Scheinbar unaufhaltsam breitet sich die Diabetes-Epidemie weltweit aus. Auch in Deutschland gibt es immer mehr Betroffene. Die Deutsche Diabetes-Hilfe fordert: Man solle aufhören, bunte Broschüren zu drucken, und endlich eine praxisnahe Präventionspolitik durchsetzen.
Tick, tick … alle zwei Sekunden erkrankt ein weiterer Mensch an Typ-2-Diabetes. Das symbolisiert zumindest der Zähler auf der Webseite Welt-Diabetes-Tag.de. Mehr als 385 Millionen Menschen weltweit sollen laut Schätzungen der Internationalen Diabetes Vereinigung (IDF) bereits unter der Stoffwechselstörung leiden. Und die Prognosen sehen düster aus: Die Organisation geht von 592 Millionen Diabetikern im Jahr 2035 aus. Jeder zehnte Mensch auf der Erde wird betroffen sein. Die meisten von ihnen werden in Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen leben und unter 60 Jahre alt sein. Diese Zahlen werden auch Hintergrund des Welt-Diabetes-Kongresses sein, der im Dezember in Melbourne, Australien, stattfinden wird. 98 Millionen Diabetiker in China, 65 Millionen in Indien und 24 Millionen in den USA führen die Liste der Länder mit den meisten Zuckerkranken an. Regional betrachtet beheimatet die westliche Pazifikregion, zu der Australien, China und Japan gehören, mit 138 Millionen Betroffenen die meisten Diabetiker auf der Welt. Welche Epidemie rollt da auf uns zu?
In manchen Gebieten werden die Menschen von der Diabetes-Welle bereits heute regelrecht übermannt. So ist bereits jeder dritte Erwachsene auf der Pazifikinsel Tokelau betroffen – ein Mikrokosmos, der zeigt, wie sich die Krankheit auch in bevölkerungsreicheren Ländern in den kommenden Jahrzehnten ausbreiten könnte. Am schlimmsten wird es die Region südlich der Sahara treffen, vermutet die IDF. Dort rechnet die Organisation mit einer Verdopplung der Diabeteskranken bis zum Jahr 2035. „Adipositas und Bewegungsmangel sind die Hauptrisikofaktoren für Typ-2-Diabetes“, weiß Prof. Dr. Thomas Danne, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Diabetes-Hilfe. „Gerade in ärmeren Ländern greifen die Menschen immer häufiger auf energiereiche, billige Nahrung zurück“, erklärt er, wie die Zahlen zustande kommen.
Pünktlich zum Weltdiabetes Tag am 14. November wurde auch die sechste Ausgabe des Diabetes Atlas veröffentlicht. Im Vergleich zur Vorjahresausgabe wurde darin auch die Todesstatistik nach oben korrigiert. Während man im Jahr 2012 noch von 371 Millionen Betroffenen und 4,8 Millionen Diabetes-Toten ausging, sind es in diesem Jahr bereits 5,1 Millionen Menschen, die an der sogennanten Zuckerkrankheit und ihren Folgen verstorben sind. Geschätzte 175 Millionen Menschen wissen außerdem bisher nichts von ihrer Diabeteserkrankung. Gerade sie sind besonders gefährdet, an den Folgen ihrer Stoffwechselstörung zu sterben. Auch das Verständnis der Krankheit lasse noch zu wünschen übrig: Diabetes gelte in vielen Teilen der Welt noch als „Wohlstandskrankheit“, betonte Michael Hirst, Präsident der IDF auf dem International Diabetes Leadership Forum in Istanbul, Türkei. Diese Annahme blockiere nach wie vor die dringend benötigten finanziellen Mittel, um die seuchenartigen Verbreitung von Typ-2-Diabetes einzudämmen. Zu den Kernpunkten des 6. Diabetes Altas gehören außerdem folgende Fakten:
Der aktuellen Zahlen zur Diabetes Prävalenz in Deutschland, die die Barmer GEK gemeinsam mit der Deutschen Diabetes-Hilfe veröffentlicht hat, folgen dem weltweiten Trend. Demnach ist die Zahl der Betroffenen vom Jahr 2008 bis 2012 um 14 Prozent gestiegen. Aus den Daten lässt sich außerdem ableiten, dass bundesweit etwa acht Prozent aller gesetzlich Versicherten von der Krankheit betroffen sind – das sind mehr als sechs Millionen Deutsche. Und auch hierzulande wird deutlich: In strukturschwachen Gebieten sind deutlich mehr Menschen an Typ-2-Diabetes erkrankt als in finanziell besser gestellten Regionen. „Billige, energiereiche, fette und zu salzige Nahrung ist in Deutschland wie weltweit ein Hauptfaktor für den rasanten Anstieg der Krankheit“, so Prof. Danne. „Deutschland gehört zu den Europameistern im Übergewicht. Dadurch haben wir auch diese beträchtliche Zunahme an Typ-2-Diabetes.“ Alleine auf falsche Ernährung und zu wenig Bewegung lasse sich die Entstehung von Typ-2-Diabetes allerdings nicht reduzieren. „Bestimmte Familien und ethnische Bevölkerungsgruppen haben genetisch bedingt ein höheres Risiko als andere“, erklärt Danne. So läge die Prävalenz für Typ-2-Diabetes im arabischen Raum bereits bei 30 Prozent.
Die Zahlen zur Ausbreitung von Typ-2-Diabetes sind erschreckend. Die Deutsche Diabetes-Hilfe hat jedoch klare Vorstellungen, wie man zumindest hierzulande dem Problem Herr werden könnte: „Wir fordern einen nationalen Diabetesplan, da der rasante Anstieg von Typ-2-Diabetes kein reines Gesundheitsproblem, sondern auch ein gesellschaftliches Problem ist.“ Allein mit einer angestrebten Verhaltensänderung der Betroffenen könne das Problem nicht gelöst werden, so Danne. „In den Risikogruppen wird eine Verhaltensänderung kaum umgesetzt. Wir sind zwar Weltmeister im Drucken von bunten Broschüren, aber diese erreichen die Risikogruppen nur sehr unzureichend.“ Wichtiger sei es, gesundes Verhalten einfacher zu machen. „Dazu gehört beispielsweise eine Lebensmittelkennzeichnung, die auf einfache Weise verdeutlicht, was ein gesundes Lebensmittel ist und was nicht. Auch Schüler sollten flächendeckend über gesunde Ernährung und die Bedeutung von Bewegung aufgeklärt werden.“ Der Verband fordert auch gesetzgeberische Maßnahmen zur Eindämmung von Typ-2-Diabetes: „Ähnlich der Tabaksteuer für Zigaretten, setzen wir uns für eine Zucker- und Fettsteuer ein. Denn eine Gesundheitsabgabe auf Fett und Zucker reduziert nachweislich den Verbrauch und finanziert flankierende Maßnahmen, um gesundes Verhalten leichter zu machen.“