Forscher enträtselten nun die Struktur eines Teils des Ribosoms aus den Mitochondrien in außergewöhnlicher Auflösung. Dabei profitierten die Wissenschaftler von der Weiterentwicklung der Elektronenmikroskopie.
Ribosomen sind eine Art Dechiffriergeräte der Zelle. Sie können den genetischen Code, der ihnen in Form einer Boten-Ribonukleinsäure (Boten-RNS) angeliefert wird, decodieren und in eine bestimmte Abfolge von Aminosäuren übersetzen. Schließlich erfolgt in diesen Enzymkomplexen auch das Zusammensetzen der Aminosäuren zu langen Proteinketten. Ohne Ribosomen entstehen in einer Zelle keine Proteine. Diese Enzymkomplexe stehen deshalb aufgrund ihrer zentralen Funktion seit längerem im Zentrum des Interesses der Biologie. Um die Funktionsweise der Ribosomen, die in allen Zellen vorkommen, besser zu verstehen, ist es nötig, Aufbau und Struktur genau zu kennen.
Noch weitgehend unbekannt war bisher die molekulare Struktur derjenigen Ribosomen, die in Mitochondrien, den Kraftwerken der Zelle, vorkommen. Diese unterscheiden sich von den „gewöhnlichen“ Ribosomen des Zellplasmas wesentlich. Während sich diese zu 60 Prozent aus Ribonukleinsäuren (RNS) und 40 Prozent Proteinbestandteilen zusammensetzen, macht RNS bei den Mitochondrien-Ribosomen nur knapp ein Drittel des gesamten Komplexes aus. Ein Grund dafür ist, dass letztere RNS-Moleküle im Laufe der Evolutionsgeschichte stark verkürzt wurden. Mitochondriale Ribosomen in der Zelle sind vorwiegend an der inneren Membran der Mitochondrien lokalisiert und sind in der Zelle in deutlich kleinerer Menge vorhanden als die Ribosomen des Zellplasmas. Deshalb sind sie schwieriger zu isolieren und wurden bisher kaum erforscht. Einem Forscherteam aus den ETH-Gruppen von Nenad Ban und Ruedi Aebersold ist es nun gelungen, die molekulare Struktur der sogenannten großen Untereinheit des Mitochondrien-Ribosoms aus Säugetierzellen bis zu einer Auflösung von 4,9 Angström (weniger als 0,5 Nanometer) aufzuklären. Bei einer solchen Auflösung können beispielsweise einzelne Phosphatgruppen der RNS-Moleküle gesehen werden. Eine der Schwierigkeiten war, dass sich aus mitochondrialen Ribosomen kaum brauchbare Kristalle für die Strukturbestimmung bilden lassen. Bisher wurde zur Aufklärung der Strukturen von großen biologischen Molekülen die Röntgenkristallographie genutzt. Dabei wird das Molekül isoliert, kristallisiert und mit Röntgenstrahlung durchleuchtet. Die Strahlen werden an den Atomen abgelenkt, was ein spezifisches Muster erzeugt, aus dem die Atompositionen errechnet werden können. Dazu muss der Kristall allerdings genügend groß und qualitativ hochwertig sein. Die große Untereinheit des Mitochondrien-Ribosoms eignete sich jedoch nicht für dieses Verfahren, weil dessen Struktur zu heterogen ist und sich nicht genügend Material für die Kristallbildung gewinnen ließ. „Wir hätten hunderte Kilogramm von Schweinelebern gebraucht, um daraus genügend Ribosomen-Material für die kristallographische Strukturanalyse zu isolieren. Das war auch logistisch nicht zu bewerkstelligen“, sagt Basil Greber, Erstautor der Studie.
Die ETH-Forscher verwendeten deshalb die neuste Generation von Geräten für die hochauflösende Kryoelektronenmikroskopie. Damit schossen die Forscher über eine Million Bilder der großen Untereinheit des Ribosoms. Anhand der Aufnahmen rekonstruierten sie mit aufwendigen Berechnungen auf einem Computercluster die dreidimensionale Darstellung dieser Struktur. Um die so berechnete Struktur möglichst präzise zu interpretieren und die genaue Lage der RNS- und Eiweißmoleküle innerhalb des Enzymkomplexes zu bestimmen, griffen die Forscher zudem auf eine Methode aus dem Labor von Ruedi Aebersold zurück. Diese wird als „Chemical Cross Linking Combined with Mass Spectrometry“ bezeichnet. Dabei werden die einzelnen Proteinbestandteile des Ribosoms chemisch miteinander vernetzt, für die weitere Analyse in Peptide zerstückelt und im Massenspektrometer sequenziert. Aus diesen Daten lässt sich schließlich der Aufbau eines Proteinkomplexes wie dem Ribosom respektive dessen großer Untereinheit bestimmen. Durch die Kombination dieser Methoden gelang es den Forschern schließlich, das hochaufgelöste Strukturmodell der großen Untereinheit des mitochondrialen Ribosoms mit einer bisher unerreichten Genauigkeit zu erstellen.
Mit ihrer neuen Erkenntnis können die Forscher nun auch erklären, weshalb mitochondriale Ribosomen ständig in die Membran des Mitochondriums eingebunden sind: In der Nähe des Tunnelausgangs, durch welchen frisch synthetisierte Proteine das Ribosom verlassen, konnten die Biologen ein Protein lokalisieren, das Proteinen ähnelt, die als Membrananker dienen. Sie schließen deshalb daraus, dass im Laufe der Evolution ein solches Ankerprotein in das Ribosom integriert wurde, um es an der Mitochondrienmembran zu befestigen, sodass die frisch hergestellten Proteine direkt zu ihrem Bestimmungsort in der Membran gelangen. Von ihrerErkenntnis erhoffen sich die Forscher überdies neue Einsichten in die Funktionsweise und Störungen dieses für die Zelle äußerst wichtigen Organells. Defekte im Erbgut für die Bestandteile von Mitochondrien führen beispielsweise zu Muskelkrankheiten oder sie spielen eine Rolle bei Krebs. Denn Krebszellen brauchen nicht nur viele Nährstoffe, um schnell wachsen zu können, sondern auch viel Energie. Ihr Energiestoffwechsel befindet sich deshalb in einem ungewöhnlichen Zustand, zu dem die Ribosomen von Mitochondrien wahrscheinlich einen Beitrag leisten. Nenad Ban macht aber deutlich, dass zurzeit keine anwendungsbezogenen Fragen behandelt werden. „Wir liefern mit der Struktur dieses Ribosoms eine wichtige Grundlage, auf der andere Forscher aufbauen können“, sagt er. Originalpublikation: Architecture of the large subunit of the mammalian mitochondrial ribosome Basil J. Greber et al.; Nature, doi: 10.1038/nature12890; 2013