Eine aktuelle Studie zeigt, dass Entzündungen im Nervengewebe Veränderungen in den Mitochondrien der Astrozyten und die Fragmentierung der Mitochondrien auslösen können. Die Erkenntnisse bieten womöglich neue Perspektiven für Patienten mit einem Hirntrauma.
In einem gemeinsamen Kooperationsprojekt konnten Wissenschaftler der Exzellenzcluster aus Köln (CECAD) und München sowie von der Universität Bologna (Italien) neue Einblicke in den Stoffwechselprozess von verletztem Gehirngewebe gewinnen. Der Forschungsschwerpunkt liegt auf den sogennanten Astrozyten, Zellen im zentralen Nervensystem, die den Energiestoffwechsel und die Funktion der Synapsen regulieren. Aufgrund ihrer wichtigen physiologischen Funktion im gesunden Gehirn haben Wissenschaftler erforscht, wie Astrozyten ihre Stoffwechselprozesse als Reaktion auf entzündetes Nervengewebe verändern. Diese Entzündungen können durch akute Verletzungen, Schlaganfall oder neurodegenerative Erkrankungen ausgelöst werden. Das verdeutlicht, dass es sich bei dem Ausfall der Reaktionsfähigkeit der Astrozyten während einer Entzündung um einen essenziellen Aspekt bei den meisten Erkrankungen des Gehirns handelt, der die Symptomatik verschlimmert und möglicherweise auch die Neurodegeneration beschleunigt. Bislang wurde angenommen, dass alle Zellen des Nervensystems in gleicher Weise auf akute Hirntraumata reagieren. Dr. Bergami und sein Wissenschaftlerteam entdeckten nun, dass Astrozyten innerhalb verschiedener Zonen der Verletzung unterschiedlich auf entzündliche Prozesse reagieren. Diese Reaktionsfähigkeit beeinflusst insbesondere die Funktion der Mitochondrien, den ‚Kraftwerken der Zelle‘.
Die Funktion der Mitochondrien ist von zwei verschiedenen Dynamiken abhängig: Verschmelzung und Spaltung. Diese beiden Reaktionen sind der Schlüssel für die Aufrechterhaltung der mitochondrialen Architektur und Funktion. Eine fehlerhafte Regulation der mitochondrialen Dynamik resultiert in einer Störung der Mitochondrienfunktion, die wiederum zu Zellalterung führt und eine Reihe von neurodegenerativen Erkrankungen auslösen kann. Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass die Mitochondrien der Astrozyten im Zentrum der verletzten, stark entzündeten Hirnregion eine Beschleunigung der Tendenz zur Spaltung aufweisen, die zu ihrer Fragmentierung führt. Im Gegensatz dazu verschmelzen viele der Mitochondrien in den umgebenden Bereichen.
Darüber hinaus entdeckten die Wissenschaftler einen entscheidenden Stoffwechselprozess, der die Mitochondrienfunktion der Astrozyten reguliert. Sie konnten zeigen, dass die sogenannte Autophagie, ein Prozess der Selbstverdauung von Zellbestandteilen, die Aufrechterhaltung der Mitochondrien-Struktur gefährdet. Im Gegensatz zu Neuronen, überleben Astrozyten überraschenderweise auch bei einer akuten Entzündung. Die neue Studie zeigt, dass Autophagie der wichtigste Mechanismus in der Widerstandskraft ist. Wenn die Autophagie abnimmt, verlieren Astrozyten ihre Fähigkeit, ihr Netzwerk zu regenerieren – das führt zum Zelltod der Astrozyten. Obwohl die Reorganisation von Stoffwechselprozessen, die durch Entzündungen ausgelöst werden, hinter den Einfluss der Mitochondrien zurücktritt, zeigen diese Erkenntnisse, dass die Mitochondrienfunktion essentiell für das Überleben der Astrozyten ist. Darüber hinaus konnten Dr. Bergami und sein Team neue Erkenntnisse gewinnen, die ein besseres Verständnis von der Reaktion der Gehirnzellen in entzündlichen Prozessen ermöglichen. Eine weitere Spezifizierung dieser Stoffwechselprozesse wird zukünftig den Wissenschaftlern ermöglichen, Neurone vor dem Zelltod durch akute oder chronische Entzündungen zu schützen. Das wird möglicherweise die Entwicklung neuer Therapien initiieren, um neue Perspektiven für Patienten mit Hirntrauma oder Schlaganfall zu finden, mit dem Ziel, die Hirnfunktion zu erhalten und die Lebensqualität der Patienten zu verbessern. Originalpublikation: Inflammation-Induced Alteration of Astrocyte Mitochondrial Dynamics Requires Autophagy for Mitochondrial Network Maintenance Matteo Bergami et al.; Cell Metabolism, doi: 10.1016/j.cmet.2013.11.005; 2013