Nach rund drei Wochen ist es endlich soweit: Die Arbeitsgruppe Gesundheit hat Eckpunkte zu zentralen Versorgungsthemen veröffentlicht. Während sich Union und SPD bei Sparmaßnahmen schnell einig wurden, gibt es bei Fragen zur Kranken- und Pflegeversicherung nach wie vor keinen Konsens. Jetzt müssen die Parteichefs ran.
Politiker auf der Suche nach einer klaren Linie: CDU und CSU stellten sich schon früh hinter inhabergeführten Apotheken, während SPD-Politiker ihren Weg erst finden mussten. Peer Steinbrück hatte sich beispielsweise in einem Brief an die Landesapothekerkammer Rheinland-Pfalz für mehr Wettbewerb ausgesprochen, die Preisbindung bei Rx-Präparaten kritisiert und sich für Versandapotheken stark gemacht. Und Professor Dr. Karl Lauterbach ist Apothekenketten gegenüber nicht unbedingt abgeneigt. Im Abschlussbericht der Arbeitsgruppe (AG) Gesundheit sprechen sich CDU/CSU und SPD klar für inhabergeführte Apotheken aus – und halten am Fremd- beziehungsweise Mehrbesitzverbot in der bestehenden Form fest. Laut Spahn sind „rollende“ oder „mobile“ Apotheken, die im Wahlkampf noch für Verstimmung sorgten, vom Tisch. Dafür planen beide Seiten, Pharmazeuten stärker als bisher in die Notfallversorgung einzubeziehen. Die Verhandlungsdelegationen haben jedoch keinen Passus zur regelmäßigen Überprüfung apothekerlicher Honorare formuliert.
Arzneimittel sind für Spahn und Lauterbach ohnehin ein zentrales Thema. Deshalb soll es Online-Rezepten an den Kragen gehen. Johannes Singhammer (CSU), stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, sprach von einer „gefährlichen Entwicklung“, als Englands Internetpraxis DrEd offensiv für die „Pille danach“ warb. Notfallkontrazeptiva sollen zwar aus der Rezeptpflicht entlassen werden – am 8. November stimmte der Bundesrat mehrheitlich für einen Antrag. Bei allen anderen Rx-Präparaten plädieren Union und Sozialdemokraten jedoch für persönliche Kontakte zwischen Arzt und Patient. Sie planen, Verschreibungen zu unterbinden, die nur auf Ferndiagnosen beruhen. Inwieweit ihre Initiative mit EU-Recht konform ist, wird der Europäische Gerichtshof (EuGH) früher oder später zu klären haben.
Noch ein heißes Eisen: Bereits am Apothekertag hatte sich Jens Spahn kritisch zur Rolle der Selbstverwaltung bei Substitutionslisten geäußert und Kassenvertreter wegen ihrer Blockadehaltung scharf kritisiert. Jetzt wollen Union und SPD auch an dieses Thema einen Haken setzen, um bei Präparaten mit geringer therapeutischer Breite Präparatewechsel zu vermeiden. Entsprechende Listen kommen vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA).
CDU/CSU und SPD verbündeten sich auch schnell, um weitere Einsparpotenziale zu identifizieren. Dabei geht es pharmazeutischen Herstellern an den Kragen. Eigentlich sollten zum 1. Januar 2014 Zwangsrabatte für Nichtfestbetragsarzneimittel von 16 auf sechs Prozent verringert werden. Dieser Obolus wird bis 2017 bei sieben Prozent fixiert. Darüber bleibt das Preismoratorium weiter bestehen. Spahn spricht von „einem massiven Eingriff in die Preisgestaltung“, begründet dies aber mit Einsparungen in Höhe von 500 bis 700 Millionen Euro pro Jahr. Gleichzeitig stoppt er die Nutzenbewertung von Arzneimitteln des Bestandsmarkts komplett – entgegen ersten Zwischenergebnissen der AG Gesundheit auch für patentgeschützte Arzneimittel. Zum Hintergrund: Laut Jens Spahn sei der Bestandsmarktaufruf „mit rechtlichen und praktischen Problemen behaftet“. Gleichzeitig erwartet er lediglich ein Volumen von 50 bis 60 Millionen Euro für das kommende Jahr. Sozialdemokraten tragen entsprechende Pläne mit – Lauterbach hätte sich „durchaus noch mehr vorstellen können“. Herrscht tatsächlich nur eitel Sonnenschein zwischen den Volksparteien?
Am 18. November war es schlagartig aus mit dem Kuschelkurs. „Jetzt sind die Verhandlungen vollkommen festgefahren“, so Lauterbach. SPD-Politiker fordern, bei gesetzlichen Krankenversicherungen Zusatzbeiträge sozial verträglich am Einkommen festmachen. Auch sollen Arbeitgeber und Arbeitnehmer diesen Obolus gemeinsam entrichten – momentan kommen Angestellte für die komplette Summe auf. Sie müssen zusätzlich 0,9 Prozent des beitragspflichtigen Bruttolohns berappen. Diese Abgabe würden Sozialdemokraten ebenfalls gern kippen. Unionsvertreter lehnen entsprechende Pläne ab. „Uns ist in der Finanzierung nichts geglückt“, beschwert sich Lauterbach. Und Spahn rechnet vor: „Die Rückkehr zur Parität wäre eine Belastung der Arbeitgeber von knapp fünf Milliarden Euro.“ Er bewertet Zusatzbeiträge bei GKVen als wichtiges Wettbewerbsinstrument, das stärker als bisher zum Einsatz kommen könnte. Schließlich seien bis 2017 Defizite in zweistelliger Milliardenhöhe zu erwarten. Kassen ohne zusätzliche Abgaben hätten früher oder später klare Vorteile im Markt. Privatversicherte, die im Alter teils exorbitant hohe Beiträge zu entrichten haben, brauchen jedoch nicht auf Entlastungen zu hoffen. Union und SPD sind sich auch einig, dass es Zeit für eine Pflegereform ist. Für Versicherte soll der Beitragssatz um 0,5 Prozentpunkte steigen. Spahn sieht vor, 0,1 Prozentpunkte in einen Pflegefonds zu geben – was Lauterbach ablehnt. Beide Seiten haben sich jedoch verständigt, den „Pflege-Bahr“ fortzuführen. Und ein neues Präventionsgesetz soll ab 2014 im Kampf gegen Volkskrankheiten helfen. Bleibt zu hoffen, dass die große Koalition auch Apotheker im Visier hat.
Ein roter Faden der AG Gesundheit: Union und Sozialdemokraten ist wichtig, Patienten medizinisch und pharmazeutisch besser zu versorgen. Jens Spahn und Karl Lauterbach machten in Berlin aber klar, alle Maßnahmen stünden unter Finanzierungsvorbehalt. Jetzt sind Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Sigmar Gabriel (SPD) an der Reihe.