Bachblüten scheinen eine Glaubensfrage zu sein. Für die Verfechter der evidenzbasierten Medizin hat der Betreiber eines Onlineshops mit seiner Bachblütenessenz Nr. 79 die Schmerzgrenze nun deutlich überschritten.
„Das unterbietet moralisch wirklich auch den allerschlimmsten Pharma-Weltkonzern, der irgendwelche Blutdruckmittel auf den Markt wirft, die schlechter sind als die Vorgängerprodukte, nur um mit einem neuen Produkt mehr Kohle zu machen“, schreibt ein empörter Facebook-Nutzer. Die übrigen Kommentatoren sind nicht weniger aufgebracht. „Wir sollten wirklich überlegen, diese Ganoven wegen Betrugs anzuzeigen. Hier ist wirklich mal eine rote Linie überschritten worden. Solchen Leuten muss ein für alle Mal das "Handwerk" gelegt werden!“, fordert ein anderer User. Ein weiterer berichtet, die Verbraucherzentrale informiert zu haben.
Es geht um einen Onlineshop für Bachblütenmischungen. In seinem Angebot befand sich bis vor kurzem auch die Bachblütenmischung Nr. 79 gegen Kindesmissbrauch. „Bachblüten heilen emotionale Wunden durch Kindesmisshandlung“, stand dort geschrieben. Im Einzelnen soll das so funktionieren: Leidet das Kind nach seiner Misshandlung unter Ängsten, helfen Bachblüten „den Seelenfrieden wiederzufinden und wieder vertrauen zu können.“ Die Bachblütenmischung helfe auch, „das Trauma zu verkraften, wodurch es weniger Schaden im Leben des Kindes anrichten kann.“ Bei Depressionen helfen Bachblüten, „diese negativen Gefühle in positive Gemütszustände zu verwandeln, wodurch das Leben wieder sinnvoll wird.“ Auch gegen Einsamkeit und ein geringes Selbstwertgefühl wirkt die Mischung. Die Ergebnisse könnten allerdings variieren, verriet ein Hinweis unter dem Angebot. Der Betreiber Tom Vermeersch wirbt mit einem bis Ende des Jahres gültigen Zertifikat, nach dem er in Belgien den Titel „Psychologe“ tragen darf – gegen eine Gebühr von 50 Euro. Nach eigenen Angaben auf seiner Webseite ist er außerdem zertifizierter Bachblütenberater mit langjähriger Erfahrung. Eltern von misshandelten Kindern empfiehlt er 6 mal täglich 4 Tropfen seiner Mischung Nr. 79 direkt auf die Zunge des Kindes zu geben oder in Wasser aufzulösen. Pro Monat benötigt man dafür ca. ein Fläschchen mit 50 mL à 39,- Euro. „Optimale Erfolge erzielen Sie mit 3 Monaten Behandlung“, hieß es unter dem Angebot. Für 117,- Euro sollte das Trauma einer Misshandlung also in den Griff zu bekommen sein.
Bachblüten sind eine Erfindung des britischen Arztes Edward Bach (1886–1936). Er ging davon aus, dass jede körperliche Krankheit auf einer seelischen Gleichgewichtsstörung beruht, die durch einen Konflikt zwischen der unsterblichen Seele und der Persönlichkeit zustande kommt. Eine Heilung könne demnach auch ausschließlich auf der geistig-seelischen Ebene stattfinden. Bach rief „38 disharmonische Seelenzustände der menschlichen Natur“ ins Leben. Jedem dieser Zustände ordnete er Blüten und Pflanzenteile zu, die er in Wasser legte oder kochte und die so ihre „Schwingungen“ an das Wasser übertragen sollten. Aus diesen Urtinkturen werden anschließend durch starke Verdünnung die sogenannten Blütenessenzen hergestellt. Diese enthalten demnach keine pharmakologisch relevanten Mengen der Pflanzenbestandteile mehr. Verfechter dieser Anwendungen argumentieren, dass das Wirkprinzip der Blütenessenzen nicht auf molekularen oder pharmakologischen Mechanismen beruhe, sondern auf der schlichten Übertragung von „Energie“, die von den Blüten auf die Essenz übertragen wird. Da diese Energie bisher nicht nachgewiesen werden konnte, gelten Bachblütenessenzen in der evidenzbasierten Medizin als reine Placebos. Auch in klinischen Studien schnitten die Bachblütenessenzen bisher nicht besser ab als Placebos.
„Es gibt vieles zwischen Himmel und Erde, was man nicht wissenschaftlich belegen kann, aber es gibt es. Bachblüten unterstützen die Selbstheilungskräfte, oder regen sie an, wenn im seelischen/ körperlichen Bereich etwas aus dem Ruder läuft. Also es löst Blockaden ... bringt Körper und Geist wieder in Einklang“, erklärt eine Nutzerin auf der Facebookseite „Bachblüten“, die aktuell mehr als 5.700 Fans verzeichnet. Am 17. November ließ Tom Vermeersch dort verlauten: „Hallo, Seit gestern gibt es eine Menge Ärger um die Bachblüten-Mischung Nr. 79 “Kindesmisshandlung”. Ich bedauere die negativen Reaktionen sehr. Seit vielen Jahren versuche ich Menschen mit emotionalen Problemen zu helfen, unter anderem auch Menschen mit Traumata, die durch Kindesmissbrauch entstanden sind. Ich versuche zu helfen, von ganzem Herzen. Ich kann verstehen, dass manche von Ihnen nicht an Bachblüten glauben, einen wissenschaftlichen Nachweis kann ich selbst nicht erbringen. Aber ich habe ihre positive Wirkung bei vielen Menschen beobachten können. Natürlich können Bachblüten den Missbrauch von Kindern nicht verhindern. Aber sie können dabei helfen, das Trauma zu verarbeiten. Dennoch werde ich die Bachblüten-Mischung Nr. 79 von meiner Website nehmen. Mit freundlichen Grüßen, Tom“
Was auf der Webseite bleibt, sind unter anderem Bachblüten-Tropfen gegen ADHS, Autismus, Alkoholismus und Drogensucht. Auch Hunden mit Angst vor Feuerwerk kann geholfen werden. Dieses Problem kann mit der Mischung Nr. 100 in ebenfalls durchschnittlich drei Monaten mit etwa drei Flaschen à 39,- Euro behoben werden. Hier kann es insgesamt allerdings etwas teurer werden als bei einem misshandelten Kind, denn „Sie können die Tropfen auch häufiger geben, wenn das Jahresende näher rückt. In Momenten extremen Stresses, also zum Beispiel während der Silvesternacht, können Sie Ihrem Hund die Bachblüten alle fünf Minuten geben.“
Christian Reinboth schrieb am 16. November 2013 in seinem Science-Blog „Frischer Wind“ dazu: „Auf jedem Coffee to Go-Becher wird mir inzwischen erklärt, dass Kaffee heiß ist – offenkundig, um mich als Kunden davor zu schützen, mir diesen lachend ins Gesicht zu schütten. Jedes noch so harmlose Grippemedikament kommt mit einem mehrseitigen Beipackzettel. Gleichzeitig können die Verkäufer von Voodoo-Medizin behaupten, sie könnten von Krebs über Depressionen und ADHS bis hin zu Traumata durch Kindesmisshandlung alles verschwinden lassen, ohne einen Nachweis erbringen, ihre Preise erklären oder einen nachvollziehbaren Wirkmechanismus offenlegen zu müssen. Eine Gesetzeslücke so groß wie ein Scheunentor.“ Einen Vorteil scheinen die Bachblütenessenzen jedoch im Vergleich zu den meisten pharmakologisch wirksamen Arzneimitteln zu haben: Sie sind 100 % sicher, haben keine Nebenwirkungen, machen nicht süchtig und Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten sind auch nicht bekannt.