Aktuell leiden etwa 1,6 Millionen Menschen in Deutschland an Demenz. Bis zum Jahr 2050 könnte sich diese Zahl verdoppeln. Forscher diskutieren über eine mögliche Prophylaxe durch Testosteron-Gabe. Eine aktuelle Übersichtsarbeit rät davon aber ab.
Eine aktuelle Übersichtsarbeit räumt mit dem Gerücht auf, Testosteron sei ein wirksames Mittel gegen Demenzkrankheiten bei Menschen. Seit fast 15 Jahren finden Wissenschaftler immer wieder mögliche Zusammenhänge zwischen wenig Testosteron im Blut und dem Demenzrisiko. Sie konnten belegen, dass zusätzliches Testosteron die Nervenzellen von Mäusen schützt, Demenzen hinauszögert und Symptome abmildert. Da sich Ergebnisse aus Zellkultur oder Tierversuchen nicht einfach auf den Menschen übertragen lassen, folgten diverse epidemiologische Studien. Die Ergebnisse seien „äußerst widersprüchlich“, warnt die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM).
Zwar schützen Sexualhormone wie Testosteron oder Östrogen möglicherweise geistige Funktionen, wie aus in-vitro-Experimenten und Tierversuchen folgt. Ihre geringere Ausschüttung im Alter ist aber nicht die einzige Erklärung, dass Patienten an einer Demenz erkranken. Risikofaktoren wie Übergewicht, Bluthochdruck, Diabetes, Rauchen, Stoffwechselstörungen, ein geringes Bildungsniveau oder eine genetische Veranlagung kommen hinzu. „Die Einnahme von Testosteron bei einer Demenz ist deshalb im Moment nicht angezeigt“, resümiert Professor Dr. Cornel C. Sieber. Er ist Chefarzt der Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Geriatrie am Krankenhaus Barmherzige Brüder in Regensburg und Vorsitzender der DGIM. Schließlich müsse man auch berücksichtigen, dass viele ältere Menschen sowieso schon mehrere Medikamente bekämen. „Die Gabe eines jeden weiteren Wirkstoffes muss sorgfältig erwogen werden, damit es nicht zu unerwünschten Wechselwirkungen kommt – neben dem Umstand, dass eine Testosterongabe per se Nebenwirkungen haben kann“, gibt der Experte zu bedenken.
„Solange es keine wirksamen Therapien gegen Demenz gibt, gilt der Vorbeugung ein besonderes Augenmerk“, ergänzt Professor Dr. Ulrich R. Fölsch, früherer Direktor des Uniklinikums Schleswig-Holstein, Campus Kiel. Er verweist auf eine aktuelle Studie, der zufolge sich jeder dritte Demenzfall vermeiden ließe. Bürger sollten Übergewicht abbauen, sich gesund ernähren, nicht rauchen und körperlich, aber auch geistig aktiv sein. Fölsch nimmt auch Ärzte in die Pflicht, Stoffwechselstörungen oder Depression frühzeitig zu behandeln. Finden Neurologen trotzdem eine Demenz, raten Forscher je nach Stadium zur Pharmakotherapie mit Cholinesterase-Inhibitoren beziehungsweise Memantin. Hinzu kommen Strategien zum Management neuropsychiatrischer Symptome wie Angst und Depressionen. Jenseits der Behandlung sollten rechtzeitig Entscheidungen über die eigene Zukunft getroffen werden.