Die Pharmabranche hat in den letzten Jahrzehnten einige Fortschritte in der Entwicklung gut verträglicher Medikamente gemacht. Doch ausgerechnet der Beipackzettel, der eigentlich Unsicherheiten beseitigen soll, kann ungeahnte Nebenwirkungen mit sich bringen. Zeit aufzuräumen!
Mancher erinnert sich noch an die Beipackzettel von anno dazumal, bei denen oft nicht einmal ein erfolgreich absolviertes Medizinstudium zum Verständnis beitrug. Seit 2001 ist EU-weit geregelt, welche Punkte im Beipackzettel stehen müssen, seit 2009 soll eine „Readability Guideline“ der EU dafür sorgen, dass auch Laien die Inhalte verstehen. Zahlreiche Studien der letzten Jahre zeigen allerdings, dass es mit der Verständlichkeit immer noch nicht weit her ist und selbst Healthcare-Professionals nicht immer durchblicken. Anlass genug für die Marktforschungsabteilung von DocCheck, dem Gaul Beipackzettel in einer Crowd-Camp-Studie von Apothekern und PTA mal ins Maul schauen zu lassen. Dabei sollten die Befragten miteinander Probleme diskutieren und Verbesserungen erarbeiten, um so den optimalen Beipackzettel zusammenzustellen.
Die Studienteilnehmer, die sich tagtäglich mit Beipackzetteln und deren Folgen herumschlagen, bemängelten die nach wie vor schlechte Übersichtlichkeit derselben: Wichtige Informationen wie Gegenanzeigen, Dosierung und Inhaltsstoffe sind häufig nicht auf Anhieb zu finden. Auch relevante Hinweise zu Beschwerden, die bei zu rascher Dosisreduktion auftreten können, gehen oft im kleingedruckten Wust an Informationen unter. Dass der Beipackzettel in einigen Fällen erst gar nicht gelesen werden kann, weil die Schriftgröße zu klein ist, hilft dabei auch nicht weiter. Besonders für ältere Menschen, die in der Regel häufiger Medikamente nehmen müssen, ist die kleine Schriftgröße ein Problem.
Weiterer Kritikpunkt der Apotheker und PTA: Der Beipackzettel ist immer noch viel zu überladen. Nach Schätzung des WIdO (Wissenschaftliches Institut der AOK) teilen rund 42 % der Verbraucher diese Meinung. Eine Ursache liegt in den ellenlangen Nebenwirkungslisten, die jede kleinste Unpässlichkeit mit aufnehmen und durch die sich Pharmaunternehmen gegen mögliche Regressansprüche absichern wollen. Eine Studie der US National Library of Medicine von 2011 spricht in diesem Zusammenhang von einem „overwarning“ in Beipackzetteln. Wie schwerwiegend oder relevant die einzelnen Punkte wirklich sind, lässt sich am Ende kaum mehr erkennen. Das geht so weit, dass als Nebenwirkungen sogar Symptome aufgezeigt werden, gegen die das Medikament eigentlich helfen soll. Und wer will es einem Patienten da verdenken, wenn dieser die Einnahme verweigert?
Auch die Häufigkeitsangaben der Nebenwirkungen sind ein Risikofaktor für Verwirrung. Zwar hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) genau definiert, was Bezeichnungen wie „häufig“, „selten“ und „nie“ in Zahlen ausgedrückt bedeuten, doch unser sprachkulturell geprägtes Verständnis dieser Worte lässt sich durch Zahlen nicht so einfach überschreiben. Dies zeigt sehr eindrücklich eine aktuelle Studie der Universität Lübeck: Spricht ein Arzt im Zusammenhang mit Nebenwirkungen von „häufig“, so versteht er darunter konkrete Werte von durchschnittlich 60 %, während sich das Wort „häufig“ im Beipackzettel gemäß BfArM auf Werte von 1-10 % bezieht. Selbst wenn Ärzte die offiziellen Nebenwirkungsraten kennen - was die Studie in Frage stellt -, kommt das Risiko sprachlich gefiltert beim Patienten oft als wesentlich höher an. Mit Folgen: Laut WIdO hat ein Drittel aller Patienten schon mal aus Angst vor Nebenwirkungen die Einnahme gängiger Medikamente verweigert.
Die Fehlkommunikation geht zu Lasten aller. Nebenwirkungen werden überschätzt, die Therapie durch falsche Einnahme beeinträchtigt und das Vertrauen sowohl auf Patientenseite als auch bei Ärzten und Apothekern geschwächt. Umso wichtiger, die aktuellen Studien aus der Praxis ernst zu nehmen. Denn sie liefern nicht nur Kritik, sondern öffnen auch den Blick für Verbesserungsmöglichkeiten. So schlägt Andreas Ziegler vom Institut für Medizinische Biometrie und Statistik der Universität zu Lübeck vor, Häufigkeitsangaben neutraler auszudrücken mit Formulierungen wie „Bei einem von 100 Patienten tritt diese oder jene Nebenwirkung auf“. Eine ganze Reihe umsetzbarer Vorschläge kam auch aus dem Crowd Camp:
Die Zahlen zeigen deutlich, dass es Nachbesserungsbedarf gibt, und es noch an einigen Stellen hakt. Doch um den lahmen Klepper Beipackzettel endlich fit zu machen, ist es nötig, dass sowohl Pharmaunternehmen als auch Politik nochmal aufsatteln und sich nicht auf halbem Weg zufrieden geben. Dabei sollten die Bedürfnisse derjenigen, die hinterher auf den Ergebnissen sitzen bleiben, eine entscheidende Rolle spielen. Denn ein Beipackzettel, den weder Patienten noch Ärzte oder Apothekenpersonal richtig verstehen, hat sein Ziel eindeutig verfehlt.