Die Überraschung ist gelungen: Mit Hermann Gröhe (CDU) als Bundesminister für Gesundheit hatten weder Ärzte noch Apotheker gerechnet. Trotz aller Erfahrungen ist der Christdemokrat in seinem neuen Tätigkeitsbereich ein unbeschriebenes Blatt.
Kaum lagen alle Ergebnisse der SPD-Mitgliederbefragung vor, traten Sigmar Gabriel (SPD), Angela Merkel (CDU) und Horst Seehofer (CSU) vor die Presse. Merkel gab bekannt, dass Hermann Gröhe (52) den Chefsessel im Bundesministerium für Gesundheit bekommen wird. Der Jurist hat über Jahre hinweg zahlreiche Meriten erworben – nur nicht als Gesundheitspolitiker.
Gröhe trat bereits als Schüler in die Junge Union (JU) ein. Von 1983 bis 1989 leitete er den Neusser JU-Kreisverband, war Bundesvorsitzender der JU (1989 bis 1994) sowie CDU-Vorsitzender im Rhein-Kreis Neuss (2001 bis 2009). Seit 1994 ist er Mitglied des Deutschen Bundestags. Vom Oktober 2008 bis zum Oktober 2009 stand Gröhe Angela Merkel als Staatsminister zur Seite. Zuletzt unterstützte der Christdemokrat seine Partei als Generalsekretär. Er engagierte sich bis 2005 in der Arbeitsgruppe „Menschenrechte und humanitäre Hilfe“ und war Obmann des Untersuchungsausschusses zu geheimdienstlichen Aktivitäten im Irak. Außerhalb politischer Wirkungskreise arbeitete der Protestant im Rat der evangelischen Kirche Deutschlands (2003 bis 2009) sowie als Mitherausgeber der Zeitschrift Chrismon (2000 bis 2009). Momentan steht Hermann Gröhe an der Spitze der Konrad-Adenauer-Stiftung. Viele Ämter, viele Interessen, viele Stärken – nur war von Gesundheitspolitik bislang nicht die Rede.
Vereine und Verbände richten deshalb mahnende bis kritische Worte an den neuen Bundesgesundheitsminister. „Wenn die Zuteilung von Ministerposten sichtbar dem Proporz unterliegt und Fachkenntnis primär keine Rolle spielt, ist das dem Ressort wenig zuträglich“, sagt Dr. Peter Nienhaus, Vorsitzender des Hambacher Bundes Freier Ärztinnen und Ärzte. Mit dieser Ernennung werde ein langjähriger Parteisoldat belohnt und zudem der mächtige NRW-Landesverband der CDU Proporz-entsprechend bedient. Dr. Klaus Reinhardt, Vorsitzender des Hartmannbundes, ist etwas zuversichtlicher. Er geht davon aus, dass „Grundwerte wie die ärztliche Freiberuflichkeit, Therapiefreiheit und die freie Wahl des Arztes für den Patienten“ beim neuen Gesundheitsminister gut aufgehoben seien. Gleichzeitig fordert er, bestehende Konzepte zur Sicherstellung der Versorgung voranzubringen: vor allem Maßnahmen, um ärztliche Berufe wieder attraktiver zu machen. Auch das duale Krankenversicherungssystem müsse weiterentwickelt und die neue GOÄ auf den Weg gebracht werden. Mittlerweile haben sich auch Apotheker zu Wort gemeldet.
Friedemann Schmidt, Präsident der ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, stellt aus Sicht seines Berufsstands klar: „Die Apotheker werden sich aktiv in alle Diskussionen einbringen, die pharmazeutische Kompetenz erfordern und die Arzneimittelversorgung verbessern können“, so Schmidt. „Das Wissen der Apothekerinnen und Apotheker und die Erfahrungen aus den Apotheken werden wertvolle Impulse für ein zukunftsfestes Gesundheitswesen zum Nutzen der Patienten liefern.“ Er sieht als Herausforderung, die Zusammenarbeit zwischen Heilberuflern zu optimieren, etwa durch eine bessere Verzahnung ärztlicher und apothekerlicher Nacht- und Notdienste. Als weitere Chancen nennt der ABDA-Chef Präventionsangebote, Verbesserungen beim Entlassungsmanagement ambulanter beziehungsweise stationärer Patienten sowie strukturierte Versorgungsangebote für chronisch kranke Menschen. Schmidt: „Diese Leistungen müssen dann aber auch angemessen honoriert werden.“
Angela Merkel reagierte bislang nicht auf Botschaften von Interessenvertretern. In Berlin stellt sie klar, Gröhe habe „gewaltige politische Erfahrungen“. Tatkräftige Unterstützung bekommt der neue Gesundheitsminister von Karl-Josef Laumann, momentan Chef der CDU-Landtagsfraktion in NRW. Seine Herausforderung wird sein, die Pflegeversicherung zu reformieren. Dafür gibt es reichlich Vorschusslorbeeren: „Die Aufgabe, die Probleme einer älter werdenden Gesellschaft zu lösen, ist Karl-Josef Laumann wie auf den Leib geschneidert“, sagt Dr. Theodor Windhorst, Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe. „Ich bin sicher, dass Karl-Josef Laumann zum sozialen Gewissen der Bundesregierung wird.“ Außerdem stehen Annette Widmann-Mauz (CDU) und Ingrid Fischbach (CDU) Gröhe als Staatssekretärinnen zur Seite. Bei Kollegen gilt der neue Chef im BMG als Pragmatiker, nicht als Hardliner. Trotzdem nehmen ihm Apotheker übel, dass er als Kandidat des Wahlkreises Neuss I bei „Gesundheit wählen“ kritiklos aus dem Wahlprogramm zitierte: „Um die Versorgung in dünn besiedelten Gebieten sicherzustellen, setzen wir auch auf neue Lösungen wie den Ausbau der Telemedizin. Dafür wollen wir die erforderlichen technischen und rechtlichen Voraussetzungen schaffen.“ Momentan spricht niemand über dieses Thema – CDU/CSU und SPD haben ganz andere Sorgen.
Ihr gesundheitspolitisches Problem: Weil alle Koalitionsverhandlungen extrem viel Zeit verschlungen haben, stehen Regelungen zum Arzneimittelpreis auf des Messers Schneide. Union und Sozialdemokraten wollten das Preismoratorium fortführen sowie Herstellerrabatte bei sieben Prozent festschreiben – andernfalls sinkt dieser Obolus von derzeit 16 auf sechs Prozent. Jetzt hat Schwarz-Rot ein Schnellgesetz verabschiedet, um das V. Sozialgesetzbuch, Paragraph 130a Absatz 3a Satz 1, anzupassen und Preisstopps ab 1. Januar 2014 fortzuführen. Die erste Lesung im Bundestag fand am 18. Dezember statt, gefolgt von der zweiten und dritten Lesung am 19. Dezember. Kurz darauf stellten Ländervertreter im Bundesrat klar, den Vermittlungsausschuss nicht anzurufen. Weitere Themen, etwa das Ende der Nutzenbewertungen beim Bestandsmarkt und höhere Abgaben für Firmen, lassen sich so schnell nicht umsetzen.