Bei den meisten Autoimmunkrankheiten sind eher Frauen als Männer betroffen. Zwei Arbeiten aus diesem Jahr zeigen, dass Darmbakterien den Mann mit einem Schutzschirm gegen das eigene Immunsystem ausrüsten.
Frauen reagieren stärker als Männer auf alles, was dem Körper fremd ist, ihr Immunsystem ist sensibler als das des anderen Geschlechts. Das ist praktisch, wenn pathogene Mikroben den Körper bedrohen. Wenn sich aber die Abwehrreaktion nach innen richtet, ist das längst nicht mehr so nützlich. Rund jeder zwanzigste Mensch muss sich mit einer Autoimmunkrankheit herumschlagen, drei von vier dieser Patienten sind Frauen, die ein 2,7-faches Risiko für eine der zahlreichen Autoimmunleiden besitzen. Nimmt man den Systemischen Lupus Erythematodes (SLE) oder auch die Autoimmunthyreopathie, so erkranken daran neunmal so viele Frauen wie Männer, bei Rheumatoider Arthritis und Multipler Sklerose (MS) sind es immerhin noch dreimal so viele.
Doch nicht nur in der Häufigkeit liegen die Unterschiede zwischen den Geschlechtern bei chronischen Autoimmunreaktionen, sondern etwa auch beim Alter des Patienten, wenn die Krankheit ausbricht. MS und SLE beginnen oft in der reproduktiven Phase des Frauenlebens, bei Männern meist später. Warum ist das so? Sorgen Unterschiede im Genom für die schwache Seite, was die Auswahlgenauigkeit der menschlichen Abwehr angeht? Oder sind es Umwelteinflüsse, die eine Reaktion gegen eigene Stoffwechselprodukte entfachen? „Die Ungleichverteilung bei großen Autoimmunkrankheiten ist sehr gut bekannt, aber nicht sehr gut verstanden“, erläutert Alexander Chervonsky von der Universität Chicago die Unsicherheit bei der Ursachenforschung.
Bei homozygoten Zwillingen ist die Übereinstimmung bezüglich Autoimmunreaktionen eher gering – ein Argument für die These von epigenetischen und Umwelteinflüssen. Andererseits ist ebenfalls klar, dass Geschlechtshormone eine bedeutende Rolle beim Ausbruch spielen: Östrogene stimulieren allen Anschein nach die Irrwege des Immunsystems, während Androgene das eher verhindern. Zwei neue Publikationen in den renommierten Fachmagazinen „Science“ und „Immunity“ bringen nun ein bisschen mehr Licht in das Dunkel der Entstehung von Autoimmunität. Sie zeigen anhand von Versuchen mit Mäusen, dass dabei die Darmflora eine bedeutende Rolle spielt. Am Tiermodell des Typ-1-Diabetes fällt auf, dass die Geschlechtsunterschiede je nach Forschungsinstitution ganz unterschiedlich sind, wenn es um das Krankheitsrisiko geht. Bei einer Aufzucht in keimfreier Umgebung verschwindet dieser Unterschied zwischen Männchen und Weibchen oft gänzlich. Schon seit einiger Zeit ist auch bekannt, dass sich mit der Geschlechtsreife von Mäusen auch die Zusammensetzung der Mikrobengesellschaft ihres Verdauungstrakts ändert und erst dann deutliche Unterschiede zu der des jeweils anderen Geschlecht aufweist. Geschlechtshormone spielen dabei eine bedeutende Rolle.
Janet Markle von der Kinderklinik im kanadischen Toronto zeigte in ihrer Arbeit, an der auch das Leipziger Helmholtz Zentrum für Umweltforschung beteiligt war, dass auch die Bakteriengesellschaft bei heranwachsenden Mäusen den Geschlechtshormonspiegel und in der Folge die Neigung zu „Non-Obese Diabetes“ beeinflusst. Bestimmte Mikrobenarten steigern dabei den Testosteronspiegel und schützen männliche Tiere vor der Krankheit. Mit einem Transfer der Darmflora lässt sich dieser Schutz sogar von erwachsenen Mäusemännern auf junge Damen übertragen. Wie Markle legte auch Alexander Chervonsky in seiner Untersuchung dar, dass vor allem der Hormonschub in der Pubertät beim männlichen Geschlecht dafür sorgt, dass sich die Struktur der mikrobiellen Untermieter stark verändert.
Das Team aus Chicago zeigte somit, dass das Mäusemikrobiom nicht nur Einfluss auf den Hormonspiegel hat, sondern auch umgekehrt. Die Darmflora kastrierter Mäusemännchen ähnelt der weiblichen. Für den Schutz der Männchen vor Autoimmunreaktionen sorgen jedoch nur bestimmte Bakterienfamilien. Das zeigen Versuche, bei denen keimfrei aufgezogene Mäuse mit bestimmten Bakterien rekonstituiert wurden und dann jeweils unterschiedliche Krankheitsrisiken aufwiesen. Nur ein Teil der bevorzugt in männlichen Mäusen vorkommenden Linien ist auch für den erhöhten Diabetesschutz verantwortlich. Alles in allem scheinen sich Darmbakterien und Geschlechtshormone in engem Zusammenspiel gegenseitig zu beeinflussen und sorgen so dafür, dass männliche Mäuse seltener an NOD erkranken als weibliche. Ziel derzeitiger Forschungen dürfte es sein, die genauen Stoffwechselwege aufzuklären, über die Hormone, Bakterienmetabolismus und Immunsystem des Wirts miteinander kommunizieren. Ziemlich sicher ist dabei auch das proinflammatorische Zytokin γ-Interferon beteiligt. Analysen bei Patienten mit Multipler Sklerose weisen außerdem auf eine Reihe von Transkriptionsfaktoren und unterschiedlicher epigenetischer Kontrolle bei Frau und Mann hin.
Auf dem Jahreskongress der amerikanischen Society for the Study of Reproduction in Montreal im Juli dieses Jahres präsentierte Sabra Klein von der Johns Hopkins Bloomberg School of public Health in Baltimore Daten von Tierversuchen an grippeinfizierten Mäusen. Eine Behandlung mit Östradiol oder einem Östrogenrezeptoragonisten linderte die Entzündungssymptome, die das Influenzavirus hervorrief. Das könnte auch für die Infektion mit humanen Grippeviren bedeutend sein. Denn Frauen, besonders im fortpflanzungsfähigen Alter, litten bei Epidemien von Vogel- und Schweinegrippe an wesentlich stärkeren Symptomen als Männer. Bei Mäusen bringt die Infektion den Geschlechtshormonzyklus von Weibchen durcheinander und sorgt für eine hohe Krankheits- und Todesrate. Östradiol sorgt mit einem Anstieg der CD8 Lymphozyten für einen effektiveren Kampf gegen die eingedrungenen Viren. Progesteron auf der anderen Seite unterstützt die Gewebereparatur und aktiviert T-Helferzellen vom Typ CD4 und fördert damit auch die humorale Immunantwort.
In vielen Forschungslabors, aber auch in der Klinik, ist die Einsicht noch nicht angekommen, dass gerade bei Studien eine Immunantwort je nach Geschlecht oft ganz unterschiedlich ausfällt. Nur allzu oft gelten Daten, die nur am männlichen Geschlecht erhoben werden, als repräsentativ. Geschlechtshormone, so kristallisiert sich immer deutlicher heraus, spielen nicht nur eine Rolle als Botschafter zwischen verschiedenen Regionen und Geweben des Körpers, sondern übernehmen auch eine Rolle als Dolmetscher zwischen Wirt und seinen mikrobiellen Gästen etwa im Verdauungstrakt. Wenn die Wissenschaft die Inhalte dieser Signale immer besser versteht, ergeben sich damit fast automatisch Möglichkeiten, Fehlsteuerungen der menschlichen Abwehr bei Autoimmunkrankheit therapieren oder gar zu verhindern.