Forscher der Universität Zürich haben zusammen mit Wissenschaftlern aus den USA ein neues Medikament gegen Tuberkulose entwickelt. Das Mittel könnte sogar gegen die gefürchteten hochresistenten Tuberkulose-Erreger wirken.
Laut Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) traten 2012 weltweit mehr als acht Millionen neue Fälle von Tuberkulose-Erkrankungen auf. Außerdem erweisen sich immer mehr Tuberkulose-Erreger als resistent gegenüber Antibiotika; es gibt gefürchtete Formen, die multiresistent oder sogar komplett resistent sind. Solche hochresistenten Tuberkuloseerreger, gegen die kaum mehr eine Antibiotikatherapie wirkt, breiten sich zunehmend auch in Europa aus. Es drängt die Entwicklung neuer Medikamente gegen die Tuberkulose – die Forschungsgruppe von Prof. Erik C. Böttger am Institut für Medizinische Mikrobiologie der Universität Zürich stellt jetzt zusammen mit Wissenschaftlern aus den USA einen vielversprechenden Wirkstoff vor: „Der Wirkstoff kann nicht nur die normalen Tuberkulosebakterien, sondern auch sämtliche Formen der hochresistenten Tuberkulosebakterien wirksam töten“, so Erik C. Böttger. Diese antituberkulöse Wirksamkeit konnte in verschiedenen experimentellen Tiermodellen in-vivo nachgewiesen werden, die Resultate werden nun in „Nature Medicine“ publiziert.
Gegen Tuberkulose-Erreger sind nur bestimmte Antibiotika wirksam. Die internationale Forschergruppe konnte nun zeigen, warum Spectinomycin, ein Hemmstoff der bakteriellen Eiweiß-Synthese, nicht gegen den Tuberkulose-Erreger wirkt – und liefert damit wichtige Erkenntnisse zugunsten der Entwicklung neuer Therapien. Die Schweizer Partner identifizierten als Ursache Transportmechanismen, welche auf eine in der Zellwand verankerte Pumpe zurückgeführt werden konnten. Über Membranproteine werden laufend selektiv Moleküle in die Zelle hinein und aus der Zelle heraus geschleust. Die Forschergruppe fand heraus, dass eine sogenannte Effluxpumpe, welche dem Ausschleusen dient, das Spectinomycin aus den Zellen hinaus befördert. Dem Konsortium gelang es in einem ersten Schritt, den Wirkstoff Spectinomycin so zu modifizieren, dass er von der Effluxpumpe nicht mehr erkannt wird und somit in der Zelle – und damit am Wirkungsort – bleibt.
In einem zweiten Schritt musste sichergestellt werden, dass der Wirkstoff ausschließlich auf die Bakterien – also auf den Tuberkulose-Erreger – wirkt und nicht auf die menschlichen Zellen. Eine Vielzahl von antibiotisch wirksamen Substanzen greifen an den Ribosomen an, an den hochkomplexen Maschinen in den Zellen, welche für die Eiweiß-Synthese zuständig sind. Diese Zellorganellen sind sowohl Bestandteile der bakteriellen als auch menschlichen Zellen – und sie sind sich sehr ähnlich. Bei der Weiterentwicklung von wirksamen Antibiotika muss gewährleistet sein, dass diese nicht das menschliche Ribosom angreifen und damit schwerste Nebenwirkungen auslösen. Mittels genetisch modifizierter Ribosomen, welche die antibiotischen Bindungsstellen des menschlichen Ribosoms aufweisen und die in der Arbeitsgruppe von Böttger konstruiert wurden, konnte bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt die Entwicklung des Wirkstoffs so gesteuert werden, dass menschliche Ribosomen vom Wirkstoff nicht angegriffen werden. Damit sind wirkungsvermittelte toxische Nebenwirkungen weitgehend ausgeschlossen. „Die antituberkulöse Wirksamkeit der so entwickelten Substanzklasse der Spectinamide konnte in verschiedensten experimentellen Tiermodellen in-vivo nachgewiesen werden“, so Erik C. Böttger.
Mit diesen Spectinamiden steht eine neue Klasse semisynthetisch hergestellter Tuberkulostatika zur Verfügung. „Das exzellente Sicherheitsprofil und die ausgeprägte Wirksamkeit gegen sämtliche resistente Tuberkulose-Erreger führen hoffentlich rasch zu klinischen Studien“, sagt der Zürcher Mikrobiologe. Das könnte insbesondere Patienten zugute kommen, die an hochresistenter Tuberkulose erkrankt sind. Originalpublikation: Spectinamides: a new class of semisynthetic antituberculosis agents that overcome native drug efflux; Erik C. Böttger et al.; Nature Medicine; January 26, 2014; Doi: 10.1038/nm.3458