Auch 25 Jahre nach Einführung von RU 486 ist es nicht still geworden um das Präparat. Ist es eher traumatisierend oder doch die harmlosere Art eines Schwangerschaftsabbruchs? Im Gegensatz zu anderen Nationen nehmen hierzulande nur wenige Frauen diese Methode in Anspruch.
Ein Blick zurück: Vor 25 Jahren erhielt Roussel-Uclaf die Zulassung für Mifepriston (RU 486), bekannt als Mifegyne®. Zusammen mit Prostaglandinen ließ sich erstmals ein medikamentöser Schwangerschaftsabbruch ohne schwerwiegende Komplikationen durchführen. Diese neue Option sorgte für gesellschaftliche Kontroversen sondergleichen: Während Frauenrechtlerinnen begrüßten, dass es endlich Möglichkeiten des Schwangerschaftsabbruchs ohne Kürettage beziehungsweise Absaug-Kürettage gab, liefen Gegner auf die Barrikaden. Roussel-Uclaf beugte sich dem politischen Druck und nahm sein Präparat wieder vom Markt. Bald darauf machte der Hersteller seinen Schritt auf expliziten Wunsch des französischen Gesundheitsministers Claude Évin rückgängig.
Weitere Länder entschieden sich bald darauf für Mifepriston: Großbritannien (1991), Schweden (1992) und Deutschland (1999). Auch bei uns blieb die Kontroverse nicht aus. Laut Kardinal Joachim Meisner wäre es „eine unsägliche Tragödie, wenn sich am Ende dieses Jahrhunderts die chemische Industrie ein zweites Mal anschicken würde, in Deutschland ein chemisches Tötungsmittel für eine bestimmte gesetzlich abgegrenzte Menschengruppe zur Verfügung zu stellen“. Kein Wunder, dass Femagen als Lieferant Ende 2000 beschloss, den Vertrieb wegen zu hoher Kosten – respektive zu geringer Umsätze – einzustellen. Heute liefert Nordic Pharma das Präparat, wobei Zahlen immer noch eine deutliche Sprache sprechen.
Laut Informationen des Statistischen Bundesamtes rangiert Mifepriston in der ärztlichen Praxis unter ferner liefen. Ärzte führten im Jahr 2012 genau 106.815 Schwangerschaftsabbrüche durch, darunter waren unter anderem 11.442 Kürettagen und 74.089 Vakuumaspirationen. Lediglich bei 17.252 Patientinnen (16 Prozent) kam Mifepriston zum Einsatz, in anderen Ländern sind es zwischen 50 und 80 Prozent. Anfangs war der Einsatz nur bis zur siebten Schwangerschaftswoche legitim. Aufgrund einer Zulassungsänderung der Europäischen Union ist eine Anwendung bis zum 63. Tag der Amenorrhoe möglich. Bei medizinischen Indikationen kann Mifepriston zusammen mit Misoprostol auch noch später eingesetzt werden.
So viel zur Theorie. Seit geraumer Zeit liefern sich Befürworter und Gegner des medikamentösen Schwangerschaftsabbruchs jedoch hitzige Debatten: Ärzte argumentieren, eine Vakuumkürettage laufe schneller ab und sei allein schon wegen der Narkose weniger belastend und weniger traumatisierend. Im Vergleich dazu bewerten sie die medikamentöse Abtreibung über zwei Tage hinweg als körperlich und seelisch belastend. Allerdings ist diese chirurgische Intervention erst ab der siebten Woche möglich. Ärzte müssen ihre Patientinnen nach einem positiven Test wieder nach Hause schicken, und dann heißt es warten.
Genau hier liegt der Knackpunkt: Für einen Schwangerschaftsabbruch mit Mifepriston gibt es keine zeitliche Untergrenze. Im Gegenteil: Internationale Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation WHO empfehlen Frauen, Präparate einzusetzen, sobald ihr Schwangerschaftstest positiv ist. Frühe Abbrüche seien deutlich risikoloser, heißt es weiter, und mehreren Studien zufolge liegt die Erfolgsquote bei bis zu 98 Prozent. Ganz so einfach ist die Sachlage momentan aber nicht: Laut Arzneimittelgesetz, § 47a, dürfen pharmazeutische Unternehmer „ein Arzneimittel, das zur Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs zugelassen ist, nur an Einrichtungen im Sinne des § 13 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes (...) und nur auf Verschreibung eines dort behandelnden Arztes“ abgeben: eines der wenigen Beispiele mit ärztlichem, aber nicht apothekerlichem Dispensierrecht. Doch Mediziner ist nicht Mediziner: Nur Kollegen, die selbst chirurgische Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, dürfen das Pharmakon einsetzen. Frauen haben Mifepriston vor Ort einzunehmen. Ein bis zwei Tage später folgt der nächste Termin, und sie erhalten ein Prostaglandin. Nach drei bis vier Stunden in der Praxis oder Klink, manchmal dauert es auch länger, kommt es zum Abort. Zwei Wochen später folgt ein Termin zur Nachsorge. Zum Vergleich: Bei ähnlichem Honorar nimmt die Vakuumkürettage deutlich weniger Zeit in Anspruch.
Andere Länder, etwa Schweden, Großbritannien oder Frankreich, rücken von diesem System zunehmend ab. Schwangere erhalten in der Praxis Mifepriston, werden dann aber mit einem Prostaglandin nach Hause geschickt. Sie haben die Möglichkeit, in gewohnter Umgebung ihren Schwangerschaftsabbruch durchzuführen und gegebenenfalls ihren Gynäkologen zu kontaktieren.