risiko von Fehldiagnosen und Fehlbehandlungen.
Das Zeitproblem der Ärzte lässt sich beheben, wenn sie höflich sind und ihre Patienten aussprechen lassen, wie eine israelische Studie beweist. In der hausärztlichen Versorgung brauchten die Patienten im Schnitt weniger als 30 Sekunden, um dem Mediziner ihr Anliegen vorzutragen, wenn sie nicht unterbrochen wurden. Hielten sich die Ärzte daran, sank die Gesamtdauer des Arztbesuchs. Einen weiteren Vorteil erklärt Professor Schedlowski, Placebo-Forscher aus Essen: „Kann der Arzt dem Patienten durch seine Gesprächsführung vermitteln, dass genau dieses Medikament richtig für ihn ist, wächst auch das Vertrauen des Patienten in dieses Medikament. In Studien konnte an Patienten gemessen werden, wie sich die Wirkung des Medikaments verbessert, wenn die Erwartungshaltung des Patienten groß ist. Das ist der Beweis, wie wichtig das Gespräch ist.“ Wer sich fragt, was er selbst an seinem Patientengespräch verändern kann, findet in der folgenden Tabelle Beispiele für Fragen, die zu einer Verbesserung der Arzt-Patienten-Beziehung führen.
Wo glauben Sie, könnten Schwierigkeiten auftreten?
Einige vertrauensfördernde Verhaltensweisen des Arztes bei der Behandlung eines Patienten sind dabei die fortlaufende Information über diagnostische und therapeutische Schritte, die konstante, sachliche und wohlwollende Grundhaltung, die Klärung der Verantwortlichkeit (z. B. Patient, Hausarzt, Facharzt), die Vermeidung kränkender Bemerkungen oder vorschneller Versprechen und die Schaffung von Spielraum für eigenständige Entscheidungen und Aktivitäten des Patienten.
Das Gespräch und das Verständnis zwischen Arzt und Patienten ist also für beide Seiten enorm wichtig, um Arzt-Patienten-Konflikte zu umgehen. Dabei sind sowohl die Ärzte als auch die Patienten gefordert. Doch schaut man sich die zugeteilten Mittel im Gesundheitssystem an, sieht man, dass die Prioritäten hierzulande oft falsch verteilt sind. Für Medikamente gibt es die Pharmaindustrie, die sich einsetzt, ebenfalls gibt es eine große Lobby für medizinische Geräte. Doch wer unterstützt die Basis von Diagnose und Therapie, die Arzt-Patienten-Kommunikation? Daran können wohl nur die beteiligten Parteien selbst, Arzt und Patient, arbeiten.