Demenzkranke Menschen verlieren im Laufe ihrer Erkrankung die Fähigkeit zu sprechen. Forscher konnten nun empirisch zeigen, dass Musiktherapie einen positiven Einfluss auf das nonverbale Kommunikationsverhalten und das Wohlbefinden von Menschen mit fortgeschrittener Demenz hat.
Musik kann demenzkranke Menschen positiv beeinflussen, sie verbessert deren Wohlbefinden und emotionalen Ausdruck. Nun haben Wissenschaftler von der Frankfurter Goethe-Universität eine Methodik entwickelt, mit deren Hilfe sie die Auswirkungen der Musiktherapie auf Demenzkranke erstmalig quantifizieren konnten. In einer Pilotstudie untersuchte das Team um Professor Johannes Pantel, Leiter des Arbeitsbereichs Altersmedizin, neun Patienten, die an einer fortgeschrittenen Demenz litten und im häuslichen Umfeld gepflegt wurden. "Das Sprachvermögen aller Teilnehmer war stark eingeschränkt, so dass ein verbaler Zugang durch ihre Angehörigen kaum noch möglich war", berichtet Arthur Schall, Musikwissenschaftler und Psychologe im Arbeitsbereich Altersmedizin. Im Rahmen der Studie besuchte eine Musiktherapeutin die demenzkranken Teilnehmer einmal wöchentlich für die Dauer von sechs Monaten. Die Sitzungen hatten jeweils eine Länge von 30 bis 45 Minuten und enthielten sowohl aktive als auch rezeptive musiktherapeutische Elemente. "Sehr wichtig für den Erfolg einer solchen Therapie ist es, im Vorfeld die musikalische Biographie der Patienten zu erfassen, also welche Musik sie am liebsten gehört haben und ob sie selbst musiziert oder gesungen haben", sagt Schall. "Die Sitzungen hatten außerdem einen festen Rahmen: Sie begannen immer mit einem Begrüßungslied und endeten mit einem Verabschiedungslied."
Die Musiktherapeutin brachte für jede Sitzung neben CDs mit biographisch relevanter Musik auch verschiedene Instrumente mit. "Dies waren beispielsweise einfache Melodie-Instrumente oder auch afrikanische Trommeln mit bunten Bemalungen und auffälligen Formen", so Schall. Ihr Aussehen und die Beschaffenheit sollten die demenzkranken Menschen dazu anregen, diese in die Hand zu nehmen und mit ihnen etwas zu machen. Die Musiktherapeutin verstärkte diesen Prozess, indem sie den Patienten zuerst einzelne Instrumente in die Hand gab und beobachtete, ob diese ihr Interesse wecken und zum Musizieren anregen würden. "Aus einem Geklopfe konnte so eine gemeinsame Improvisation entstehen, wenn die Musiktherapeutin auf einem anderen Instrument auf die musikalischen Impulse vom demenzkranken Menschen reagierte", erzählt Schall. Alle musiktherapeutischen Besuche bei den Patienten wurden mit einer Kamera gefilmt. Anschließend werteten Schall und seine Kollegen die Videos mit der sogenannten Zeitreihenanalyse aus – einer Methode, die normalerweise zur Analyse von Börsenkursen oder meteorologischer Daten angewendet wird. Sie zerlegten jedes Video in 30 Sekunden lange Sequenzen, die von geschulten Beobachtern hinsichtlich der Kommunikationsfähigkeit, des Wohlbefindens sowie des emotionalen Ausdrucksverhaltens der demenzkranken Menschen eingeschätzt wurden. "Die Beobachter achteten zum Beispiel darauf, ob die Patienten den Blickkontakt herstellen und ihn halten konnten, ebenso wie auf deren Mimik, Gestik und Lautäußerungen", erläutert Schall.
Diese Einschätzungen ließen sich anhand spezifischer Skalen und bestimmter Kriterien in Punktwerte umrechnen. So konnten die Wissenschaftler den zeitlichen Verlauf genau verfolgen und mit einer gewöhnlichen Alltagssituation der Patienten im Umgang mit ihren Angehörigen vergleichen, die kurz vor der Musiktherapie aufgenommen wurde. Im Vergleich zur Alltagssituation verbesserten sich deutlich die nonverbalen Kommunikationsfähigkeiten, das Wohlbefinden und der emotionale Ausdruck der Studienteilnehmer während der Musiktherapie. Menschen haben ein elementares Bedürfnis, sich mitzuteilen. Wenn die Sprachfähigkeit nachlässt, gewinnen nonverbale Kommunikationsformen zunehmend an Bedeutung: "Musik kann ein Ventil sein für Emotionen, die demenzkranke Menschen verbal nicht mehr mitteilen können", findet Schall. "Dank der Musik verhalten sich die Betroffenen oftmals weniger unruhig und aggressiv, sie haben auch wieder etwas, womit sie sich eigenständig beschäftigen können." Allerdings solle man keine falschen Erwartungen in die Erfolge von Musiktherapie setzen, denn der fortschreitende Verlust der kognitiven Fähigkeiten sei auch durch sie nicht aufzuhalten.
Die Musiktherapie hatte auch auf die Angehörigen der demenzkranken Teilnehmer positive Auswirkungen: "Eine Ehefrau berichtete, dass es durch das Musizieren wieder etwas gebe, was sie und ihr Mann gemeinsam tun könnten", sagt Schall. "Nach Ablauf der Studie baten viele Angehörige um die Fortsetzung der Musiktherapie und finanzierten diese sogar, sofern es ihnen möglich war, aus eigenen Mitteln." Bislang bezahlen Pflegeversicherungen die Musiktherapie bei Demenzkranken nicht. Schall hofft, dass sich das bald ändern und die Musiktherapie dann als niedrigschwelliges Betreuungsangebot gefördert wird. Die Ergebnisse der Untersuchung haben Schall und seine Kollegen auf mehreren wissenschaftlichen Kongressen vorgestellt und wollen sie nun Anfang des kommenden Jahres in einer geriatrischen Fachzeitschrift veröffentlichen.