Eines der wichtigsten medizinischen Fachjournale trennt sich endgültig von der Zigarettenindustrie. Zu groß sei das Risiko, für tödliche Produkte missbraucht zu werden.
Das British Medical Journal (BMJ) hat einen Schlussstrich gezogen. Es wird keine Studien mehr veröffentlichen, die von der Tabakindustrie finanziert wurden. In einem Editorial ihrer Zeitung stellen die Herausgeber klar, dass sie nicht weiter dabei zusehen werden, wie die Industrie „Journale benutzt, um eine der tödlichsten Epidemien dieser Zeit aufrechtzuerhalten“. Neben dem Mutterblatt haben auch die Zeitschriften Heart, Thorax und BMJ Open die Vereinbarung unterschrieben.
Damit folgt das BMJ dem Vorbild jener Magazine, die diesen Weg schon früher gegangen sind. Dazu zählen PLoS Medicine, PLoS One, PloS Biology und das Journal of Health Psychology. Für die Verantwortlichen bedeutet dieser Weg eine Kehrtwende. Noch 1996 kritisierte das Blatt die Amerikanische Thorax Gesellschaft für ihre Entscheidung, von der Tabakindustrie finanzierte Studien nicht mehr zu publizieren. In einem BMJ-Editorial hieß es: „Dieser Beschluss war ein weiterer Schritt im ehrenwerten Kampf dieser medizinischen Gesellschaft, aber es war auch ein fehlgeleiteter“, so die Autoren. Er bedrohe die medizinische Wissenschaft, den Journalismus und die Freiheit der Gesellschaft.
Nun ist in der Zwischenzeit viel passiert. In den vergangenen Jahren tauchten immer mehr Belege auf, die zeigten, dass die Tabakindustrie Wissen vorsätzlich verzerrte, Studienergebnisse zurückhielt oder auf eine irreführende Weise auslegte, um Zweifel daran zu säen, dass Zigaretten der Gesundheit schaden. Ende der neunziger Jahre etwa hatten sich durch Schadensersatzprozesse in den USA die fünf großen Zigarettenhersteller Philip Morris, R. J. Reynolds, Lorillard, Brown & Williamson und die American Tobacco Company verpflichtet, zunächst für die folgenden 25 Jahre 200 Milliarden US-Dollar Ausgleichszahlungen an die Bundesstaten zu zahlen. Zudem mussten sie heikle Firmenunterlagen veröffentlichen, weil sie die Öffentlichkeit über die wahren Risiken des Rauchens getäuscht hatten.
Dabei sind auch Dokumente aufgetaucht, die einen Einblick in die Praktiken in Deutschland gaben. So förderte der damalige Verband der Cigarettenindustrie (VdC) zwischen 1977 und 1991 rund 110 Forschungsprojekte. In den Dokumenten finden sich unter anderem die Namen von mehr als 60 beteiligten Wissenschaftlern, darunter einflussreiche Ärzte, Universitätsprofessoren, einstige Präsidenten von medizinischen Fachgesellschaften sowie ein ehemaliger Präsident des Bundesgesundheitsamtes. Eines der Dokumente beschreibt detailliert, wie die akademische Freiheit durch die Sponsoren eingeschränkt wurde: „Der Verband (VdC) hat totale Kontrolle über das Design der Experimente, das Recht der Forscher zu publizieren oder nicht zu publizieren et cetera. Ebenso müssen diese Projekte nach außen hin vertraulich gehalten werden.“ Die Veröffentlichung und die Diskussion über diese Vorgehensweise haben jedoch nicht dazu geführt, die Einflussnahme der Industrie zu unterbinden.
Das britische Nachrichtenmagazin Observer berichtete erst kürzlich, dass der Tabakhersteller Philip Morris 161 Lobbyisten eingestellt habe, um EU-Gesetzgebung zu bekämpfen – anscheinend erfolgreich. Die Europaabgeordneten sollten über eine neue Direktive entscheiden, die dazu beitragen sollte, Todesfälle durch Tabakkonsum einzuschränken. Dazu zählte etwa der Verbot von Zusatzstoffen, der ausschließliche Verkauf von E-Zigaretten in Apotheken oder der Abdruck von Warnbildern auf den Packungen. Am Ende wurde das Votum im EU-Parlament um Monate verschoben. Zwar wurde mittlerweile abgestimmt, viele Forderungen der Zigaretten-Gegner konnten sich jedoch nicht durchsetzen. „Die Tabakindustrie hat sich nicht wirklich verändert, die Zigarette – das tödlichste Konsum-Produkt, das je hergestellt wurde – ist noch immer auf dem Markt und wird aggressiv beworben“, schreibt das BMJ. Seine Entscheidung wird daher von vielen als ein notwendiger Schlag gegen die Tabakindustrie bejubelt. Kritiker bemängeln jedoch die Bevormundung, die damit einhergeht.
Forscher seien auf Geld angewiesen und das käme nun mal häufig aus der Industrie. Auch die Pharmabranche hat Interessen, und ihr Einfluss auf Studienergebnisse wurde zuhauf nachgewiesen. Auf alle Geldgeber zu verzichten, könne sich die forschende Wissenschaft jedoch nicht leisten. Zudem könnten Leser die Qualität von Studien selbst einschätzen, solange die finanziellen Verflechtungen ausnahmslos offengelegt werden. Für die Redakteure des BMJ greift dieses Argument nicht. Denn Studienergebnisse und deren Interpretation würden durch die Interessen der Geldgeber nachweislich beeinflusst. Für Leser seien die Unterschiede kaum zu erkennen. Selbst das Peer-Review-Verfahren könne nicht mit letzter Sicherheit alle methodischen Mängel und irreführenden Analysen aufdecken.
Die Aufgabe von medizinischen Journalen sei es zudem, durch die Veröffentlichung von Studien, Krankheiten in der Bevölkerung zu verringern. Die Tabakindustrie hingegen wolle ihr Produkt bewerben. Diese gegensätzlichen Interessen halten die Herausgeber des BMJ für prinzipiell unvereinbar.