Maligne Erkrankungen bleiben eine der zentralen Herausforderungen für Gesundheitssysteme. Weltweit steigen die Patientenzahlen, und Kosten explodieren. Neue Studien zeigen, wie viele Parameter die Versorgung tatsächlich beeinflussen.
Trotz innovativer Diagnostik und Therapie erkranken in Staaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) Jahr für Jahr mehr als fünf Millionen Menschen neu an Krebs. Jeder vierte Todesfall ist auf das Leiden zurückzuführen. Damit nicht genug: Durch demographische Tendenzen erwarten Wissenschaftler bis 2050 einen Anstieg dieser Zahlen um 30 Prozent. Umso wichtiger ist, Schwachstellen bereits heute zu identifizieren.
Die OECD hat jetzt ihren Bericht „Cancer Care: assuring quality to improve survival“ veröffentlicht. Forscher weisen darin starke Unterschiede bei der Versorgung von Menschen mit Krebs nach, abhängig vom jeweiligen Land. Einige Beispiele: Besonders niedrig ist die Mortalität in Finnland, Japan, in Mexiko und in der Schweiz. Vergleichsweise viele Menschen sterben in osteuropäischen Ländern an dem Leiden. Gesundheitsökonomische Zahlen ergeben ein ähnlich differenziertes Bild. Während das US-amerikanische Gesundheitssystem pro Jahr und Person bis zu 400 Euro für Vorsorgeangebote einsetzt, sind es in der Türkei nur 32 Euro.
Deutschland braucht sich generell nicht zu verstecken. Wissenschaftler fanden heraus, dass relative Überlebensraten bei Mammakarzinomen (85 Prozent versus 84 Prozent im OECD-Schnitt), Zervixkarzinomen (65 Prozent versus 64 Prozent) und kolorektalen Karzinomen (64 Prozent versus 61 Prozent) vergleichsweise hoch sind. Das liegt mitunter an Präventionsmaßnahmen: Während Vorsorgeuntersuchungen zur Erkennung möglicher Zervixkarzinome bei uns gut angenommen werden, finden weitaus weniger Mammographien statt als zu erwarten wäre. Dementsprechend fordern die Autoren, Leistungen bei Brustkrebs weiter auszubauen – inklusive Qualitätskontrollen. Bleibt noch zu analysieren, warum bei uns 282 Menschen pro 100.000 Einwohnern an Krebs erkranken, im OECD-Schnitt aber nur 261. Eine mögliche Erklärung: Jeder fünfte Deutsche raucht. Maßnahmen zur gesundheitlichen Aufklärung hätten offensichtlich nicht alle Zielgruppen erreicht, heißt es weiter. Das Thema ist nicht nur medizinisch, sondern auch gesundheitsökonomisch von Bedeutung.
Britische Wissenschaftler wollten jetzt wissen, welche volkswirtschaftlichen Schäden in verschiedenen Ländern durch Krebs entstehen. Ramon Luengo-Fernandez und Richard Sullivan untersuchten Daten nationaler Statistikinstitute beziehungsweise Gesundheitsministerien sowie der Weltgesundheitsorganisation WHO. Ihr Fazit: Auch unter ökonomischen Gesichtspunkten gilt Rauchen als Problem Nummer eins in Europa. Lungenkrebs verursacht die höchsten Kosten – sowohl durch Produktivitätsverluste erkrankter Menschen als auch durch deren verfrühten Tod. Therapien kosten bekanntlich hohe Summen, die nicht immer zur Verfügung stehen. Besonders wenig Geld gibt es in Bulgarien, um Krebspatienten zu versorgen – die höchsten Ausgaben haben Luxemburg und Deutschland zu verzeichnen. Speziell bei Zytostatika führt Zypern die Ausgabenliste an, während Litauen am unteren Ende der Skala rangiert. Hinsichtlich aller Behandlungskosten stehen Patientinnen mit Brustkrebs an der Spitze – vor allem durch teure Zytostatika. Apropos Kosten: Im Schnitt gingen bei Tumorerkrankungen nur zwei Fünftel der Gesamtsumme von 51 Milliarden Euro zu Lasten des jeweiligen Gesundheitssystems. Entsprechende Differenzen mussten Patienten selbst und deren Familien beziehungsweise Freunde berappen, schreiben Luengo-Fernandez und Sullivan weiter. Hinzu kommt, dass Angehörige viele Pflegestunden ableisten.
Die Familienstruktur spielt unter Versorgungsaspekten noch eine ganz andere Rolle, wie Ayal A. Aizer und Paul L. Nguyen, Boston, berichten. Sie werteten Daten von 735.000 Patienten des amerikanischen Krebsregisters SEER (Surveillance, Epidemiology and End Results) aus. Erfasst werden häufige Krebserkrankungen in den USA, also Tumore der Brust, des Darms, der Lunge, des Kopf-Hals-Bereichs, des Ösophagus sowie der Prostata. Non-Hodgkin-Lymphome kommen mit hinzu. Bei verheirateten Patienten diagnostizierten Onkologen die Erkrankung zu 17 Prozent seltener in späten, metastasierenden Stadien als bei Singles oder Paaren ohne Trauschein. Als Grund sieht Aizer nicht nur den besseren Versicherungsstatus von Ehepaaren in den USA, sondern vielmehr die Ehe selbst. Patienten würden früher ihren Arzt aufsuchen und – man höre und staune – auch besser behandelt. Aus SEER-Daten geht hervor, dass Verheiratete um 53 Prozent häufiger eine leitliniengerechte Therapie erhalten als Alleinstehende oder Menschen in Partnerschaften ohne Trauschein. Durch zu späte Interventionen und inadäquate Behandlungsmethoden steigt die Mortalität drastisch an. Bei Verheirateten ist die krebsbedingte Sterblichkeit sogar um 20 Prozent geringer als bei anderen Patientengruppen. Seine Arbeit will Aizer jedoch nicht als Signal für die Ehe verstanden wissen, sondern vielmehr als Aufruf, seine Mitmenschen tatkräftig zu unterstützen.
Ein Resümee: Um Krebspatienten weltweit besser zu versorgen, reichen Forschungsansätze und evidenzbasierte Empfehlungen allein eben nicht aus. Vielmehr hat das Gesundheitssystem eines Landes ausreichende Mittel für Diagnostik und Therapie bereitzustellen. Beim Thema Prävention ist die Sache weitaus komplizierter. Entsprechende Maßnahmen müssen die jeweilige Zielgruppe auch tatsächlich erreichen.