Gut betuchte arabische und russische Patienten kommen immer häufiger nach Deutschland, um sich medizinisch behandeln zu lassen. Das spült Geld in leere Kliniksäckel, schafft aber auch Probleme. Wohl denen, die gut vorbereitet sind.
Zwischen Luxushotel, OP, Sightseeing und Shoppingtour: Die Erschließung solventer Patientengruppen aus der Golfregion sowie aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion hat sich für Kliniken zu einem lukrativen Geschäftsmodell entwickelt. EU-Bürger, die im Heimatland lange auf Diagnostik und Therapie warten müssten, suchen ebenfalls Hilfe in Deutschland. Laut Schätzungen der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg ließen sich in 2012 etwa 83.000 stationäre und 123.000 ambulante Patienten aus aller Herren Länder bei uns behandeln, ein Zuwachs um 7,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Damit steht Deutschland nach Indien, Thailand und den USA weltweit in puncto Gesundheitstourismus an vierter Stelle. Wissenschaftler sprechen von einer Milliarde Euro als Erlös allein für Krankenhäuser. Nicht immer gibt es jedoch brauchbare Strategien, wie aus Untersuchungen des Think Tank Diplomatic Council hervorgeht.
Das soll sich künftig ändern. In der Bundeshauptstadt wirbt „Visit Berlin“ massiv für Gesundheitsdienstleistungen. Internationale Patienten schätzen Fachbereiche wie Onkologie, Neurochirurgie und Kardiologie, aber auch Präventionsangebote. Kein Einzelfall: Sachsen lockt zahlungskräftige Patienten aus GUS-Staaten mit Onkologie beziehungsweise Kinderrehabilitation. Und in 2012 bekam das Projekt „Medizintourismus entlang der Rheinschiene – Düsseldorf, Köln und Bonn“ mehr als 900.000 Euro aus Mitteln des Landes Nordrhein-Westfalen beziehungsweise des NRW/EU-Ziel 2-Programms („Innovationen wagen – Aufbruch in eine kreative Ökonomie“). Ziel ist, medizinische sowie touristische Leistungen zu erfassen und zielgruppengerecht aufzubereiten – mit den Schwerpunkten Adipositas, Augenkrankheiten und Diabetes. Auch soll das Personal in beiden Bereichen für neue Herausforderungen geschult werden. Ganz wichtig sind profunde Sprachkenntnisse, um mögliche Haftungsprobleme auszuschließen. Bleibt noch der Wohlfühlfaktor als Anspruch gut situierter Patienten – nicht überall wird Service jenseits des OPs groß geschrieben. Neben Qualifizierungs- und Weiterbildungsprogrammen gehört ein Zertifizierungsverfahren für beteiligte Einrichtungen mit dazu. Momentan erfüllen nur wenige Häuser internationale Standards wie von der amerikanischen Joint Commission International (JCI) gefordert.
Für niedergelassene Ärzte sieht die Sache wesentlich schwieriger aus – nicht jede Praxis eignet sich, um betuchte Patienten aus fernen Ländern zu behandeln. Gefragt sind Spezialisten ihres Fachgebiets, etwa Radiologen, Orthopäden, Reproduktionsmediziner beziehungsweise Ophthalmologen, die sich womöglich noch in der Muttersprache ihrer Zielgruppe verständigen können. Über medizinisches Können hinaus muss das ganze Team souverän mit anderen Kulturen und Verhaltensweisen umgehen. Das reicht von kulturellen, religiösen oder politischen Vorstellungen bis zu Genderthemen. Komfort und Service sind ebenfalls wichtig, um die betuchte Klientel zu erreichen. Kritisch: Nicht immer bezahlen sie ihre Rechnungen – die Handhabe, gegen säumige Patienten jenseits europäischer Grenzen vorzugehen, ist eher gering. Bleibt noch, auf Bargeld zu bestehen.
Sollten sich Ärzte oder Klinken trotzdem für diesen Geschäftsbereich entscheiden, müssen sie viel Vorarbeit leisten. Das beginnt schon bei der Akquise: Häufig greifen Kollegen auf sogenannte Patientenvermittler zurück, also Firmen oder Freiberufler mit ganz unterschiedlichen Leistungen. Schätzungsweise 1.000 Vermittler – vom Einmannbetrieb bis zur großen Agentur – versorgen Einrichtungen mit zahlungskräftigen Klienten. Das Spektrum reicht von reinen Vermittlungsdiensten bis hin zu Marketing, Übersetzungen, Abwicklung von Einreise- und Behandlungsformalitäten, Kostenmanagement und Fakturierung. Kliniken zahlen ihnen zwischen fünf und 20 Prozent der Rechnungssumme als Honorar, genaue Zahlen sind nicht bekannt. Vermittler wiederum führen in ihrer Rechnung meist diverse Handling-Tätigkeiten, ohne die eigentliche Gewinnung von Patienten zu erwähnen. Nicht ohne Grund: Am 28. Oktober 2011 hat das Landgericht Kiel entschieden, dass reine Vermittlungstätigkeiten sowohl aus wettbewerbsrechtlicher als auch aus berufsrechtlicher Sicht „sittenwidrig“ sind. Ein Arzt sollte im Auftrag seines Krankenhauses ausländische Patienten an Land ziehen und bekam dafür satte Prämien – in Höhe von 15 Prozent, bezogen auf alle Einnahmen der Klinik. Im Gesundheitsbereich sei diese Kommerzialisierung anstößig, hieß es weiter. Verteidiger argumentierten, angesichts knapper Budgets sei so manches Haus auf solvente Selbstzahler angewiesen. Für die Richter war das aber kein Argument. Weitaus größere Summen verdienen Vermittler ohnehin mit den Patienten selbst.
Das ist bei Weitem nicht der einzige Wermutstropfen: Auch in den Göttinger Organtransplantationsskandal waren Vermittler aus Nordrhein-Westfalen involviert. Bleiben noch medizinische Probleme. Eine ältere Studien in „The Lancet Infectious Diseases“ zeigt, dass sich durch weltweite Patientenströme multiresistente Bakterien global verbreiten. Geeignete Maßnahmen wie in den Niederlanden – dort werden Risikopatienten vor der stationären Aufnahme generell auf MRSA getestet – gibt es bei uns nicht. Bleibt noch das soziale Problem: Während Scheichs und Oligarchen in Deutschland Hilfe finden, ziehen heimische Patienten häufig gen Osten. In Polen oder Ungarn erhalten sie Zahnimplantate zu vermeintlich unschlagbaren Preisen. Das bittere Ende kommt spätestens dann, falls Revisionseingriffe erforderlich werden.