Wissenschaftler haben ein bestimmtes Protein, die Histon-Deacetylase 2, als essenziell für die Gehirnentwicklung identifiziert. Die Ergebnisse könnten dabei helfen, spezifische Medikamente gegen neurologische Erkrankungen zu entwickeln.
Eine Gruppe von Proteinen, die Histon-Deacetylasen (HDACs), sind bereits seit längerem auf der internationalen „Watch List“ der Forscher: Histon-Deacetylasen koordinieren das Abschreiben von genetischer Information mit und spielen so etwa bei der Entstehung von Krebs und neurodegenerativen Erkrankungen eine wichtige Rolle. Moleküle, die HDACs hemmen und so therapeutisch wirken, sind auch schon im Einsatz. Allerdings wird durch aktuelle Studien immer klarer, dass bei der Entwicklung von Medikamenten genau darauf geachtet werden muss, welche HDAC-Variante inhibiert wird. Im menschlichen Organismus sind 18 Varianten dieses Proteins bekannt, die in verschiedenen Geweben unterschiedliche Funktionen haben. Christian Seiser und sein Team an den Max F. Perutz Laboratories (MFPL) der Medizinischen Universität Wien konnten etwa in einer kürzlich publizierten Studie zeigen, dass Hauttumore sogar schneller entstehen, wenn man die Variante HDAC1 abschaltet.
In ihrer aktuellen Studie zeigen Christian Seiser und sein Team nun, dass im Gehirn die Variante HDAC2 eine Schlüsselrolle innehat. Sie untersuchten die einander ähnlichen Varianten HDAC1 und HDAC2, indem sie die Funktion der Proteine ganz oder teilweise abschalteten. Die Forscher konzentrierten sich auf diese beiden Varianten, da sich HDAC1 und HDAC2 in Gehirnzellen schon als wichtig für die Entwicklung einer gesunden Gehirnstruktur in der Embryogenese herausgestellt hatten. Darauf deutete auch einer der ersten Versuche des Teams hin: Eine Ausschaltung von HDAC1 als auch HDAC2 war nicht mit dem Leben vereinbar. Dass HDAC2 von beiden Varianten aber in der Gehirnentwicklung die entscheidende Rolle spielt, zeigte sich durch folgende Versuche: Wurde HDAC2 nur teilweise und HDAC1 vollständig ausgeschaltet, war der Organismus normal lebensfähig und fruchtbar. Umgekehrt aber, wenn HDAC1 nur teilweise und HDAC2 ganz inhibiert wurde, starben die Nachkommen kurz nach der Geburt. Dabei ist auch ein bestimmtes Enzym, die Proteinkinase C delta, in zu hoher Konzentration vorhanden. Dadurch entwickeln sich die Vorläuferzellen, die zu Gehirnzellen reifen sollen, falsch; „das Gehirn ist kleiner und zeigt eine geringere Zellvermehrung“, erklärt die Erstautorin Astrid Hagelkruys. Warum die Nachkommen nach der Geburt sterben, ist noch unklar. Möglicherweise könnten die auftretenden Gehirndefekte u. a. das Koordinationsvermögen oder den Geruchssinn so weit einschränken, dass sie den Weg zur Mutter nicht finden, die sie mit Nahrung versorgen könnte. Die beeinträchtigte Zellvermehrung und die gestörte Differenzierung konnte durch Hemmung oder Stilllegung von Proteinkinase C delta wiederhergestellt werden. Diese Daten zeigen, dass HDAC2 während der Gehirnentwicklung eine einzigartige Rolle in der Kontrolle des Zellschicksals spielt, indem es Schlüsselfaktoren wie die Proteinkinase C delta reguliert.
Im Tiermodell haben sich HDAC-Hemmer bereits günstig bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Morbus Alzheimer und Morbus Parkinson erwiesen. Bei Epilepsie sind HDAC-Hemmer schon für die Therapie am Menschen zugelassen. Die Ergebnisse von den Forschern an den MFPL könnten nun einen weiteren wichtigen Baustein für die Entwicklung von spezifischen Medikamenten darstellen, die die Gehirnfunktion verbessern können. Originalpublikation: A single allele of Hdac2 but not Hdac1 is sufficient for normal mouse brain development and survival in the absence of its paralog Astrid Hagelkruys et al.; Development, doi: 10.1242/dev.100487; 2014