Bekanntlich sind normal verlaufende Schwangerschaften keine Krankheiten. Trotzdem erblicken Jahr für Jahr mehr Babys via Sectio das Neonlicht des Kreißsaals. Jetzt kehrt sich dieser Trend erstmals um. Dafür sprechen einige Argumente, sogar aus wissenschaftlicher Sicht.
Eine Trendwende der besonderen Art: Erstmals seit 20 Jahren holten Ärzte weniger Babys per Kaiserschnitt auf die Welt als im Vergleichszeitraum. Wie das Statistische Bundesamt berichtet, brachten 31,7 Prozent aller entbundenen Frauen ihre Kinder per Sectio zur Welt. Das sind, gemessen am Vorjahr, 0,4 Prozentpunkte weniger. Andere Geburtshilfen wie Vakuumextraktionen (5,7 Prozent) oder Geburtszangen (0,5 Prozent) gelten zahlenmäßig als vernachlässigbar. An sich eine wünschenswerte Tendenz, denn so mancher Kaiserschnitt bleibt nicht ohne Konsequenzen: Auf ihrem letztjährigen Kongress warnte die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) vor einer erhöhten Morbidität bei Müttern. Folgen weitere Schwangerschaften, führen Plazentationsstörungen wie die Plazenta praevia oder Placenta accreta zu lebensbedrohlichen Komplikationen. Und bei Kindern beobachten Pädiater beatmungspflichtige Komplikationen sowie Anpassungsstörungen signifikant häufiger.
Zwei aktuelle Arbeiten geben der Diskussion neue Nahrung: Ank de Jonge, Amsterdam, hat zusammen mit Kollegen Daten aus einem großen Geburtsregister untersucht. Dabei entschieden sich 52.000 werdende Mütter für eine Geburt in der Klinik, weitere 92.000 wollte ihre Niederkunft zu Hause erleben. In der medizinischen Vorgeschichte gab es weder Kaiserschnitte noch Anzeichen für eine Risikoschwangerschaft. Mehrlingsschwangerschaften schloss de Jonge ebenfalls aus. Starke Blutungen, das HELLP-Syndrom, Eklampsien sowie Behandlungen auf einer Intensivstation wurden in der Arbeit als schwere Komplikationen definiert. Entsprechende Zwischenfälle traten mit einer Wahrscheinlichkeit von 1,5 pro 1.000 Hausgeburten auf, in Kliniken waren es 2,7 pro 1.000 Geburten. Bei Frauen, die bereits ein Kind ohne Komplikationen zur Welt gebracht hatten, zeigten sich noch deutlichere Unterschiede mit 1,0 im Vergleich zu 2,3 Zwischenfällen in Krankenhäusern. Auch kamen bei Hausgeburten wehenfördernde Pharmaka nicht so oft zum Einsatz (23 versus 28 Prozent), und operative Entbindungen waren seltener erforderlich (23 versus 25 Prozent). Ank de Jonge folgert, dass im Klinikum oft recht schnell medizinisch interveniert würde. Bei normal verlaufenden Schwangerschaften gäbe es keine Anhaltspunkte, die gegen Hausgeburten sprächen.
Britische Wissenschaftler kommen speziell bei Erstgebärenden zu einer anderen Einschätzung. Auf Basis ihrer Birthplace Cohort Study fanden sie 9,3 Zwischenfälle pro 1.000 Hausgeburten, in Einrichtungen zur Geburtshilfe waren es nur 5,3. Dann noch ein Blick auf die Niederlande: Zwischen 20 und 30 Prozent aller Mütter entscheiden sich für eine Niederkunft im trauten Heim. Gleichzeitig erreicht die Säuglingssterblichkeit negative Rekordwerte: Statistiker geben als perinatale Mortalität 10,0 Fälle pro 1.000 Geburten an, in Deutschland sind es gerade einmal 5,5. Zum Hintergrund: Genauere Untersuchungen haben gezeigt, dass Mütter im Nachbarland im Schnitt älter sind und Vorsorgeuntersuchungen seltener in Anspruch nehmen. Damit bleibt so manche Risikoschwangerschaft – die ohne Zweifel in einer Klinik besser versorgt werden könnte – unentdeckt.
Doch zurück nach Deutschland: Der Hebammenverband spricht sich ebenfalls für natürliche Geburten aus und fordert Ärzte auf, seltener zum Skalpell zu greifen. Unterstützung kommt von Wissenschaftlern. Die Cochrane Pregnancy and Childbirth Group verglich, wie sich unterschiedliche Betreuungsformen auswirken. Jane Sandall, London, analysierte zusammen mit Kollegen 13 Studien mit 16.242 gesunden Schwangeren aus Australien, Großbritannien, Irland und Kanada. Bei der Betreuung durch Hebammen kamen Epidural- oder Spinalanästhesien seltener zum Einsatz (minus 17 Prozent). Die Zahl an Dammschnitten lag um den gleichen Faktor niedriger als unter ärztlicher Betreuung. Gleichzeitig kamen mehr Kinder auf natürlichem Wege zur Welt. Für die Forscher gibt es kein Argument gegen eine Betreuung durch Hebammen.
Grund genug für Bremen, ein „Bündnis zur Unterstützung der natürlichen Geburt“ ins Leben zu rufen. Beim ersten Treffen haben Verantwortliche beschlossen, gemeinsame Empfehlungen für die Betreuung von Schwangerschaft und Geburt zu erarbeiten. Auch geht es um die Frage, welche Einflüsse Klinikorganisation und Versorgungstruktur haben. Und als Kompromiss zwischen Hausgeburt und Klinik gibt es in Deutschland immer häufiger Hebammenkreißsäle, in denen werdende Mütter idealerweise von einer Hebamme während der Geburt betreut werden. Anhand von Ein- und Ausschlusskriterien lässt sich entscheiden, welche Frauen von entsprechenden Angeboten profitieren. Sollten wider Erwarten doch Komplikationen auftreten, stehen Ärzte bereit, ohne dass eine Verlegung der Patientin erforderlich wäre.