Biomediziner haben eine Methode entwickelt, die mit nur einer Injektion mehrere Impfungen inklusive nötiger Auffrischungen abdecken kann. Arznei- und Impfwirkstoffe werden dabei zu präzisen Zeitpunkten nacheinander freigesetzt. Sogar noch Monate nach dem Nadelstich.
Retardierte Arzneiformen stehen bei vielen Indikationen hoch im Kurs. Allerdings setzen bekannte Systeme die Wirkstoffe nur über kürzere Zeiträume hinweg frei. Robert Langer, Biomediziner am Massachusetts Institute of Technology (MIT) wollte die Grenzen des Machbaren ausdehnen. Zusammen mit Kollegen entwickelte er mit 3D-Druckverfahren innovative Mikropartikel, mit denen es möglich ist, Impf- und Arzneiwirkstoffe aus einer einzigen Injektion zu mehreren bestimmten Zeitpunkten freizusetzen.
Verschiedene Schritte beim Herstellen, Befüllen und Verschließen der Mikrogefäße © Langer Lab Ihr System besteht aus Polylactid-co-Glycolid (PLGA), einem Copolymer mit variablen Milchsäure- und Glycolsäure-Einheiten. Es kommt bei diversen Medizinprodukten zum Einsatz und hat eine Zulassung der Food and Drug Administration (FDA). Bekannte dreidimensionale Druckverfahren erwiesen sich jedoch als wenig brauchbar, um kleine, später verschließbare Gefäße herzustellen. Ingenieure ließen sich deshalb von Verfahren der Halbleiterindustrie inspirieren. Per Photolithographie schufen sie Siliziumformen für oben offene Kunststoffpartikel mit einem Hohlraum. Langer bezeichnet sie analog zum Haushaltsgegenstand als „Tassen“. Seine Behältnisse sind nur einige 100 Mikrometer groß, lassen sich aber ebenfalls befüllen. Ingenieure experimentierten mit Arzneistoff- oder Impfstofflösungen. Um Flüssigkeiten zu übertragen, setzte das MIT-Team automatische Systeme ein. Anschließend wurden die kleinen Gefäße mit „Deckeln“ verschlossen. Hier handelte es sich um Plättchen aus PLGA, die sich über Wärmeeinwirkung fest mit der vollen „Tasse“ verbinden ließen. „Jede Schicht wird zuerst separat hergestellt, und dann zusammengefügt“, erklärt Co-Autorin Ana Jaklenec. „Ein Teil der Innovation ist das Ausrichten und Versiegeln.“ Langer ergänzt: „So konnten wir zum ersten Mal eine Bibliothek von winzigen, umhüllten Impfstoffpartikeln herstellen, die jeweils so programmiert sind, dass sie Wirkstoffe zu einer präzisen, vorhersehbaren Zeit freisetzen.“ Vielleicht reiche schon bald eine Injektion anstelle mehrerer Auffrischungsimpfungen. Dabei bestimmen sowohl das PLGA-Molekulargewicht als auch das chemische „Rückgrat“ im Polymer, wie schnell Moleküle im Inneren freigesetzt werden.
Soviel zur Theorie. Dass ihre Idee auch praktisch funktioniert, zeigten Langer und Kollegen im Tierexperiment. Sie stellten Partikel mit Ovalbumin her: einem Protein, das im Körper zur Immunantwort führt. Wie geplant, setzten Mikrobehälter ihren Inhalt nach neun, 20 beziehungsweise 41 Tagen frei, ohne vorher undicht zu werden. Es war auch möglich, Mikrogefäße herzustellen, die mehrere hundert Tage lang stabil blieben, um anschließend wie geplant zu zerfallen. Jetzt testen Forscher im Mausmodell diverse verkapselte Impfstoffe und Pharmaka.
Der Erstautor sieht in der innovativen Technologie große Vorteile für Entwicklungsländer. Babys könnten nach der Geburt mit nur einer Spritze bis zum ersten oder zweiten Lebensjahr geschützt werden. Deshalb erhielt Langer auch finanzielle Unterstützung von der Bill und Melinda Gates Foundation. Vom Erfolg profitieren aber auch Patienten in westlichen Ländern. Je länger eine Pharmakotherapie andauert, je komplexer Einnahmeschemata sind und je mehr Wirkstoffe in das Spiel kommen, desto niedriger ist die Therapietreue. Im besten Fall reicht künftig eine Spritze, um Patienten über lange Zeiträume hinweg zu versorgen. Gegen die zunehmende Impfmüdigkeit könnte sich der Ansatz ebenfalls eignen. So oder so sind noch umfangreiche klinische Tests erforderlich. Quelle: Fabrication of fillable microparticles and other complex 3D microstructures Kevin J. McHugh et al., Science, doi: 10.1126/science.aaf7447; 2017