Orange, Zimt oder ein Festtagsbraten: In diesen Tagen ziehen leckere Düfte durch Deutschlands Küchen. Bislang stiefmütterlich behandelt, erkennen Wissenschaftler, wie bedeutend Gerüche für den menschlichen Körper sind. Sie müssen aber auch so manchen Rückschlag verkraften.
Aus wissenschaftlicher Sicht war die Sache bislang recht unerfreulich: Während sich Geschmäcker mit Begriffen wie süß, salzig, sauer, bitter sowie umami wiedergeben lassen, und es für optische Eindrücke Farben gibt, fehlten bei olfaktorischen Wahrnehmungen Möglichkeiten der Beschreibung. Jason B. Castro aus Maine, USA, gefiel diese Vorstellung ganz und gar nicht. Zusammen mit Kollegen entwickelte er ein grundlegendes System, um Gerüche in Kategorien einzuteilen. Castro nahm sich den „Atlas of Odor Character Profiles“ vor, verzichtete im Gegensatz zu anderen Forschergruppen jedoch auf chemische Analysen. Vielmehr startete er seine Computer und führte nichtnegative Matrixfaktorisierungen (NMF) durch: ein mathematisches Zerlegungsverfahren, um Muster zu erkennen. Prompt stieß das Team auf Basisgerüche wie süß, minzig, wohlriechend, holzig-harzig, Popcorn, Zitrone, chemisch, faulig und beißend. Auf den ersten Blick mutet diese Zusammenstellung reichlich bizarr an und ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Castro hat jedoch gezeigt, dass sich komplexe Düfte aus wenigen Basiselementen zusammensetzen. Jetzt naht Arbeit – insgesamt haben menschliche Riechorgane rund 350 Geruchsrezeptoren.
Bislang gingen Forscher davon aus, dass entsprechende Bindungsstellen vor allem in der Nase zu finden sind. Weit gefehlt: Diese werden auf zahlreichen Zelltypen exprimiert – auch auf menschlichen Leukozyten. Eine Arbeitsgruppe der Deutschen Forschungsanstalt für Lebensmittelchemie konnte zeigen, dass diese Blutzellen zumindest im Labor Gerüchen folgen. Bestandteile unserer Mahlzeiten gelangen bekanntlich über Magen und Darm auch in den Blutkreislauf. Inwieweit Chemorezeptoren Geruchsmoleküle aus Gänsebraten und Glühwein wahrnehmen – auf diese Frage gibt es noch keine endgültige Antwort. Weitere Untersuchungen sind aber geplant.
Nicht nur bei der Ernährung spielen Sinneseindrücke die zentrale Rolle schlechthin. Dass Tiere olfaktorische Daten in ihre Partnerwahl einbeziehen, ist kein Geheimnis. Wie Jane L. Hurst, University of Liverpool, bereits vor Jahren gezeigt hat, spielen unterschiedliche Aminosäuren in polymorphen Proteinen eine zentrale Rolle. Als potenzielle Informationsträger kommen zahlreiche Eiweiße, sprich das gesamte „Peptidom“, infrage: vor allem MUPs (Major Urinary Proteins) oder MHC-Proteine (Major Histocompatibility Complex). Sie spiegeln genetische Variationen wider. Auch beim Menschen beeinflussen Gerüche die Partnerwahl. Mehr als zehn Jahre haben Wissenschaftler gebraucht, bis sie die Bedeutung von MHC verstanden haben. Der individuelle Geruch entsteht tatsächlich durch immunologisch relevante Genprodukte. Potenzielle Partner werden gescreent, ob sie eine gute Ergänzung zu körpereigenen Immungenen bieten könnten. Damit werden gemeinsame Nachkommen resistenter gegen Pathogene. Britische Forscher gingen noch einen Schritt weiter. Sie nahmen Proben von 92 Männern im Alter von 18 bis 31 Jahren und ließen 63 Frauen ähnlichen Alters schnuppern. Alle Studienteilnehmerinnen befanden sich im fruchtbarsten Teil ihres Zyklus und wurden unter anderem gefragt, wie sie verschiedene Gerüche empfinden. Männer wirkten umso attraktiver, je stärker sich deren Immungene von denen einer Frau unterschieden. Damit profitieren mögliche Kinder von einem besonders starken Immunsystem. Wer schon beim ersten Date mit Angstschweiß kämpft, hat indes schlechte Karten. Lilianne R. Mujica-Parodi, New York, setzte Probanden emotionalen Stresssituationen aus und nahm Geruchsproben. Schnupperten Studienteilnehmer daran, regulierte ihr Körper Angstzentren im Hypothalamus und in der Amygdala hoch. Angst ist folglich „ansteckend“, schreibt Mujica-Parodi. Männlicher „Stressschweiß“ beeinflusst beide Geschlechter, während weibliche Proben stärker auf Frauen wirken. Der Effekt blieb aus, falls Gerüche von Menschen stammten, die beispielsweise ganz entspannt sportlich aktiv waren.
Nach erfolgreichen Partnersuche setzt die Evolution weiter auf Düfte – scheinbar: Im Labor „erschnüffelten“ sich Spermien ihren Weg zur Eizelle und folgten dem maiglöckchenartigen Geruch von Bourgeonal oder Zyklamal. Sie nehmen entsprechende Moleküle über das Protein hOR (human olfactory receptor) 17-4 wahr: ein molekularer Schalter, der nach seiner Aktivierung intrazelluläre Calciumspiegel erhöht. Spermien schwimmen plötzlich schneller und wechseln ihre Richtung – zumindest in vitro. Jahrelang hielt sich die These vom „Maiglöckchen-Phänomen“, obwohl weder Bourgeonal noch vergleichbare Duftstoffe jemals im Uterus identifiziert werden konnten. Forscher der Max-Planck-Gesellschaft zeigten, wie CatSper-Kanäle (cation channels of sperm) als zentrale Struktur tatsächlich funktionieren. Im Körper werden sie durch Progesteron – das von Kumuluszellen nahe der Eizellen gebildet wird – aktiviert. Maiglöckchenduft, Menthol oder verwandte Moleküle zeigen ähnliche Effekte, wenn auch nur bei hohen Konzentrationen. Das „Maiglöckchen-Phänomen“ entpuppte sich lediglich als Artefakt aus Versuchsreihen. Mit weiteren olfaktorischen Überraschungen ist zu rechnen.