Die Bluterkrankheit ist eigentlich gut behandelbar, solange sich keine Antikörper gegen den gespritzten Gerinnungsfaktor bilden. Patienten mit diesem Problem könnte bald mit einer Gentherapie geholfen werden. Versuche an Hunden waren vielversprechend.
Menschen mit Hämophilie fehlen Gerinnungsfaktoren im Blut, die eine Blutung nach einer Verletzung zum Stillstand bringen. Man unterscheidet zwischen der häufig vorkommenden Hämophilie A, bei der die Betroffenen unter einem Mangel des Faktors VIII leiden und der selteneren Hämophilie B, bei der der Faktor IX nicht in ausreichender Menge vorhanden ist. Je nach Schweregrad der Hämophilie gerinnt das Blut der Betroffenen nach einem Trauma nur sehr verzögert oder gar nicht mehr. Neben äußeren unstillbaren Blutungen kann dies auch zu inneren Blutungen in Gelenken, Muskeln oder Organen führen, die oft nur unzureichend erkennbar und teilweise lebensgefährlich sind.
Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) leiden weltweit rund 400.000 Menschen unter der Bluterkrankheit, davon etwa 10.000 in Deutschland. Da diese Krankheit auf einem genetischen Defekt auf dem X-Chromosom beruht, sind hauptsächlich Männer davon betroffen. Bei Frauen gleicht das zweite, gesunde X-Chromosom den Schaden in den allermeisten Fällen aus. Weltweit sind nur etwa 60 Frauen mit einer schweren Hämophilie bekannt, in Deutschland gibt es etwa zehn weibliche Betroffene.
Eine dauerhafte Heilung der Hämophilie ist bisher noch nicht möglich. Je nach Schweregrad und Verlauf der Erkrankung wird der fehlende Gerinnungsfaktor nach Bedarf – beispielsweise bei einer akuten Blutung oder einer Operation - oder regelmäßig ersetzt. So ist die lebensbedrohliche Bluterkrankheit heute bei den meisten Patienten gut behandelbar. Etwa ein Drittel der Patienten, die sich regelmäßig den fehlenden Gerinnungsfaktor spritzen, bilden jedoch Antikörper gegen das fremde Protein aus, die den Faktor unwirksam machen.
Diesen Patienten könnte grundsätzlich ein gentherapeutischer Ansatz helfen, der darauf abzielt, das defekte Gen auf dem X-Chromosom zu reparieren. Bisher ist das Verfahren aber noch nicht ausgereift und birgt zudem Risiken für die Leber. Als so genannte Genfähren dienen dabei harmlose Adenoviren, die per Infusion über das Blut in den Körper gelangen, um dort das intakte Genstück für den betreffenden Gerinnungsfaktor in bestimmte Leberzellen einzuschleusen.
Im Fachmagazin Nature Communications berichteten Wissenschaftler nun von einem Verfahren, bei dem das fehlerhafte Gen außerhalb des Körpers korrigiert wird. Dazu werden dem Patienten Blutstammzellen entnommen, die im Labor in geeigneten Nährlösungen vermehrt werden. Diese Zellen werden dann ebenfalls unter Laborbedingungen von Lentiviren infiziert, die das korrekte Genstück in sich tragen und in das Genom der Blutzellen integrieren. Die derart reparierten Zellen werden wieder vermehrt und im Anschluss per Infusion zurück in den Körper des Patienten überführt. Dort erzeugen die Stammzellen Blutplättchen, die bei Bedarf den vorher fehlenden Gerinnungsfaktor ausschütten. Da die viralen Genfähren außerhalb des Körpers in die Zellen eingeschleust werden, ist das Risiko unerwünschter Nebenwirkungen bei dieser Methode der Gentherapie geringer.
Erste Versuche dieses Verfahrens an Hunden sind vielversprechend. Im Blutplasma der drei behandelten Tiere ließen sich zwar nach wie vor geringere Konzentrationen des Gerinnungsfaktors nachweisen als bei gesunden Hunden, weil diese aber direkt von Blutplättchen stammten, konnten lokale Blutungen trotzdem gestoppt werden. Zwei der Hunde hatten sogar 2,5 Jahre nach der Therapie noch keine vermehrten Blutungen. „Wir haben keine ungewöhnlichen oder gefährlichen Nebenwirkungen der Behandlung feststellen können“, erklärte Studienleiter David Wilcox vom Blood Research Institute des BloodCenter in Wisconsin, USA, gegenüber DocCheck. Keiner der drei Hunde bildete zudem hemmende Antikörper gegen den Gerinnungsfaktor. „Das ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass der Faktor VIII in den Blutplättchen versteckt liegt und erst dann ausgeschüttet wird, wenn die Blutplättchen durch eine Verletzung aktiviert werden.Auf diese Weise wird das Immunsystem nicht durch den Gerinnungsfaktor aktiviert“, so Wilcox, und weiter: „Es entwickelten sich auch keine Krebszellen durch die Einführung des Gerinnungsfaktor-Gens in die DNA der Stammzellen. “Darin sehen die Wissenschaftler einen deutlichen Hinweis darauf, dass ihre Therapie Blutungen bei an Hämophilie leidenden Hunden langfristig verhindern kann – eine gute Voraussetzung, diese Therapieform auch auf den Menschen zu übertragen. Davon könnten vor allem jene Hämophilie-Patienten profitieren, deren Körper sich gegen regelmäßig verabreichte Gerinnungsfaktoren wehren. “Die Zahl der Gerinnungsfaktor produzierenden Zellen nimmt zwar mit der Zeit ab, pendelte aber etwa ein Jahr nach der Transplantation auf ein konstantes Niveau ein“, so Wilcox. Das scheint auch nicht weiter dramatisch zu sein, denn ein Patient mit Hämophilie benötige nur etwa 2 bis 4 % korrigierte Zellen, um ausreichende Mengen des Gerinnungsfaktors zu produzieren, so der Forscher.
Im Nächsten Jahr soll die Arbeit bei der FDA eingereicht werden, sodass die präklinischen Studien spätestens im Jahr 2015 beginnen können. Prof. Wilcox und sein Team sind noch auf der Suche nach finanzieller Unterstützung: „Bisher haben wir unsere Forschungsarbeiten mit öffentlichen Geldern und privaten Spenden finanziert. Mögliche industrielle Partner und private Investoren dürfen sich gerne mit uns in Verbindung setzen.“ Das Forscherteam geht davon aus, seine Erkenntnisse auch auf andere erbliche Blutgerinnungsstörungen sowie weitere Krankheiten, die im Zusammenhang mit Blutplättchen stehen, ausweiten zu können.