Ergebnisse einer aktuellen US-amerikanischen Studie zeigen: Darmkrebs ist offenbar mit einer veränderten Darmflora assoziiert – eine Chance, das Risiko zu erkranken über Nahrung und Medikamente zu minimieren?
Eine dichte und vielfältige Mikrobengemeinschaft besiedelt den menschlichen Darm: Das intestinale Mikrobiom. Für die Gesundheit des Menschen spielt es eine wichtige Rolle, da das Mikrobiom vielfältige Funktionen im Organismus übernimmt. So sorgen die zahlreichen Mikroorganismen im Darm beispielsweise für die Zersetzung ansonsten unverdaulicher Stoffe, stellen Vitamine her, stimulieren das Immunsystem und verdrängen sogar Pathogene. Doch kann eine ungünstige Mikrobengemeinschaft im Darm auch die Entstehung von Darmkrebs begünstigen?
Verschiedene Störungen des menschlichen Verdauungstraktes wie entzündliche Darmerkrankungen, das Reizdarmsyndrom oder Fettleibigkeit gehen mit einer veränderten Mikroflora einher. Hier stellt sich jedoch ein ähnliches Problem wie bei Henne und Ei: Was war zuerst da, die Darmerkrankung oder die aus dem Gleichgewicht geratene Mikrobengemeinschaft? Die kausalen Zusammenhänge zwischen gestörter Darmflora und verschiedenen Erkrankungen konnten wissenschaftlich bisher noch nicht gänzlich geklärt werden.
Bereits seit einigen Jahren vermuten Wissenschaftler auch einen Zusammenhang zwischen der menschlichen Darmbesiedlung und der Entstehung von Darmkrebs. Epidemiologische Vergleichsstudien zwischen Patienten mit Darmkrebs und Gesunden gab es dazu bisher nicht. Wissenschaftler der University School of Medicine in New York, USA, haben nun anhand von Stuhlproben das Mikroben-Vorkommen bei 47 Darmkrebspatienten mit dem von 94 gesunden Menschen verglichen. Die Stuhlproben stammen von frisch diagnostizierten Darmkrebspatienten über einen Zeitraum von zwei Tagen. Vor Beginn der Behandlung sammelten die Wissenschaftler außerdem Daten zu Ernährungsgewohnheiten und Demographie der Patienten.
Im menschlichen Verdauungstrakt befinden sich etwa 1014 Bakterien, die meisten von ihnen im Dickdarm. Um die Mitglieder des Darmmikrobioms einzeln zu erfassen, nutzten die Wissenschaftler die Analyse der mikrobiellen 16S Ribosomen-RNA (rRNA). Sie besitzt konservierte Regionen, wodurch sie leicht zu vervielfältigen ist. Mithilfe der hochvariablen Regionen der rRNA hingegen lassen sich die einzelnen Spezies eindeutig identifizieren. Wenn Wissenschaftler beispielsweise alle 16S rRNAs einer Stuhlprobe sequenzieren, erfassen sie damit gleichzeitig bekannte und unbekannte, selten und häufig vorkommende Spezies und erhalten so ein umfassendes, realitätsnahes Bild der Darmbewohner ihres Probanden. Diese molekulargenetische Herangehensweise ist wesentlich genauer als früher praktizierte Untersuchungsmethoden, bei denen die Bakterien vor der Analyse erst isoliert und vermehrt werden mussten. Konnte sich bei diesem Schritt eine Bakterienart nicht durchsetzen, fiel sie durchs Raster.
Zahlreiche Studien haben bereits belegt, dass das menschliche Darmmikrobiom hauptsächlich aus den Stämmen der Bacteroidetes (meist Bacteroides oder Prevotella Spezies) und der Firmicutes (meist Clostridium und Lactobacillus Spezies) zusammengesetzt ist – allerdings zu äußerst variablen Anteilen. Die aktuellen Untersuchungen der New Yorker Wissenschaftler zeigen, dass Darmkrebspatienten insgesamt eine geringere Vielfalt bei der Zusammensetzung der Darmmikroben aufweisen als gesunde Menschen. Auch das Vorkommen bestimmter Bakterien unterschied sich bei Darmkrebspatienten deutlich von dem Gesunder: Bei den Darmkrebspatienten fanden die Wissenschaftler etwas mehr Bakterien des Stamms Bacteroidetes (16,2%) als bei gesunden Probanden (9,9%). Gleichzeitig hatten die Firmicutes bei den Darmkrebspatienten abgenommen (74,0% vs. 80,3%). Unter den Firmicutes hatten die Clostridien die meisten Verluste zu beklagen (68,6% vs. 77,8%). Die grampositiven Clostridien, allen voran Coprococcus, fermentieren im Darm Ballaststoffe und andere komplexe Kohlenhydrate zu Butyrat. Wissenschaftler vermuten, dass dieser Darmmetabolit chronische Darmentzündungen und die Entstehung von Darmkrebs verhindern kann. „Andere Studien haben bereits bestätigt, dass Clostridien im unmittelbaren Tumorgewebe seltener vorkommen als im übrigen Darmgewebe“, schreiben die Wissenschaftler. Die Gattung Fusobacterium kam bei Darmkrebspatienten hingegen häufiger vor als bei Gesunden (31,9% vs. 11,7%). Diese Bakterien wurden bereits mit der Entstehung einer Colitis und mit Parodontalerkrankungen in Verbindung gebracht, die wiederum das Auftreten von Darmkrebs begünstigen können. „Auch in diesem Punkt zeigen andere Studien in dieselbe Richtung: Fusobacteria wurden vermehrt in Darm-Tumorgewebe und bei Rektalabstrichen von Darmkrebspatienten entdeckt“, ordnen die Studienautoren ihre Ergebnisse ein. Ähnliches gilt für die Gattungen Atopobium und Porphyromonas, die ebenfalls gehäuft in den Stuhlproben von Darmkrebspatienten nachgewiesen wurden. Atopobium, das grampositive, anaerobe Bakterium, wurde bereits mit Morbus Crohn in Verbindung gebracht und kann in vitro das Absterben von Darmkrebszellen verhindern. Porphyromonas kommt im Mund und im Gastrointestinaltrakt des Menschen vor und ist ebenfalls mit Parodontalerkrankungen assoziiert.
Zwischen dem Darmmikrobiom und Darmkrebs scheint es offenbar eine Verbindung zu geben. „Da wir die Proben erst nach der Krebsdiagnose genommen haben, können wir die Frage, in welchem kausalen Zusammenhang die veränderte Darmflora und Darmkrebs stehen, noch nicht beantworten“, so Studienkoordinator Prof. Dr. Jiyoung Ahn. Und obwohl die Wissenschaftler auf fehleranfällige Anzuchtmethoden verzichteten, weist ihre Studie dennoch Schwachpunkte auf, denn die schleimhautassoziierten Bakterien wurden bei der Analyse der Stuhlproben nicht berücksichtigt. „Diese könnten aufgrund der räumlichen Nähe sogar noch enger mit der Entstehung von Darmkrebs in Verbindung stehen als die von uns erfassten Bakterien“, räumen die Autoren ein. Weitere Untersuchungen sollen diesbezüglich mehr Klarheit schaffen. Eine Vermutung lässt sich aus der vorliegenden Studie jedoch bereits vorsichtig formulieren: Wenn Darmkrebs die Folge einer andersartigen bakteriellen Darmbesiedlung ist, dann ließe sich das Krebsrisiko durch Ernährung oder Medikamente eventuell beeinflussen.