Gluten, Nüsse, Konservierungsmittel, Kalorien: Unsere Nahrungsmittel haben es in sich. Wer bestimmte Inhaltsstoffe nicht verträgt, musste bislang den Herstellerangaben vertrauen. Mit einem neuen Tool könnte es schon bald ein Labor für die Westentasche geben.
Nachdem Isabel Hoffmanns Familie beruflich aus den Staaten nach Europa zog, hatte deren 14-jährige Tochter mit unerklärlichen Problemen zu kämpfen: Tremor, Nesselsucht, ein niedriger Blutdruck und Schmerzempfindlichkeit waren die Symptome. Ärzte suchten vergebens nach Erklärungen. Grund genug für die Mutter, Rat bei Gordan Medical Associates zu suchen. Dort fanden Kollegen gleich mehrere Auslöser der gesundheitlichen Störungen: Hoffmanns Tochter verträgt kein Gluten. Auch war ihr Schlafzimmer hochgradig mit Aspergillus- und Penicillium-Arten kontaminiert. Kurz darauf zog die Familie um, und die junge Patientin begann mit einer Diät, um Klebereiweiß zu vermeiden. Bald ging es ihr deutlich besser.
Für Isabel Hoffmann, sie arbeitet als Unternehmerin, war die Sache damit längst nicht ausgestanden: "Wie viele Menschen leiden Tag für Tag? Und haben sich nahezu aufgegeben – mit chronischen Erkrankungen, ohne Hoffnung auf Besserung?" Doch jammern allein hilft wenig. Deshalb lautete ihr Beschluss, ein Labor für die Westentasche zu entwickeln, das Lebensmittel analysiert und Substanzen bewertet. Hersteller aus der Nahrungsmittelbranche sind zwar verpflichtet, Inhaltsstoffe anzugeben. Wer dem Kleingedruckten aber nicht traut, könnte durch transparente Materialien, sprich Glas oder Kunststofffolien, ein Produkt schon im Supermarkt unter die Lupe nehmen. Das nächste Thema: Essen Allergiker unterwegs etwas, müssen sie Angaben des Restaurants blind vertrauen – es sei denn, sie hätten die Möglichkeit, Messungen ad hoc durchzuführen. Außerdem sollte das Tool diverse Verunreinigungen respektive Zusatzstoffe bestimmen. Viele Ideen – nach entsprechenden Planungen ging es an die Umsetzung. Zusammen mit dem Mathematiker Dr. Stephen Watson machte sich Isabel Hoffmann an die Arbeit. Beide kalkulierten mit 100.000 US-Dollar für Forschung und Entwicklung, bekamen über die Crowdfunding-Plattform Indiegogo sogar knapp 390.000 US-Dollar. Ganz klar, viele Menschen interessieren sich für gesunde Nahrung.
Das physikalische Prinzip entsprechender Messungen ist seit Jahrzehnten bekannt: Intensives Licht, die Entwickler verwenden einen Laser, strahlt auf Nahrungsmittel ein. Dabei entstehen niedrigenergetische Photonen, die von einem Detektor aufgefangen werden. Aus charakteristischen Absorptionsmustern ergibt sich, welche Substanzen in welcher Menge vorliegen. Spektroskopische Messungen laufen anders als enzymatische Tests in Echtzeit. Auf dem Markt gibt es bereits mehrere Geräte. Für die Entwickler wurde schnell klar, dass sie weniger mit der Hardware selbst punkten – sondern vielmehr mit einem intelligenten Algorithmus, der besser interpretiert, welche Substanz gerade erfasst wird. Genau das mache laut Hoffmann den entscheidenden Unterschied. Ihr Gerät erfasst Daten und sendet diese über eine App an Cloud-Services zur Auswertung. Von dort geht es zurück an das Smartphone. Alle Leistungen haben ihren Preis: Momentan kostet ein Gerät 320 US-Dollar – inklusive zwölfmonatiger Subskription für die Berechnung. Ab August 2014 wird das Gadget wahrscheinlich auf dem Markt erhältlich sein. http://www.youtube.com/watch?v=xGFnjCuBn1c
Dann können alle Interessierten selbst entscheiden, welche Speisen und Getränke auf den Tisch kommen. Hoffmann: "Wir essen so schlecht, weil wir es nicht wissen." Beispielsweise tauchen Farbstoffe in diversen Produkten vom Schmelzkäse bis zum Brausepulver auf. Tartrazin wirkt allergieauslösend. In der Europäischen Union muss außerdem mit dem Hinweis "Kann die Aktivität und die Aufmerksamkeit bei Kindern beeinträchtigen" gewarnt werden. Nüsse beziehungsweise Inhaltsstoffe aus Milch bekommen ebenfalls nicht allen Menschen. Wer auf Kalorien achtet, kann seine Speisen und Getränke ebenfalls unter diesem Aspekt bewerten. Über individuelle Analysen hinaus planen Entwickler, die Allgemeinheit vom Erfahrungsschatz profitieren zu lassen. Da auch Toxine und Informationen zum Gesundheitszustand erfasst werden, lassen sich Kontaminationen von Speis' und Trank auch regional darstellen – eine wertvolle Hilfe für Entwicklungsländer. Bakterien oder Viren selbst identifiziert das Spektrometer momentan nicht. Passende Erweiterungen stehen jedoch auf der Agenda. Damit könnte die Hardware global zum Einsatz kommen, um Bedrohungen auf interaktiven Karten darzustellen. Je mehr Daten TellSpec sammelt, desto mehr Patienten profitieren – auch in der westlichen Welt. "Wir werden versuchen, 'Fingerabdrücke' verschiedener Lebensmittel zu erstellen und mit anderen Informationen in Verbindung zu bringen", erklärt die Geschäftsführerin. In erster Linie denkt sie an gesundheitliche Probleme durch unsere Nahrung.
Dass Konsumenten – respektive Patienten – für Inhaltsstoffe von Lebensmitteln sensibilisiert werden, ist mehr als wünschenswert. Viele Messungen von Kalorien über Toxine bis hin zu geplanten Screens auf Viren oder Bakterien bewegen sich eindeutig in Richtung Medizin. Hier wird die US Food and Drug Administration (FDA) als Zulassungsbehörde genau hinsehen. Ihre Aufgabe: Sowohl die Hardware als auch die App selbst prüfen. Um verhängnisvolle Fehler zu vermeiden, sollte TellSpec darüber hinaus Maßnahmen zur regelmäßigen Kalibrierung verkaufter Geräte vorsehen. Bleibt noch zu klären, wie sicher Patientendaten in der Cloud wirklich sind.