Forscher entdeckten nun einen neuen, überraschenden Zusammenhang zwischen Chlorakne und einem Molekül, das Hautzellen vor Stress schützt: Läuft Nrf2 aus dem Ruder, entwickeln sich auf der Haut entstellende Zysten.
Die Bilder gingen um die Welt. Im Herbst 2004 wurde der ehemalige Präsident der Ukraine, Viktor Juschtschenko, mit einer hohen Dosis Dioxin vergiftet. Er überlebte zwar den Anschlag, war aber von der aus der Vergiftung resultierenden Chlorakne, offiziell „MADISH“ genannt, schwer entstellt: Sein Gesicht war übersät mit zahlreichen Zysten, die tiefe Narben zurückliessen. Nun hat ein Team von Forschern unter Federführung von ETH-Professorin Sabine Werner und dem Oberassistenten Matthias Schäfer zufällig einen Zusammenhang zwischen Chlorakne und einem molekularen Schalter entdeckt, der nach längerer und verstärkter Aktivierung bei Mäusen ein vergleichbares Hautbild verursacht. Diese neue Erkenntnis wird heute in EMBO Molecular Medicine veröffentlicht.
Beim fraglichen Molekül handelt es sich um Nrf2, das die ETH-Forscher seit längerem in Verbindung mit verschiedenen Erkrankungen der Haut erforschen. Nrf2 ist ein Transkriptionsfaktor. Er aktiviert bestimmte Gene, die dem Schutz und dem Überleben von Zellen dienen. Die ETH-Wissenschaftler hatten herausgefunden, dass eine moderate Aktivierung von Nrf2 die Haut vor UV-Schäden schützt. Das Molekül aktiviert danach mehrere Gene, mit dem Ziel, Zellen der Haut vor aggressiven freien Radikalen, die durch UV-Strahlung entstehen, zu schützen und sie vor dem Absterben oder vor Schädigung des Erbmaterials zu bewahren. Nrf2 ist deshalb ein interessanter Kandidat für den Einsatz in hautschützenden Crèmes sowie für die Krebsvorbeugung. Unklar aber war bisher, wie lange und wie stark Nrf2 aktiviert werden darf, damit sich der positive Effekt nicht ins Gegenteil verkehrt. Denn schon in einer vorhergehenden Studie erkannten Werner und Schäfer, dass mit zunehmender Aktivierung von Nrf2 die Haut schuppig, potenziell also geschädigt wird.
Für ihre Folgestudie verwendeten sie nun ein Tiermodell, in welchem die Hautzellen genetisch veränderter Mäuse dauerhaft Nrf2 aktivieren. Die Tiere entwickelten dadurch Hautveränderungen, die denjenigen von Dioxinopfern frappant ähnelten, wobei jedoch die Ausprägung deutlich schwächer als im Menschen ist. In Mäusen mit Nrf2-Aktivierung vergrößerten sich unter anderem die Talgdrüsen, die übermäßig viel Talg absonderten. Auch verdickten und verhornten die Haarfollikel. Dies führte schließlich zu deren Erweiterung, Haarverlust und mit der Zeit zur Bildung von Zysten. Die Wissenschaftler überprüften deshalb in einem weiteren Schritt Gewebeproben von MADISH-Patienten. Dabei zeigte sich: Auch in ihrem Gewebe wird offensichtlich Nrf2 aktiviert, sodass es zur verstärkten Bildung der gleichen Zielproteine wie im Mausmodell kommt. Damit ist für die Forscher klar, dass die Vorgänge, die in den Mäusen zu solch krankhaften Hautveränderungen führen, im Menschen sehr ähnlich ablaufen.
„Den Zusammenhang zwischen Chlorakne und dem Mausmodell erkannten wir erst im Laufe unserer Arbeit. Die Entdeckung ist dem Zufall zu verdanken“, sagt Sabine Werner. Ursprünglich sei das Ziel gewesen, zu verstehen, was bei einer verstärkten Aktivierung von Nrf2 in der Haut vor sich geht. Dass sie nun eine molekulare Antwort auf die Frage, was Chlorakne verursacht, gefunden haben, freut die ETH-Forscher umso mehr. Noch unerforscht ist hingegen, welche molekularen Mechanismen in einer Frühphase von Chlorakne ablaufen. Um dies zu untersuchen, fehlen den Forschern Proben von Patienten, die eine Dioxinvergiftung erlitten haben. Matthias Schäfer macht klar, dass es sehr schwierig ist, an solches Probenmaterial heranzukommen. „Die Patienten gehen erst dann zu einem Arzt, wenn die Erkrankung schon fortgeschritten ist“, sagt er. „Das Frühstadium bleibt unerkannt und geht deshalb unter.“
Im Fall von Chlorakne Nrf2 als therapeutisches Ziel anzugehen, halten beide Forscher für problematisch. Die Zellen regulieren Nrf2 deshalb hoch, um die Entgiftung des Körpers zu beschleunigen. Bei einer Dioxinvergiftung die Antwort des Körpers mit einer Intervention gegen Nrf2 zu verlangsamen oder gar zu stoppen, könnte fatal sein. Dioxin ist ohnehin ein sehr langlebiges Gift, das im Fettgewebe des Körpers gespeichert wird. Dass bei MADISH gerade die Talgdrüsen der Gesichtshaut stark verändert werden, ist kein Zufall: In ihnen wird ebenfalls Fett und damit Dioxin gelagert. Die Forscher halten es deshalb für die bessere Variante, zuerst die Zielgene von Nrf2 genauer zu untersuchen, damit möglicherweise spezifische, für das Krankheitsbild verantwortliche Proteine in ihrer Menge oder Aktivität beeinflusst werden können. Originalpublikation: Activation of Nrf2 in keratinocytes causes chloracne (MADISH)-like skin disease in mice Sabine Werner et al.; EMBO Molecular Medicine, doi: 10.1002/emmm.201303281; 2014