Der Aufbau unseres Gehirns ist komplex und ähnelt einem Schaltplan. Doch welche Rolle spielt die vorgegebene Architektur bei der Funktion? Die meisten Übereinstimmungen zwischen Struktur und Informationsfluss fanden Forscher nun im sogenannten „Default Mode Network“.
Wer kennt das nicht: Man sitzt am Schreibtisch, schaut aus dem Fenster und schweift mit den Gedanken ab. Statt über seine eigentliche Aufgabe nachzudenken und weiterzuarbeiten, plant man im Kopf den nächsten Urlaub oder hängt einer Erinnerung, einem Gedanken nach. Und erst ein paar Momente später wird einem bewusst, was geschehen ist: Unser Gehirn hat einfach das Programm geändert und sozusagen auf Autopilot geschaltet. In der Fachwelt spricht man seit geraumer Zeit über den Wetteifer verschiedener Netzwerke im Gehirn, die sich gegenseitig in ihrer Aktivität unterdrücken. Ist eines dieser ungefähr zwanzig Netzwerke aktiv, bleiben die anderen mehr oder minder stumm. Denkt man über den nächsten Urlaub nach, ist es demnach kaum möglich, gleichzeitig dem Inhalt eines Texts zu folgen. Um herauszufinden, welchen Einfluss die anatomische Struktur auf die Funktion der Netzwerke im Gehirn hat, analysierte ein Forscherteam des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin in Kooperation mit der Freien Universität Berlin und dem Universitätsklinikum Freiburg die Verbindungen zwischen insgesamt 40.000 kleineren Regionen des Gehirns. Mittels Kernspintomographie prüften sie bei 13 Probanden und sechs Probandinnen zwischen 21 und 31 Jahren insgesamt 1,6 Milliarden möglicher anatomischer Verbindungen zwischen den Hirnregionen. Dabei verglichen sie diese mit dem durch die Nervenzellen tatsächlich hervorgerufenen Informationsfluss.
Die Ergebnisse zeigen, dass es die größten Übereinstimmungen zwischen Gehirnstruktur und Funktion beim so genannten „Default Mode Network“ gibt, welches mit Tagträumerei, geistigem Vorstellungsvermögen und selbstbezogenem Denken verbunden wird. „Das Default Mode Network nutzt im Vergleich zu anderen Netzwerken die direktesten anatomischen Verbindungen. Dies führt dazu, dass sich die Aktivität automatisch auf dieses Netzwerk einpendelt, wenn keine äußeren Einflüsse auf das Gehirn einwirken“, sagt Andreas Horn, Erstautor der Studie und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungsbereich „Adaptive Rationalität“ des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung. Das Netzwerk macht somit seinem Namen alle Ehre: Wie ein Autopilot scheint es, bedingt durch den anatomischen Schaltplan des Gehirns, dann aktiv zu werden, wenn keine äußeren Einflüsse auf den Menschen einwirken. Ein Ruhezustand ist dies jedoch nicht. Im Gegenteil: Tagträumerei, geistiges Vorstellungsvermögen und selbstbezogenes Denken sind komplexe Aufgaben für das Gehirn.
„Unsere Studienergebnisse führten uns zu dem Schluss, dass der strukturelle Aufbau des Gehirns dafür sorgt, dass es sich automatisch in einen sinnvollen Zustand fährt, solange es nicht für andere Tätigkeiten gebraucht wird“, sagt Andreas Horn. In diesem Zustand bleibe es aber nur so lange bis äußere Einflüsse die Aktivität in einem anderen Netzwerk aufrufen und somit die Tagträumerei beenden. So zum Beispiel eine geräuschvolle Fliege, ein Knall in der Ferne oder die bewusste Konzentration auf einen Text. Von ihren Erkenntnissen erhoffen sich die Forscher, die Gehirnfunktion von Gesunden, aber auch die Entstehung von neurodegenerativen Krankheiten wie Alzheimer oder psychiatrischen Krankheiten wie der Schizophrenie besser zu verstehen. In Folgestudien will die Arbeitsgruppe die Hirnstruktur von Patienten mit neurologischen Krankheiten mit der von Gesunden vergleichen. Originalpublikation: The structural-functional connectome and the default mode network of the human brain Andreas Horn et al.; NeuroImage, doi: 10.1016/j.neuroimage.2013.09.069; 2013