Protonenpumpenhemmer sind wirkungsvolle Medikamente – zumindest bei der kurzfristigen Anwendung. Auf lange Sicht tun Ärzte und Apotheker manchen Patienten wenig Gutes. Neue Studien zeigen, wo diese Arzneistoffe Sinn machen oder eher Schaden anrichten.
Ein Blockbuster der besonderen Art: Laut Arzneimittelreport 2012 hat sich die Zahl an verordneten PPI im letzten Jahrzehnt verfünffacht. Durch den OTC-Switch bekommen Patienten manche Wirkstoffe auch ohne Rezept. Gesundheitliche Folgen bleiben nicht aus, so das Fazit von Wissenschaftlern.
Kribbeln, Erschöpfung, Konzentrationsschwäche oder neurologische Störungen: Ein Vitamin-B12-Mangel hat viele Gesichter. Nicht immer nehmen Betroffene über ihre Nahrung zu wenig der Substanz auf. Protonenpumpeninhibitoren (PPI) führen zu einer Unterversorgung mit Vitamin B12, indem deren proteingebundene Form schlechter hydrolysiert wird. Auch ist die Bindung an einen Intrinsic Factor pH-abhängig. Vier von zehn Veröffentlichungen sprachen PPI schuldig im Sinne der Anklage, weitere sechs Arbeiten fanden keinen Zusammenhang. Grund genug für Douglas A. Corley aus dem kalifornischen Oakland, das Thema eingehend zu untersuchen. Sein großer Vorteil: Kaiser Permeate, US-amerikanischer Anbieter von Krankenversicherungen, hat schon früh elektronische Patientenakten eingeführt und kann auf riesige Datenbanken zugreifen. Bei seinen Arbeiten fand Corley 25.956 erwachsene Versicherte, die an einem Vitamin B12-Mangel litten. Von ihnen hatten 4,2 Prozent H2-Rezeptor-Antagonisten und 12,0 Prozent PPI über längere Zeit eingenommen. Als Vergleichsgruppe dienten 184.199 Patienten ohne Mangelerkrankung. Laut Corley erhöhten H2-Blocker das Risiko um 25 Prozent, bei PPI waren es sogar 65 Prozent. Für einen kausalen Zusammenhang spräche, argumentiert der Wissenschaftler, dass das Odds Ratio anstieg, falls höhere Dosen an PPI verschrieben wurden. Bleibt noch zu klären, inwieweit andere Faktoren zu einem Bias geführt haben könnten. Dazu wurden Krankenakten inhaltlich bewertet. Bei 90 Prozent galten typische Mangelsymptome als Grund für weitere Untersuchungen, also nicht die Verschreibung per se.
Eine spezielle Patientengruppe sind in dem Zusammenhang jugendliche Asthmatiker. Sie erhalten PPI, um ihren tatsächlichen oder vermeintlichen Reflux zu kontrollieren – Magensäure könnte ihre Atemfunktion vor allem nachts beeinträchtigen. Eine randomisierte, kontrollierte Studie kritisiert dieses Therapieregime. Dazu erhielten 306 Kinder zwischen sechs und 17 Jahren mit schwer kontrollierbarem Asthma entweder Lansoprazol oder Placebo. Janet T. Holbrook, Baltimore, berichtet, das primäre Ziel, funktionale Atemwegsparameter zu verbessern, sei nicht erreicht worden. Selbst Kinder, bei denen tatsächlich eine gastroösophageale Refluxkrankheit vorlag, profitierten nicht. Allerdings häuften sich Infektionen der oberen Atemwege. Beispielsweise fand Holbrook bei heranwachsenden, die PPI erhielten, doppelt so häufig eine Bronchitis. Auch erlitten sechs Kinder der PPI-Gruppe nach leichteren Sportunfällen Knochenbrüche – unter Placebo gab es nur einen Fall. Entsprechende Unterschiede bei Frakturen sind nicht signifikant, könnten aber dennoch Hinweise auf Risiken geben, wie weitere Arbeiten mit Erwachsenen zeigen.
Andrew T. Chan, Boston, erforschte mögliche Zusammenhänge proximaler Femurfrakturen mit PPI. Als Grundlage dienten ihm Daten der Nurses´ Health Study: 893 Hüftfrakturen bei 79.899 postmenopausalen Frauen. Das absolute Risiko lag bei 2,02 Ereignissen auf 1.000 Personenjahre unter PPI. In der Vergleichsgruppe ohne Medikation waren es lediglich 1,51. Daran änderte sich auch nichts, falls Chan weitere Parameter wie die Calciumaufnahme, Glukokortikoide, Thiaziddiuretika, Osteoporose oder das Körpergewicht berücksichtigte. Rauchen und das Alter gelten jedoch als zusätzliche Risikofaktoren. Eine Empfehlung der Forscher: Falls Patienten über mehrere Jahre hinweg PPI einnehmen, sollten Ärzte und Apotheker die Versorgung mit Calcium beziehungsweise Vitamin D sicherstellen. Darüber hinaus profitieren Betroffene von regelmäßigem Sport.
Health Professionals der US Food and Drug Administration (FDA) haben noch ganz andere Sorgen. Da PPI und H2-Blocker die Säureproduktion im Magen hemmen, gelangen weitaus mehr Bakterien in den Darm. Bei Patienten kommt es häufig zu Infektionen mit Clostridium difficile und zu teils starker Diarrhoe. FDA-Vertreter fanden in 23 von 28 Beobachtungsstudien Risiken, die jeweils um den Faktor 1,4 bis 2,75 höher lagen als bei Vergleichsgruppen. Trotz einiger Unsicherheiten spricht viel für eine Assoziation der PPI mit Clostridium-difficile-assoziierter Diarrhoe.
Bleibt zu klären, welche Patienten tatsächlich von Säureblockern profitieren. Shoshana J. Herzig von der Harvard Medical School untersuchte Daten von 75.723 Patienten, die in ein Bostoner Klinikum eingeliefert worden waren. Jeder zweite erhielt PPI. In 203 Fällen kam es tatsächlich zu Magenblutungen. Das Risiko stieg mit zunehmendem Alter, männlichem Geschlecht und mit Krankheitsbildern wie Sepsis, Lebererkrankungen, Nierenversagen sowie Gerinnungsstörungen. Daraus leitete Herzig ein Punktesystem ab. Ihr Fazit: Bei nur 13 Prozent aller Krankenhauspatienten stellen PPI eine sinnvolle Medikation dar. Weniger ist auch hier deutlich mehr.