„2 x 1 Tablette nach dem Essen“, ist nicht selten die Standardempfehlung bei oralen Darreichungsformen. Viele Faktoren beeinflussen die zirkadiane Rhythmik und Pharmakokinetik eines Arzneimittels: Uhrzeit, Fettgehalt der Speisen, Löslichkeit der Substanz sind nur einige Variablen.
Ob ein Arzneimittel vor, zum oder nach dem Essen eingenommen werden muss, hängt von zahlreichen Faktoren ab. Der Resorptionsort, Magen oder Dünndarm, spielt ebenso eine Rolle wie die Löslichkeit des Arzneistoffes und die Zusammensetzung der Nahrung. Fettreiche, grobe oder heiße Mahlzeiten verzögern die Magenpassage besonders stark. Arzneimittel wie beispielsweise Betablocker werden aufgrund der verzögerten Magenentleerung bei der Einnahme nach dem Essen schlechter aufgenommen, als wenn sie nüchtern eingenommen werden. Bei Betablockern spielt auch noch die Löslichkeit eine Rolle. Lipohile Betablocker wie Metoprolol und Propranolol werden nahezu vollständig und rasch aufgenommen; hydrophile Betablocker wie Atenolol hingegen nur unvollständig (> 50%). Gleichzeitige Nahrungszufuhr kann daher bei „fettigen“ Betablockern die Aufnahmerate steigern, wobei die Rate bei wasserliebenden verringert ist. Nahrungsfette regen die Gallensaftproduktion an. Gallensäuren fördern die Löslichkeit schwerlöslicher Arzneimittel. Auch das schwerlösliche kaliumsparende Diuretikum Spironolacton wird in Folge verbesserter Löslichkeit bei gleichzeitiger Nahrungsmittelaufnahme rascher und vollständiger aufgenommen.
Der pH-Wert des Magen-Darm-Saftes bestimmt ebenfalls die Resorption von Arzneistoffen. Die verzögerte und gleichmäßige Freisetzung eines Arzneistoffes aus oralen Retardzubereitungen wird überwiegend durch den pH-Wert-abhängigen Auflösungsprozess der verwendeten Hilfsmittel gewährleistet. In den ersten 60 bis 90 Minuten der Nahrungsaufnahme kommt es zur Erhöhung des pH-Wertes im Magen von nüchtern 1,6 auf Werte zwischen 3 und 6. Ein derartiger Anstieg des pH-Wertes kann die Freisetzung eines Arzneistoffes aus einer magensaftresistenten Darreichungsform beeinträchtigen. Magensaftresistente Arzneiformen sollen den Magen unversehrt passieren und sich erst im Dünndarm auflösen und dort resorbiert werden. Magensaftresistente Tabletten verlassen bei Nüchterneinnahme spätestens nach zwei Stunden den Magen. Wird anstelle von (Leitungs-)Wasser ein nährstoffhaltiges Getränk wie Saft, Limonade oder Milch getrunken, verlängert sich der Passagevorgang um Stunden. Bei Einnahme nach dem Essen kann dieses bis zu 11 Stunden dauern. Dieses hätte zur Folge, dass sich das Arzneimittel über längere Zeit in einem weniger sauren Nahrungsbrei befindet und angegriffen oder zerstört wird.
Kinetisch besonders kritisch sind zudem Substanzen mit einer großen Plasmaproteinbindung. Der gebundene Arzneistoff wird zwar transportiert, wirkt aber nur in freier Form. So ein Kandidat ist beispielsweise das Schilddrüsenhormon L-Thyroxin. Seine Bindung an Transportproteine beträgt über 99 Prozent, damit ist es Spitzenreiter unter den Arzneistoffen. Die Einnahme sollte 30 bis 60 Minuten vor der ersten Nahrungsaufnahme des Tages erfolgen, denn die Bioverfügbarkeit liegt im nüchternen Zustand bei circa 75-85 Prozent. Diese kann bei gleichzeitiger Aufnahme von Nahrung um bis zu 35 Prozent reduziert werden. Außerdem sollten die Tabletten nicht mit Mineralwasser, sondern nur mit Leitungswasser geschluckt werden. Der Anteil an Calcium und Magnesiumionen reicht aus, um die Wirkung zu vermindern. Vor dem Essen:
Zu einer fetthaltigen Mahlzeit:
Diclofenaczubereitungen, insbesondere wenn sie retardiert sind, sollten vor dem Essen eingenommen werden. Nicht selten denken Laien, dass eine Applikation nach dem Essen den Magen schont. Das Gegenteil ist der Fall. Speisen tragen dazu bei, dass die Verweildauer der Arzneizubereitung im Magen erhöht wird. Sie löst sich bereits im Magen und führt dort (auch) zu direkten Reizwirkungen. Eine Untersuchung von Ewe et al., zeigte, dass sich die mittleren Magenentleerungszeiten für magensaftresistente Kapseln oder Tabletten durch gleichzeitig vorhandene Nahrung um bis zu elf Stunden verlängern. Tagsüber eingenommene magensaftresistente Tabletten können im Magen kumulieren und erst nachts gemeinsam in den Dünndarm gelangen, wenn der Patient vorher mehrere Mahlzeiten zu sich genommen hat. Mögliche Folge kann eine Überdosierung sein. Eine Resorption im Dünndarm hingegen ist magenschonender. In der ABDA-Datenbank wurde das Problem der Magensaftresistenz bereits berücksichtigt: Alle magensaftresistenten, monolithischen Darreichungsformen Diclofenac-haltiger Fertigarzneimittel tragen den Hinweis, sie – abweichend von der Gebrauchsinformation - auf nüchternen Magen, also am besten ein bis zwei Stunden vor den Mahlzeiten einzunehmen. Ausgenommen sind Tabletten zum Auflösen (Produkte mit der Bezeichnung dispers oder Tabs), Pellet-Kapseln und retardierte Formen. Diese sollte der Patient, wie in den Gebrauchsinformationen allgemein empfohlen, nicht auf nüchternen Magen einnehmen. Hier ist die Teilchengröße so gering, dass auch der geschlossene Magenausgang passiert werden kann.
Das Teilgebiet der Arzneimittellehre, das die Wirkung von Arzneistoffen in Abhängigkeit von der Tageszeit untersucht, bezeichnet man als Chronopharmakologie. Viele chronobiologische Fakten sind bereits seit Jahrzehnten bekannt, werden in der Praxis jedoch (zu wenig) genutzt. Die starren Dosierungsschemen von Medikamenten müssen neu überdacht werden, denn auch die Wirkung von Arzneimitteln ist tageszeitabhängig. Das Herz gibt am Abend noch mal richtig Gas, die Körpertemperatur und Atemfrequenz erreichen ihr Tageshoch am Nachmittag. Die Haut erneuert um Mitternacht am stärksten und die Harnblase füllt sich morgens am kräftigsten. Seit etwa fünfzig Jahren ist bekannt, dass Lebensvorgänge in Tages-, Mondphasen oder jahresperiodischen Zyklen schwingen. Die innere Uhr beeinflusst jedoch nicht nur den gesunden Organismus, sie steuert auch Erkrankungen.
Professor Dr. Walter E. Haefeli und Arwa Hassan, Universität Heidelberg, haben eine Einnahmeliste erstellt und im Anschluss untersucht, wie es mit diesen Empfehlungen in der Realität aussieht. Die Untersuchung wurde in „Pharmacy World & Science“ veröffentlicht. Nach deren Empfehlung soll am Abend eingenommen werden:
Direkt vor dem Schlafengehen sollte genommen werden:
Die morgendliche Einnahme ist sinnvoll für:
Die Wissenschaftler werteten insgesamt fast 500 000 elektronische Krankenhausverordnungen aus. Knapp zwei Prozent davon enthielten Wirkstoffe, bei denen die Wirkung bekannterweise vom Einnahmezeitpunkt bestimmt wird. In nur 14 Prozent der Fälle stimmte der empfohlene und der tatsächliche Einnahmezeitpunkt überein. Beispielsweise wurde der Lipidsenker Atorvastatin zu mehr als 80 Prozent abends eingenommen. Telmisartan, ASS und Ramipril dagegen wurden so gut wie nie vor dem Schlafengehen geschluckt.
Asthmaanfälle treten besonders nachts häufig auf. Deshalb sollte retardiertes Theophyllin überwiegend am Abend verabreicht werden. Nur so kann ein Abfall der Lungenfunktion wirksam verhindert werden. Ist ein Splitting notwendig, sollte die abendliche Dosis deutlich höher gewählt werden. Beispielsweise 200 mg am Tag, 350 mg vor dem Schlafengehen. Auch bei oralen Beta-2-Sympathomimetika kann eine ungleichmäßige Gabe, wie morgens 5 mg und abends 10 mg Terbutalin, besser vor nächtlichen Anfällen schützen. Üblicherweise fördert eine einmal täglich Gabe die Adhärenz. Zumindest ist das so bei Erkrankungen, bei denen der Leidensdruck für den Patienten gering ist, beispielsweise bei Hypertonie. Bei Asthma und besonders bei COPD empfindet der Patient eine zusätzliche Gabe seines bronchospasmolytischen Parasympatholytikums als Erleichterung. Die LAMAs (long-acting muscarinic antagonists) Tiotropium und Aclidinium wirken unterschiedlich lang und können nach dem COPD-Typ ausgewählt werden. Tiotropium ist lange wirksam und darf nur einmal täglich verabreicht, das neuere Aclidinium kann zusätzlich am Abend appliziert werden.
Steroide hingegen sind Frühaufsteher. Am besten wirken sie, wenn 2/3 der Dosis morgens und 1/3 in den Nachmittagsstunden gegen 15 Uhr gegeben wird. Wer weniger Nebenwirkungen haben will, muss früh aufstehen. Am besten sind Steroide verträglich, wenn die morgendliche Gabe vor acht Uhr morgens erfolgt. In dieser Zeit schüttet die Nebennierenrinde am meisten Steroide aus. Durch die endogene und exogene Steroidzufuhr kann die Dosis geringer gewählt werden, und eine potentielle Suppression wird vermindert. Eine medikamentöse nächtliche Cortisongabe hätte fatale Folgen. Der Körper würde einen zu hohen Cortisonspiegel messen und die eigene Hormonproduktion drosseln. Ist eine Suppression aber erwünscht, sollte beispielsweise beim Dexamethason-Hemmtest die Gabe am Abend stattfinden.
Da nachts durch die gesteigerte Parasympathikusaktivität die Säuresekretion am stärksten ist, sollen H2-Antihistaminika abends eingenommen werden. Protonenpumpenhemmer hingegen agieren als verzögert wirkende Prodrugs und werden am morgen genommen, um abends am besten zu wirken.
Der systolische und diastolischer Blutdruck sinkt nachts bei Gesunden. Die meisten Patienten mit essenzieller Hypertonie, der häufigsten Form des Bluthochdrucks, haben zwar erhöhte Blutdruckwerte, aber ein normales Profil mit nächtlichem Blutdruckabfall. Frühmorgens steigen außer dem Blutdruck auch Puls, Catecholamin-Plasmakonzentration und peripherer Gefäßwiderstand. Parallel dazu kommt es zu dieser Tageszeit besonders häufig zu pektanginösen Beschwerden und zu Herzinfarkten. Betablocker sollten morgens, am besten vor dem Frühstück, eingenommen werden. Nachts haben sie nahezu keinen Effekt. Für diese Tageszeitabhängigkeit ist vermutlich der nachts ohnehin schon niedrige Sympathikotonus verantwortlich, der sich nicht weiter verringern lässt. ACE-Hemmer hingegen verlieren auch nachts nicht ihre Wirkung und können bei Einnahme am Tag oder abends den Druck in der Schlafphase zu stark senken. Sie werden deshalb wie ihre blockenden Kollegen am Morgen geschluckt.
Auch Analgetika wollen nach der Uhr dosiert werden. Metamizol wirkt am besten morgens, Acetylsalicylsäure wird hingegen am besten vertragen, wenn die Einnahme gegen 22.00 Uhr erfolgt. Indometacin wirkt zur Zeit der Tagesschau am verträglichsten. Klagt ein Rheumatiker jedoch besonders in den Morgenstunden über Beschwerden, sollten NSAR abends genommen werden. Patienten mit starken Schmerzen benötigen nachts mehr Opiate.