Akuter psychischer Stress ist meistens mit einer kurzen Psychotherapie zu beheben. Doch den Menschen, die an chronischen psychischen Störungen leiden, hilft nur die psychodynamische Langzeittherapie. Eine Studie kam zu einem anderen Ergebnis, das Forscher nun kritisierten.
Bereits im Jahr 2008 wiesen der Psychoanalytiker Falk Leichsenring, Universität Gießen, und der Verhaltenstherapeut Sven Rabung, Universität Hamburg-Eppendorf, in einer Metaanalyse nach, dass die psychodynamische Langzeittherapie (LTPP = Long Term Psychodynamic Psychotherapy) bei komplexen psychischen Störungen wirksamer ist als weniger intensive Therapien. Im Jahr 2011 bekräftigten sie dieses Ergebnis in einer weiteren Metaanalyse. Sie konnten außerdem zeigen, dass die Patienten auch nach Abschluss der Behandlung weitere Fortschritte machten: Die Effektstärken stiegen nach Behandlungsende weiter an. Schon 1999 zeigte eine Studie von Perry et al., dass sich 50 Prozent der Patienten mit einer Persönlichkeitsstörung nach 1,3 Jahren bzw. 92 Sitzungen erholen. Nach 2,2 Jahren (216 Sitzungen) geht es 75 Prozent der Patienten besser.
Im März 2012 veröffentlichten dann die Epidemiologin Yolba Smit (Leuth, Niederlande) und Kollegen der Universitäten Maastricht, Amsterdam (Niederlande) und Stanford (USA), eine Studie, die besagt, dass die psychodynamische Langzeittherapie nicht wirksamer sei als andere Verfahren auch – im besten Falle. Sie könne sogar der Genesung entgegenwirken. Yolba Smit und Kollegen analysierten 11 randomisierte oder quasi-randomisierte kontrollierte Studien. Smit et al. untersuchten, inwieweit sich Patienten nach einer Psychotherapie zum Zeitpunkt der spätesten Follow-up-Untersuchung erholt hatten. Sie fanden heraus, dass sich die Patienten hinsichtlich der generellen psychiatrischen Symptome, der Persönlichkeitspathologie und des sozialen Funktionierens nicht unterschieden; unabhängig davon, welche Therapie sie gemacht hatten. Zwar schnitt die psychodynamische Langzeittherapie signifikant besser ab, wenn sie mit unspezialisierten Psychotherapien verglichen wurde, aber nicht, wenn die psychodynamische Langzeittherapie spezialisierten Kontrollbehandlungen entgegengestellt wurde. Falk Leichsenring und Kollegen führten daraufhin erneut eine Metaanalyse durch, wobei sie zwei weitere große Metaanalysen einschlossen. Diese Studie wurde nun in diesem Jahr in Form einer Diskussion um die Studie von Smit et al. veröffentlicht. Wieder kamen Leichsenring und Kollegen zu dem Ergebnis, dass die psychodynamische Langzeittherapie bei komplexen Störungen deutlich wirksamer ist als weniger intensive Psychotherapieformen.
Bei der Analyse der Smit-Studie stellten Leichsenring et al. fest: Smit und Kollegen hatten uneinheitliche Einschluss- und Ausschlusskriterien verwendet. Leichsenring et al. orientierten sich bei ihrer Definition der „Langzeitpsychotherapie“ an der Definition vorhergehender Metaanalysen. Demnach besteht eine psychodynamische Langzeittherapie aus mindestens 50 Sitzungen oder aus einer Dauer von mindestens einem Jahr. Smit et al. hingegen definierten die Langzeittherapie als eine Therapie von mindestens 40 Sitzungen und einer Dauer von mindestens einem Jahr. Sie schlossen deshalb eine Studie ein, in der die Patienten nur 24,9 Sitzungen über ein Jahr absolvierten. Eine weitere Studie, in der Smit et al. von „LTPP“ sprachen, dauerte nur 31 Sitzungen. Des Weiteren werteten Leichsenring et al. nur Studien aus, in denen die Behandlungen bereits abgeschlossen waren. Smit et al. jedoch schlossen Studien ein, in denen Behandlungen teilweise noch andauerten. Auch bezeichneten Smit et al. teilweise Verfahren als "psychodynamisch", die nicht als rein psychodynamisch betrachtet werden können. z.B. das "Community Treatment by Experts (CTBE). Auch bezogen Smit et al. eine Studie ein, in der sie das "allgemeine psychiatrische Management" als psychodynamische Langzeittherapie werteten. Leichsenring et al. erachteten zudem das „Sitzungsverhältnis“ zwischen den beiden untersuchten Gruppen als wichtig. Während in ihren Studien das Verhältnis von Langzeit-Psychotherapiesitzungen im Vergleich zur Sitzungsanzahl bei anderen Therapien 1,96 betrug, lag die „Session Ratio“ in der Studie von Smit et al. gerade einmal bei 1,35. Das heißt, die Patienten der LTPP-Gruppen hatten nicht sehr viel mehr Therapiesitzungen erhalten als die Patienten der Kontrollgruppen.
Leichsenring und Kollegen diskutieren, dass der „Allegiance-Effekt“ (allegiance = Treuepflicht, Gehorsam, Loyalität) in der Studie von Smit et al. eine besondere Rolle gespielt haben könnte. Unter „Allegiance-Effekt“ versteht man, dass Wissenschaftler, die an ihre (Psychotherapie-)methode glauben, infolge ihrer Modelltreue und ihrer Überzeugtheit in einer Studie das Ergebnis erhalten, das in ihr Konzept passt.
Die Psychodynamische Langzeittherapie ist bei komplexen psychischen Störungen wirksamer als weniger intensive Therapieformen. Zwar erschien 2012 eine Metaanalyse (Smit et al.), die besagt, dass die Psychodynamische Langzeittherapie keine wesentlichen Vorteile bringt. Gießener Forscher um Falk Leichsenring nahmen diese Studie jedoch unter die Lupe und bekräftigten frühere Ergebnisse, nach denen die Psychodynamische Langzeittherapie bei schwereren Störungen anderen Therapieformen überlegen ist.