Eine aktuelle Studie zeigt: Eltern wollen ihre Kinder möglichst wenig schädigen und reduzieren daher oft eigenmächtig die Medikamentendosis. Unerwünschte Arzneimittelwirkungen treten jedoch häufig dosisunabhängig auf – auch in therapeutisch nicht wirksamen Dosierungen.
Durch hochwirksame Medikamente ist heute auch die Behandlung von schwerwiegenden Krankheiten möglich. „Leider sind die Medikamente nicht in allen Altersgruppen hinreichend untersucht und behördlich zugelassen“, sagt PD Dr. Antje Neubert von der Kinder- und Jugendklinik des Universitätsklinikums Erlangen. Bisher sei man davon ausgegangen, dass das zusätzliche Risiko durch den sogenannten Off-Label-Einsatz von Medikamenten vor allem in überhöhten Wirkstoffmengen und somit toxischen und möglicherweise unbekannten Effekten liegt. Überraschende Ergebnisse brachte nun die neue Studie. Sie basiert auf den KiGGS-Daten, einer vom Robert Koch-Institut initiierten Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Über 17.000 Kinder und Jugendliche bzw. deren Eltern wurden systematisch zu ihrer Medikamenteneinnahme in der vergangenen Woche befragt. Gemeinsam mit dem Robert Koch-Institut erforschten die Erlanger Wissenschaftler, ob die Medikamente den Kindern wie geprüft und behördlich zugelassen verabreicht wurden. Das Ergebnis: „Anders als wir von Verordnungsdaten wissen, fand sich eine deutlich erhöhte Anzahl von Medikamenten, die nicht zulassungskonform von den Kindern eingenommen wurde“, so Antje Neubert.
Gut ein Drittel der eingenommenen Medikamente hatte keine Zulassung für Kinder. „Diese Information war zunächst nicht überraschend, da Kinder häufig nur für Erwachsene zugelassene Medikamente einnehmen. Neu ist jedoch, dass über die Hälfte dieser Medikamente in falscher, zu niedriger Dosierung eingenommen wurde.“ Diese Erkenntnis bezog sich auf verschreibungspflichtige und frei verkäufliche Medikamente. „Wir nehmen an, dass Eltern aus Angst vor unerwünschten Arzneimittelwirkungen und in dem Glauben, ihr Kind vor Schaden zu bewahren und ihm etwas Gutes zu tun, lieber etwas weniger Arzneimittel geben, als vom Arzt verordnet wurde oder als in der Packungsbeilage zu lesen ist. Ganz vorenthalten will man das Medikament dann aber schließlich doch nicht“, vermutet Neubert.
Bedenklich sei insbesondere, dass jedes fünfte Antibiotikum bei Kindern in zu niedriger Dosierung verabreicht wird. „Vielleicht passiert den Kindern nicht viel, weil die Anwendung doch nicht notwendig war. Zu häufig und zu niedrig dosiert eingesetzt, kommt es jedoch schnell zur Bildung von Resistenzen – ein Problem, das mittlerweile eine gefährliche Entwicklung nimmt“, sagt die Wissenschaftlerin. Die ursprüngliche Intention der Eltern, ihr Kind zu schützen, drifte dadurch in eine ganz andere Richtung: „Der therapeutische Effekt bleibt aus, unerwünschte Wirkungen treten trotzdem auf und bisher wirksame Therapien stehen zukünftig möglicherweise nicht mehr zur Verfügung.“ Inwieweit diese Beobachtung auch in anderen Ländern zutrifft, lässt sich nach Ansicht der Erlanger Wissenschaftler im Moment nicht sagen. „In Deutschland haben wir eine Kultur, in der Arzneimittel eher zurückhaltend eingesetzt werden. Der hohe Anteil an Homöopathika und Phytopharmaka macht das deutlich. Umso mehr ist es notwendig, umfassende Aufklärung zu leisten und falsche Vorurteile auszuräumen, damit unsere Kinder adäquat mit Arzneimitteln behandelt und trotzdem maximal geschützt werden“, so das Fazit von Neubert. Originalpublikation: Off-label medicine use in children and adolescents: results of a population-based study in Germany Hildtraud Knopf et al.; BMC Public Health, doi:10.1186/1471-2458-13-631; 2013