Die Optogenetik gilt als aussichtsreicher Therapieansatz bei fortschreitender Erblindung, wie sie beispielsweise durch eine Netzhautdegeneration ausgelöst wird. Neurowissenschaftler entwickelten nun ein Computermodell, mit dem sich das „optogenetische Sehen“ simulieren lässt.
Die Retinitis pigmentosa ist eine Netzhautdegeneration, bei der die Fotorezeptoren im Auge absterben. Um dem damit einhergehenden Verlust des Augenlichts entgegenzuwirken, werden bei optogenetischen Verfahren lichtempfindliche Eiweißstoffe, sogenannte Kanal-Rhodopsine, in die Netzhaut eingebaut. Jede Zelle, die Kanal-Rhodopsine in sich trägt, kann durch Licht aktiviert werden. Nach optogenetischer Behandlung können dann benachbarte Zellen im Auge die fehlende Funktion der Fotorezeptoren übernehmen. Tatsächlich konnten damit bereits Erfolge zur Wiederherstellung der Sehfunktion bei blinden Mäusen erzielt werden. In den vergangen Jahren wurde so der Grundstein für die Behandlung von Blindheit mit optogenetischen Ansätzen gelegt. Allerdings stößt man bei dieser Methode auch an Grenzen. So kommt das menschliche Sehsystem normalerweise problemlos mit extremen Lichtverhältnissen in der Umgebung zurecht: wir können bei schwachem Sternenlicht bis hin zu gleißendem Sonnenschein sehen. Im Gegensatz dazu wäre man zu „optogenetischem Sehen“ mit den bisher im Labor entwickelten Kanal-Rhodopsinen nur bei allerhellstem Sonnenschein in der Lage. Vor allem in Hinblick auf mögliche künftige Anwendungen beim Menschen wäre es wünschenswert, die Eigenschaften der Kanal-Rhodopsine weiter zu verbessern. Solche Verbesserungen wurden in der Vergangenheit hauptsächlich durchgeführt, um Fragen der neurobiologischen Grundlagenforschung voranzubringen. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass das optogenetische Sehen von ganz anderen Optimierungen profitieren würde, die bisher vernachlässigt wurden“, sagen die Studienverantwortlichen Marion Mutter und Thomas Münch vom Werner Reichardt Centrum für Integrative Neurowissenschaften (CIN) und vom Bernstein Zentrum für Computational Neuroscience (BCCN) an der Universität Tübingen.
Wie diese Verbesserungen erreicht werden könnten, haben die Forscher an dem eigens entwickelten Computermodell untersucht. Dieses Modell ermöglicht es, verschiedene Varianten der Kanal-Rhodopsine daraufhin zu bewerten, wie gut sie die Wiederherstellung der Sehfähigkeit unterstützen. „Wenn ein solches Molekül von Licht angeregt wird“, erklärt Marion Mutter, „dann durchläuft es eine definierte Abfolge von Zuständen, die letztlich die Lichtantwort des behandelten Auges bestimmen.“ Welche Auswirkungen hätten die beschriebenen Verbesserungen auf das Sehvermögen? „Unseren Berechnungen zufolge ist es möglich, den Empfindlichkeitsbereich des optogenetischen Sehens um mehr als das Hundertfache auszudehnen“, meint der Projektleiter Thomas Münch. In der klinischen Praxis könnte das nach den Berechnungen der Tübinger Wissenschaftler dazu führen, dass Patienten nach einer optogenetischen Behandlung in Zukunft auch bei heller Zimmerbeleuchtung noch etwas sehen können. „Dann sind aber die biophysikalischen Grenzen erreicht“, sagt Münch. „ Wir konnten in unserer Studie allerdings auch die Ursachen dieser Grenzen aufzeigen und damit die Richtung für neuartige zukünftige Optimierungen vorgeben.“ Originalpublikation: Strategies for Expanding the Operational Range of Channelrhodopsin in Optogenetic Vision Marion Mutter et al.; PLOS One, doi: 10.1371/journal.pone.0081278; 2013